Politik
Stromsperren für eine Million Menschen - trotz Überkapazitäten der Energiekonzerne
08.05.12 - Nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird einer wachsenden Zahl von Haushalten der Strom gesperrt, weil sie die Rechnung nicht mehr bezahlen können. Im vergangenen Jahr waren über 600.000 Haushalte mit mindestens einer Million Menschen von Stromabschaltungen betroffen. Allein in Nordrhein-Westfalen mahnten die Stromversorger über 3 Millionen Mal ausstehende Stromzahlungen an, 340.000 Haushalten wurde die Sperrung des Anschlusses angedroht, bei 62.000 wurde der Strom gesperrt.
Vielfach liefern die Stadtwerke nicht nur Strom, sondern auch Gas oder Fernwärme für die Heizung. Bei den Flensburger Stadtwerken wird derzeit jeden Monat bei rund 50 Kunden die komplette Energielieferung eingestellt. Hier wird laut einem Sprecher der Stadtwerke kein Unterschied zwischen Sommer und Winter gemacht. "Wer nicht zahlt, muss frieren, sofern er auf dreimaliges Mahnen nicht reagiert."
Strom und Heizung sind für viele Haushalte mittlerweile zu einem schier unbezahlbaren Gut geworden. Betroffen sind vor allem ältere Menschen mit niedriger Rente, Alleinerziehende, die mindestens vier Millionen Menschen im so genannten "Niedriglohnsektor" und Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind.
Die "Lippische Landeszeitung" berichtet von einer 52-jährigen Frau in Bad Oeynhausen, die infolge Arbeitslosigkeit die Stromrechnung nicht mehr bezahlen konnte. Zum Waschen bleibt ihr nur kaltes Wasser, die Lebensmittel verderben in der Tiefkühltruhe und ihrem Nebenberuf kann sie nicht nachgehen, da auch der Computer nicht mehr läuft.
Auf rund 1.700 Euro belaufen sich ihre Schulden gegenüber Eon mittlerweile. Eon gab nach mehreren Mahnungen die Rechnung von 800 Euro an einen Anwalt weiter, der noch einmal Zinsen und Aufwand aufschlug. Ihr Angebot, 50 Euro monatlich zu den laufenden Kosten abzubezahlen, wurde von Eon abgelehnt. Die betroffene Frau hätte die gesamte Summe sofort bezahlen müssen, um einer Stromsperre zu entgehen ("Lippische Landeszeitung", 17.4.12).
Zwar gibt es auch Stadtwerke, die hier kulanter verfahren. Das ändert aber wenig an der Entwicklung, dass immer mehr Menschen durch die wachsende Verarmung und die Preistreiberei von Energiekonzernen und Staat in eine solche Notsituation geraten. Hartz-IV-Betroffene müssen von ihrem Regelsatz sowohl die Stromrechnung, als auch alle Nachzahlungen begleichen. Seit 2005 sind die Strompreise ständig gestiegen. 2005 lagen sie im Schnitt noch bei 18,2 Cent pro Kilowattstunde. Heute sind es je nach Anbieter rund 26 Cent. Bei einem Vier-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden können derzeit mehr als 1.000 Euro pro Jahr an Stromkosten anfallen.
Die Energiemonopole und manche bürgerliche Medien behaupten, die Erhöhung der Strompreise sei auf die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien (Sonnenlicht, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme) zurückzuführen. Das ist eine bewusste Irreführung. Trotz der Abschaltung von acht Kernkraftwerken sind die Beschaffungskosten für Strom an der Leipziger Strombörse sogar um 0,5 Cent pro Kilowattstunde gesunken. Es gibt nach wie vor Überkapazitäten im zweistelligen Gigawattbereich.
Der Strompreis ist ein Monopolpreis, ein Raubpreis, der von den vier führenden Energiemonopolen diktiert wird. Die Großanbieter E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall beherrschen etwa 80 bis 90 Prozent der deutschen Kraftwerkskapazitäten und die entsprechenden Strom-Übertragungsnetze. Sie sind in vielen Fällen auch maßgeblich an den über 800 Stadtwerken beteiligt. Fast die Hälfte des Strompreises entfällt auf staatliche Abgaben: die Mehrwertsteuer, Ökostrom-Umlage, Konzessionsabgabe und Stromsteuer.