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Merkel feuert Röttgen - Regierungskrise in Berlin
17.05.12: Drei Tage nach der deftigen Wahlschlappe für die CDU bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat Kanzlerin Merkel den als ihren "Kronprinzen" gehandelten NRW-Spitzenkandidaten und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) entlassen. Das offenbart eine Krise der CDU/CSU/FDP-Regierung. Es ist die vierte Kabinettsumbildung seit Antritt der Regierung im Oktober 2009 - und das erste Mal, dass Merkel einen Minister öffentlich gegen seinen Willen gefeuert hat. Die schwarz-gelbe Regierung gerät zunehmend unter Druck.
Bei elf Landtagswahlen hat die CDU verloren, seit Merkel Bundeskanzlerin ist - jetzt erhielt die CDU ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Nordrhein-Westfalen. So wird zunehmend ihre Massenbasis unterhöhlt. Das Desaster in NRW hat die Widersprüche innerhalb der CDU und im Regierungslager aufs äußerste verschärft. In ungewohnter Offenheit ließen Leute wie Horst Seehofer lauthals ihren Frust über Röttgen ab. Es wird krampfhaft versucht, das Wahldebakel zum "Röttgendebakel" zu machen - es soll auf keinen Fall abfärben auf die Merkel-Regierung.
Sicherlich war Norbert Röttgen ein besonders unpopulärer Politiker in NRW. Dazu trug sein Spruch bei: "Bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber" - ob er Ministerpräsident werde. Seine vom Karrierismus diktierte Weigerung, sich auf ein Verbleiben in NRW auch im Falle einer Wahlniederlage festzulegen, machte ihn nicht gerade beliebt. Besonders übel nahm Merkel ihm, als er einmal die Wahrheit sagte, dass in NRW natürlich auch über die Merkel-Politik abgestimmt würde. Auch parteiintern hat sich dieser kalte Karrierist seit längerem wenig Freunde gemacht.
Die CDU kam unmittelbar nach der NRW-Wahl unter offenen Beschuss der Monopolverbände. "Für die CDU gilt es ernsthaft zu überdenken, mit welchen Themen und Personen sie künftig ihre Stammwähler - gerade auch in der Wirtschaft - wieder besser erreicht", forderte BDI-Präsident Keitel und lobte die FDP: Die habe "die Wende durch eine klare Ansage für ordnungspolitische Prinzipien geschafft" ("Handelsblatt", 14.5.12). Insbesondere mit verschiedenen Seiten von Umweltminister Röttgens Energiepolitik waren die Monopole nicht einverstanden - und hier liegt auch der eigentliche Grund, dass Merkel Röttgen jetzt feuerte. Er machte mehr Zugeständnisse an die Umweltbewegung, als es den führenden Monopolen recht war.
2010 setzte Merkel gegen den Standpunkt ihres Umweltministers die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke durch. "Mit Bundesumweltminister Röttgen war nicht zu reden", krittelte Keitel im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" am 14.9.2010. Die Energiemonopole setzten die Laufzeitverlängerung durch - aber unter dem Druck des Massenwiderstands nach der Katastrophe von Fukushima musste Merkel wieder zurückrudern. Zu erheblichen Widersprüchen kam es dann auch bei der sogenannten "Energiewende", die im April 2011 ins Leben gerufen wurde.
Die Monopole erhöhten den Druck: Die Förderung erneuerbarer Energien durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) widersprach den Plänen großer Kraftwerksbetreiber wie RWE und E.on, die auf den Bau neuer Großkraftwerke setzen und stärkere Energie-Konkurrenz von überwiegend mittelständischen Unternehmen witterten. BDI-Chef Keitel im "Manager Magazin" vom 20.2.2011: "Die Solarenergie braucht keine Anschubförderung mehr". Mit dem Vorschlag von Umweltminister Röttgen, die Solarförderung um bis zu 15 Prozent zu kürzen, könne "die Diskussion nicht enden." Mit Beschluss vom März 2012 wurde also die Kürzung der Einspeisevergütungen für Solarstrom zeitlich vorgezogen und von 15 auf 30% erhöht. Röttgen allerdings konnte diesen Schwenk nicht durchsetzen: Der Bundesrat beschloss Anfang Mai die Anrufung des Vermittlungsausschusses dagegen.
Merkel erklärte jetzt die sogenannte "Energiewende" als "ein zentrales Vorhaben dieser Legislaturperiode". Gemeint ist damit ein Umweltzerstörungsprogramm: Die Monopole fordern den Bau neuer 380 kV-Trassen, wollen das Ende der Klein-Solarförderung, eine Konzentration auf offshore-Windparks unter der Regie der Energieriesen, höhere Stromsubventionen für die Industrie. Sie halten fest an fossiler Energiegewinnung, insbesondere durch neue Gas- oder Kohlekraftwerke als "Ausgleich" für die Atomkraftwerke, was sie als "Energiemix" bezeichnen. Hans-Peter Keitels Lob für den designierten Nachfolger von Röttgen, Peter Altmaier, ist da aufschlussreich. Altmaier hat keine Erfahrung in Umweltpolitik, gilt aber als Merkel loyal ergebener Politiker - und soll die Wünsche der Monopole reibungsloser erfüllen.
Der Rauswurf Röttgens offenbart eine tiefe, innerparteiliche Zerstrittenheit der Monopolpartei CDU. Noch am Abend seiner Entlassung meldeten sich die ersten Kritiker aus der Partei öffentlich zu Wort. So unter anderem der Fraktionschef der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag, Karl-Josef Laumann: "Die heutige Entlassung von Norbert Röttgen erschreckt mich. Ich verstehe nicht, dass Norbert Röttgen bis Sonntagabend 18 Uhr als der hervorragende Umweltminister galt, der er war, und heute entlassen wird". Dass Merkel Röttgen in dieser Art geschasst hat, lässt hinter ihrem "Mutti"-Image ihr Wesen als kaltschnäuzige bürgerlichen Machtpolitikerin deutlicher hervortreten.
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat politische Schockwellen ausgelöst. Es sei daran erinnert, dass im Jahr 2005 eine Niederlage bei der Landtagswahl in diesem Bundesland Auslöser für den Rücktritt der Bundesregierung und vorgezogene Neuwahlen war ...