Betrieb und Gewerkschaft
Leiharbeit in der Pflege steigt drastisch an
08.07.12 - Zwischen 2005 und 2011 ist die Zahl der Leiharbeiter in Pflegeberufen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit um satte 400 Prozent auf 16.350 gestiegen. Durchschnittlich etwa 1.600 Euro brutto im Monat verdient ein Leiharbeiter in der Pflegebranche, deutlich weniger als der Durchschnittslohn im Gesundheits- und Sozialwesen, der Ende 2010 bei 2.456 Euro brutto lag. Leiharbeiter in der Pflegebranche liegen auch deutlich unter der Niedriglohnschwelle für einen Single-Haushalt, die 1.802 Euro brutto beträgt. Eine Familie kann man mit diesem Verdienst nicht ernähren.
Die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit erwartet ein weiteres Anwachsen der Leiharbeit, weil diese "einen Beitrag zur Bekämpfung des drohenden oder in Teilen bereits existierenden Fachkräftemangels darstellt". Leiharbeit beseitigt aber nicht die Ursache des Fachkräftemangels, sondern soll vor allem das Lohnniveau weiter senken. Schon jetzt sind nur etwa ein Drittel der Mitarbeiter in Pflegeheimen staatlich anerkannte Altenpfleger/innen. Sie tragen eine hohe Verantwortung, denn in vielen Pflegeheimen ist es die Regel, dass pro Schicht nur ein examinierter Pfleger mit Hilfskräften die sachkundige Pflege gewährleisten muss. Immer wieder werden schlimme Zustände in Pflegeheimen aufgedeckt, die unter anderem auf völlig überlastetes Personal zurückgehen.
Pflege ist körperliche Schwerstarbeit, die überwiegend von Frauen (laut Bundesagentur für Arbeit zu 83 Prozent) geleistet wird. Löhne und Gehälter von Frauen in Deutschland liegen trotz formaler Gleichberechtigung weiterhin im Durchschnitt um 25 Prozent unter denen von Männern. Kein Wunder, dass es unter solchen Lohn- und Arbeitsbedingungen keinen Run auf Arbeitsplätze in der Pflegebranche gibt. Das sind die wahren Ursachen des Fachkräftemangels!
Die Ausweitung der Leiharbeit ist nur ein Vorbote der noch rigoroseren Unterwerfung der Pflegebranche unter die Profitwirtschaft. Die Pflegebranche erzielte 2009 einen Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro. Investoren entdecken darin einen Wachstumsmarkt, weil mit steigender Lebenserwartung auch die Zahl der zu Pflegenden steigen wird und viele Familien eine häusliche Pflege nicht leisten können.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst und Young hat bereits eine "Pflegemarktstudie" erstellt. Grundvoraussetzung für Maximalprofite ist danach ein Konzentrationsprozess wie auch im Gesundheitswesen, an dessen Ende einige Pflege-Großkonzerne stehen werden. Die Studie hält kleinere Heime mit bis zu 50 Betten wegen der "Kostennachteile" betriebswirtschaftlich nicht für sinnvoll. Kleinere Heime sind in ländlichen Gebieten aber die Regel und damit besonders in ihrer Existenz bedroht. Familien werden dann ihre Angehörigen in Heimen in den Städten unterbringen müssen und dadurch auch mit Fahrtzeiten und -kosten zusätzlich belastet werden.
Die Pflegemarktstudie entwickelt den Vorschlag, dass Pflegeheime durch ambulante Pflegedienstleistungen "ihre Wettbewerbsposition deutlich stärken" könnten. Vorgeschlagen werden darüber hinaus Angebote zum betreuten Wohnen wie die jederzeitige Erreichbarkeit von Hilfspersonen, Telefondienste usw. Für die Mitarbeiter der Pflegeheime wird das zusätzlichen Stress bedeuten, für zahllose ambulante Pflegedienste und Hausnotrufdienste das Aus bzw. für ihre Mitarbeiter Arbeitslosigkeit.