Politik
Hartz IV macht krank
15.07.12 - Menschen, die von Hartz IV betroffen sind, leiden häufiger an chronischen Krankheiten und gesundheitlichen Störungen. Das musste sogar die Bundesregierung Anfang Juni auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Grüne zugeben. Nach Daten der gesetzlichen Krankenkassen und des Robert Koch-Instituts sind Arbeitslose überdurchschnittlich häufig krank, leiden etwa besonders häufig unter Depressionen und Schlafproblemen. Der Anteil psychischer Erkrankungen an den Arbeitsunfähigkeitstagen ist bei Hartz-IV-Betroffenen von 21 Prozent im Jahr 2007 auf heute 25 Prozent gestiegen.
Zynisch stellt die Bundesregierung fest, dass Arbeitslose im Vergleich zu Berufstätigen nur wenig an so genannten "primär-präventiven Seminaren" (Aufklärung über gesundheitliche Risiken) und Kursen der Kassen teilnähmen. Das ist nun nicht verwunderlich, da das Problem bereits beim nicht vorhandenen Geld für den Fahrschein anfängt, um die Maßnahme zu erreichen.
Hartz-IV-Betroffene werden oftmals von den Arbeitsagenturen mit einer Fülle bürokratischer Auflagen schikaniert und gedemütigt. Sie werden dazu aufgefordert, eine möglichst hohe Stückzahl an Bewerbungen vorzulegen. Auch dann, wenn die Bewerbungschancen gering oder völlig aussichtslos einzuschätzen sind. Sie sollen über eine "hohe Arbeitsorientierung" verfügen, eine "starke Bereitschaft zu Zugeständnissen" an den Tag legen und zudem auch noch "Optimismus" zeigen. Wer die vorgegebenen Bemühungen nicht einhält, wird sanktioniert. Derartige Demütigungen machen krank (Studie der Unis Leipzig und Dresden, Frau Prof. Dr. Gisela Mohr vom Institut für Psychologie II der Universität Leipzig).
Eine arbeitslose Kollegin aus dem Kreis Wesel zu "rf-news": "Ich soll dem Jobcenter jeden Monat mindestens zehn komplette Bewerbungen vorlegen, der Sachbearbeiter entscheidet dann, ob ich für eine Bewerbung 5 Euro erstattet bekomme. Bei vielen Bewerbungen weiß ich im Voraus, dass es sinnlos ist. Die Kostenerstattung ist auf 260 Euro im Jahr begrenzt, nach etwas mehr als 5 Monaten bekomme ich also nichts mehr erstattet. Fahrtkosten erhalte ich nur nach vorheriger Anmeldung. Wenn sich also spontan eine Bewerbung ergibt, und ich bei der dauernd besetzten Hotline niemanden erreiche, zahle ich die Fahrtkosten selbst. Wie oft das geht, kann man sich denken. Die vielen bürokratischen Schikanen dienen dazu, dir deinen persönlichen Stolz zu brechen. Aber nicht mit mir!"
Viele Schikanen und unmenschliches, bürokratisches Vorgehen gelangen erst gar nicht an die Öffentlichkeit. Seit Menschengedenken weiß man, dass stillende Mütter einen erhöhten Kalorienbedarf haben und sich entsprechend ernähren müssten. Für Hartz-IV-Betroffene ohne zusätzliche Leistungen kaum zu machen. Das Jobcenter und auch das Sozialgericht Wiesbaden sehen das allerdings anders. Mit Urteil vom 26. April wird festgestellt, dass keine gesetzliche Grundlage besteht, dass stillende Mütter wegen eines höheren Kalorienbedarfs und wegen sonstiger mit dem Stillen verbundener Kosten höhere Hartz-IV-Leistungen erhalten.
Das Bundessozialgericht (BSG) hält die sogenannte Hartz-IV-Reform von 2011 und die damit verbundene Armut für verfassungsgemäß. Am 12. Juli entschied das Gericht: "Die Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende ist nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden." Mit dem Urteil wies das Bundessozialgericht zwei Klagen einer arbeitslosen Frau aus Mannheim ab. Sie hatte geltend zu machen versucht, dass das Existenzminimum durch die neuen Regelleistungen nicht gewährleistet sei. Unter anderem seien die Kosten für Gesundheitsfürsorge, notwendige Versicherungen, Altersfürsorge, Haushaltsreparaturen und kulturelle Veranstaltungen nicht berücksichtigt worden. Das Bundesarbeitsministerium äußerte sich sofort "erfreut" über diese Entscheidung.
Das jüngste Urteil macht deutlich, dass die Hartz-Gesetze nur durch Kampf zu Fall gebracht werden können. Auch am morgigen Montag werden das die Montagsdemonstranten in zahlreichen Städten deutlich machen.