Umwelt
Stahlwerk Ilva/Italien: "Arbeitsplätze UND Umwelt!"
10.08.12 - Am 2. August haben die Stahlarbeiter im süditalienischen Taranto einen 24-stündigen Streik gegen die drohende Schließung des dortigen Stahlwerkes Ilva durchgeführt ("rf-news" berichtete). Solidaritätsstreiks gab es auch in anderen italienischen Werken. Ein Gericht hatte die sofortige Schließung von wesentlichen Produktionsanlagen des größten europäischen Stahlwerks verfügt, weil eine Belastung durch hochgiftige Schadstoffe zu einer erheblichen Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung in der 200.000 Einwohner zählenden Stadt geführt hat. Laut einem Gutachten sollen in den letzten 13 Jahren dadurch allein 386 Menschen zu Tode gekommen sein.
Das ehemalige staatliche Werk ILVA gehört inzwischen zum RIVA-Konzern, dem größten italienischen Stahlproduzenten, dem viertgrößten in der EU. Das Werk in Taranto ist mit 20.000 Arbeitern bestimmend für die Beschäftigung in der Region. Zugleich ist das Werk mit seinen fünf Hochöfen die größte Dreckschleuder Italiens, es stößt über 90 Prozent des Dioxins in Italien aus. Taranto gilt als die Stadt mit der schlimmsten Luftverschmutzung in ganz Italien und Westeuropa. Dioxine gehören zu den gefährlichsten Giften. Einige Milligramm haben tödliche Wirkung.
Die dortige Umweltorganisation macht das Werk zusätzlich verantwortlich für den Ausstoß von jährlich 32 Tonnen polymerischen Verbindungen, 74 Tonnen Blei und 540.000 Tonnen Kohlenmonoxid. Die Folgen dieser systematischen Umweltvergiftung in der Region sind bekannt: Lungenkrebs, Leukämie, Lymphome, Häufung von Missbildung bei Föten schon im Mutterleib, Herzkreislauf- und Lebererkrankungen usw.
Das wachsende Umweltbewusstsein der Bevölkerung hat dazu beigetragen, dass auch RIVA in moderne Filteranlagen investieren musste. 2002 kam es zum ersten Prozess gegen den Ilva-Patriarchen Emilio Riva wegen Einbringung gefährlicher Substanzen in die Umwelt. Doch die Konzernführung stritt alles ab und behauptete sogar, alles "technisch Machbare" sei getan worden. So war es immer wieder die italienische Regierung, die dem Konzern Rückendeckung gab. 2008 veranlasste die Berlusconi-Umweltministerin Stefania Prestigiacomo gar den Abzug von staatlichen Kontrolleuren, die im Ruf standen, zu streng zu sein.
Aber die Umweltbelastung ist derart brisant und die anhaltenden Proteste führten dazu, dass die Justiz an einem Eingreifen nicht vorbei kam. Die Regierung in Rom reagierte aufgeschreckt. Umweltministerin Carrado Clini forderte eine zügige Überprüfung des Stilllegungsbeschlusses, um den endgültigen Produktionsstopp abzuwenden. Und tatsächlich: Vor zwei Tagen hat das örtliche Gericht den Schließungsbeschluss wieder aufgehoben und fünf der acht verhafteten Mitglieder der Geschäftsleitung wieder auf freien Fuß gesetzt. Trotz der verschärften Wirtschafts- und Finanzkrise erhält die Region Apulien in einem Eilbeschluss mehr als 300 Millionen Euro Steuergelder zur Sanierung des verseuchten Geländes.
Die Angst vor dem Verlust der Arbeitsplätze verbindet sich in Taranto mit dem gewachsenen Bewusstsein, dass der Kampf um Arbeitsplätze und Umweltschutz als Einheit geführt werden muss. Unter dieser zentralen Losung hatte auch die Metallgewerkschaft FIOM zum Streik aufgerufen: "Arbeitsplätze UND Umwelt!". Die Anklage eines Stahlarbeiters ist deutlich: "In meiner Abteilung sind drei meiner Kollegen gestorben. Es kann kein Zufall sein, dass vier Arbeiter einer Abteilung dieselbe Krankheit haben." ("Tagesschau" vom 2.8.12).
Der Streik hatte eine große Ausstrahlung auch auf andere Belegschaften. So solidarisierten sich sowohl die Stahlkocher in Norditalien als auch bei RIVA in Hennigsdorf (Brandenburg). Die Stahlarbeiter sind herausgefordert, einen gemeinsamen, entschlossenen Kampf für die Arbeitsplätze UND die Rettung der Lebensgrundlagen der Menschen zu führen sowie ihre Kämpfe zu koordinieren und allen Spaltungsmanövern entgegenzutreten.