Politik

"Herdprämie" statt Kitas?

09.06.12 - Bundesweit gibt es eine Vielzahl von Kritiken und Protesten an dem von der Bundesregierung jetzt im Eildurchgang beschlossenen Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder bis zum 3. Lebensjahr zu Hause erziehen. Noch bis Ende Juni will die Regierung das Gesetz durch den Bundestag bringen. Weshalb die Eile? Ab August 2013 wird eine Klagewelle von Eltern befürchtet, die aufgrund der fehlenden Kitaplätze im Beruf erzwungenermaßen pausieren müssen bzw. keine Berufsarbeit aufnehmen können und den Lohnausfall gegenüber den Kommunen einklagen werden.

Mit dem vom Kabinett beschlossenen 10-Punkte-Programm von Familienministerin Schröder soll der Mangel „behoben“ werden. Kernstück von Schröders Plan ist das sogenannte Betreuungsgeld. D.h. vor allem die Mütter sollen zu Hause bleiben, statt ihre Kinder in Kitas zu schicken - und bekommen diese Entscheidung ab Januar 2013 finanziell "versüßt" - mit 100, später 150 Euro im Monat. Grundsätzlich wirkt sich das Betreuungsgeld negativ auf die Beschäftigung von Müttern und auf die Nutzung von öffentlichen Kinderbetreuungsangeboten aus, weshalb es zurecht als „Herdprämie“ bezeichnet wird. Dieses Betreuungsgeld ist auch in hohem Maße unsozial. Von Hartz IV betroffene Familien gehen leer aus. Eine Erzieherin aus NRW meint dazu: „Die gehen das Problem doch an der falschen Stelle an. Gerade für die Familien, die wenig haben, wird es ein Problem, weil sie ihre Kinder vielleicht in Zukunft nicht mehr in eine Kita schicken können. Die Kita bringt den Kindern aber viel. Was dort geboten wird, kann man nicht zuhause ersetzen: soziales Verhalten, miteinander teilen, lernen von den Größeren.“ Eine ehemalige Erzieherin aus Baden-Württemberg sagt: „Zudem wird die Debatte von rückschrittlichen Kräften für eine Spaltung in der Bevölkerung und Diffamierung armer Eltern genutzt: sie würden das Geld dann doch nicht für ihre Kinder ausgeben, sondern für Alkohol und Zigaretten.“

Im Jahr 2008 hatte die Bundesregierung, damals die Große Koalition, beschlossen, dass ab dem 1. August 2013 jedes Kind unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz oder die Betreuung durch eine Tagesmutter haben sollte. Es war auch ein Zugeständnis an die kämpferische Frauenbewegung, die seit langem eine bessere öffentliche Kinderbetreuung fordert und bessere Möglichkeiten für die Frauen, arbeiten gehen zu können. Schon länger war abzusehen, dass die Bundesregierung diesen Rechtsanspruch nicht aufrecht erhalten kann. Während Ministerin Schröder zunächst die Zahlen noch schön rechnete, wurde inzwischen klar, dass bis zu 260.000 Betreuungsplätze fehlen werden. Dabei plante sie von vorne herein nur einen Bedarf für 35 % aller Kinder. Bis heute ist deutschlandweit aber erst eine Quote von 25,4 % erreicht. Dass die Bundesregierung noch nicht einmal diese abgespeckte Versorgung sicher stellen kann, ist ein einziger Offenbarungseid.

Von vielen Seiten kommt massive Kritik an dieser Frauen- und Familienpolitik. Nach einer aktuellen Umfrage des "ARD-Deutschlandtrend" lehnen 69 Prozent der Bevölkerung das Betreuungsgeld völlig zu Recht ab. Verschiedene Organisationen protestieren. Ornella Gounon vom Vorstand des Frauenverbands Courage: "Ich bin der Meinung, dass es ein Rückschritt für die Emanzipation ist, wenn den Frauen, die jahrelang dafür gekämpft haben, im Beruf einen Platz zu haben, das wieder erschwert wird. Auch die Kinder sind die Leidtragenden, weil ihnen soziale Kontakte weggenommen werden." Das Kinderhilfswerk spricht vom "Einstieg in eine Verschlechterung der Standards". Die MLPD fordert ein kostenloses und einheitliches Schulsystem vom Kindergarten bis zur Hochschule - dazu gehört selbstverständlich eine flächendeckende Versorgung mit Kitas!