International
Russland: Massenwiderstand gegen Putin
12.06.12 - Heute haben in Moskau nach Angaben der Opposition 50.000 bis über 100.000 Menschen gegen die Putin-Regierung demonstriert - ungeachtet des neu verabschiedeten verschärften Versammlungsgesetzes, ungeachtet eines massiven Polizeieinsatzes und zahlreicher Razzien und Schikanen im Vorfeld. Die Demonstranten forderten den Rücktritt des Präsidenten, riefen "Putin ins Gefängnis" und "Alle Macht dem Volk!" Die Opposition ist breit gefächert - von teilweise reichen, bürgerlichen Kräften bis hin zur Arbeiterklasse. Der heutige "Marsch der Millionen" markiert einen Höhepunkt im Kampf der russischen Massen gegen die Putin-Regierung und die Faschisierung des Staatsapparats.
Vor allem im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl rissen die Massenproteste seit der Jahreswende nicht ab. Putins Wahlkampf wurde getragen von einer Dominanz auf allen Fernsehkanälen, von Berichten über ein angeblich geplantes Attentat, von angeordneten Betriebsausflügen und bezahlten Pro-Putin-Demonstrationen, um öffentlich Unterstützung für ihn zu bekunden - aber der Massenwiderstand gegen den ehemaligen Geheimdienstchef entwickelte sich in fast täglichen Aktionen weiter. Über 30.000 Menschen demonstrierten allein am 26.2. in Moskau gegen Putin, Zigtausende waren es in anderen Städten. Am Tag nach der Präsidentschaftswahl (4. März 2012) gab es erneut eine Massendemonstration von 20.000 in Moskau und in weiteren Städten, am 10.3. waren in der Hauptstadt wieder 25.000 auf der Straße. Am 6.5., einen Tag vor Putins Amtseinführung, sind es in Moskau schon 100.000 - und das Regime geht brutal gegen sie vor: Es gibt zig Verletzte und Hunderte Festnahmen, auch bei weiteren Demonstrationen werden zahlreiche Menschen festgenommen.
"Die Arbeiterbewegung entwickelt sich Hand in Hand mit der allgemeinen demokratischen Bewegung, die sich im Zusammenhang mit der dritten Präsidentschaft Putins und den vorhergehenden massenhaften Wahlfälschungen entfaltete", heißt es in einer Korrespondenz der ICOR-Organisation Marxistisch-Leninistische Plattform Russlands für die "Rote Fahne" (ausführlich in RF 22). Der tägliche Widerstand richtet sich nicht nur gegen die Präsidentschaft Putins, sondern gegen Willkür und Korruption, gegen die Versagung gewerkschaftlicher und demokratischer Rechte, gegen die Lügen der Medien, die Ermordung kritischer Journalisten, die Bedrohung aktiver Gewerkschafter wie z.B. bei Ford, gegen niedrige Löhne, Leiharbeit, die schlechte soziale Lage usw. Oder auch gegen den Bau einer 18-spurigen Autobahn von Moskau nach St. Petersburg mit Mordversuchen und Schwerverletzten bei den Widerstandskräften.
Insgesamt hat die Zahl der Streiks in Russland erheblich zugenommen. Im Februar streikten die Bergarbeiter in Novoshirokinsk (Baikal-Gebiet) gegen Lohnkürzungen, im April wird im LKW-Werk Ural in Tscheljabinsk gestreikt - gegen niedrige Löhne und die Weigerung, Überstundenzuschläge für Samstagsarbeit zu bezahlen. Sehr bedeutend war der zweitägige Streik im Benteler-Werk in Kaluga, hier ging es um die Angleichung der Löhne an die von VW. Am 1. Mai organisierten kämpferische Gewerkschaften in Moskau eine Demonstration mit 1.000 Teilnehmern - sie richteten sich gegen Leiharbeit, forderten u.a. die 35-Stunden-Woche und die Gewerkschaft der Automobilarbeiter (MRPA) zeigte die Losung: "Weint nicht, organisiert euch!" Anfang Juni gab es eine Hafenarbeiterkundgebung im größten Hafen von Fernost, im Primore-Kreis, gegen befristete Arbeitsplätze und Leiharbeit, für höhere Löhne.
Die Putin-Regierung reagiert auf die Politisierung und Ausweitung der Kämpfe mit einer Verschärfung der Unterdrückung und einer weiteren Faschisierung des Staatsapparats. Putins Sprecher Dmitrij Preskow wird mit dem Satz zitiert, die Polizisten sollten "die Leber der Demonstranten auf den Asphalt schmieren". Am 5.6. schließlich beschließt die Staatsduma eine drastische Verschärfung des Versammlungsgesetzes. Vor allem mit drakonischen Geldstrafen sollen Demonstrationen verhindert werden: So waren bisher für "Verstöße gegen die Vorschriften" für den Veranstalter einer Demonstration umgerechnet bis zu 50 Euro fällig, diese Strafe erhöht sich bis auf 2.500 Euro. Oder wenn ein Kundgebungsteilnehmer "Schäden bei Personen oder ihrem Eigentum verursacht", kann er mit bis zu 7.500 Euro zur Kasse gebeten werden! Das sind natürlich Gummi-Paragraphen, die einschüchtern und Demonstranten finanziell ausbluten sollen.
Um so bemerkenswerter ist, dass sich die Demonstranten heute nicht haben einschüchtern lassen, auch nicht von einem 12.000 Mann starken Polizeiaufgebot. "Sie haben Gesetzbücher und Verordnungen, sie haben Gefängnisse und Festungen (ihre Fürsorgeanstalten zählen wir nicht)", heißt es im Lied "Im Gefängnis zu singen" von Bertolt Brecht. Und weiter: Eines Tages, eh' sie verschwinden, werden sie merken, "dass ihnen das alles nichts mehr nützt".