Frauen

Hashtag "#609060" - Wie sehen "echte Frauen" aus?

09.09.12 - Der Hashtag "#609060" ist ein Link auf Twitter und Instagram, auf dem ganz normale Frauen Fotos von sich posten. Allen gemeinsam ist, dass sie nicht wie Models aussehen, eben nicht die Maße 90-60-90 besitzen, und dass sie das gängige Schönheitsideal aus den Illustrierten ablehnen. Dutzende Frauen mit Kleidergröße 34 bis 48 veröffentlichen ihre oft erstellten Photos, z.B. als Blick in den Spiegel kurz vor dem Verlassen des Hauses. 

Die Bloggerin "Journelle" veröffentlichte im August einen Text, in dem sie kritisierte: "Warum ist es nicht möglich, dass Mode nicht für einen Idealkörper von 60-90-60, sondern für individuelle Körpergruppen gemacht wird?" Aus der bewussten Umstellung der Idealzahlen für Brust-, Taillen- und Hüftumfang von 90-60-90, wurde der Hashtag "#609060" – und eine neue Bewegung im Netz.

Inzwischen ist darüber im Internet eine entfaltete Diskussion vor allem unter Frauen entstanden. "Welche Maße sind eigentlich normal? Muss Mode immer bei Größe 42 enden?" usw. Auch Patricia Cammarata, die auf "Das Nuf Advanced" bloggt, sieht das so: "Egal welche Kleidergröße – letztendlich geht es doch darum zu zeigen, wie schön die Vielfalt ist und wie langweilig die standardisierten und gephotoshoppten Kunstmenschen der bunten Medienwelt sind."  

Die Diskussion ist auch eine Reaktion auf den Rückzieher der Frauenzeitschrift "Brigitte". Sie hatte 2010 medienwirksam angekündigt, statt Models nur noch "echte" Frauen im Heft abzubilden. Als "Beginn einer neuen Zeitrechnung" war die Aktion in der Modewelt damals beworben worden. Allerdings wurde von vielen Leserinnen kritisiert, dass sie dennoch insgesamt das bürgerliche Frauenideal weiterhin hochgehalten hatte.

Zweieinhalb Jahre später will der neue Chefredakteur die Aktion beenden: "Echte Frauen für Shootings zu finden, sei einfach schwierig." In Wirklichkeit geht es ihm darum, das bei Auflage und Anzeigen kriselnde Magazin wieder nach vorne bringen. Und dafür ist natürlich jedes Mittel recht. Da wird dann eben die "neue Zeitrechnung", ein Zugeständnis an das gewachsene Selbstbewusstsein der Frauen, kurzerhand dem Profit geopfert.

Und es wirken märchenhafte Profite: Die Textil- und Bekleidungsindustrie erwirtschaftet in Deutschland als zweitgrößte Konsumgüterbranche nach der Nahrungsmittelindustrie mit rund 130.000 Beschäftigten einen jährlichen Umsatz von rund 28 Milliarden Euro. Der Bedarf wird durch die saisonal wechselnden Moden künstlich hoch gehalten. Sie richtet sich vor allem an Frauen, die von klein auf mit einem Schönheitsideal konfrontiert werden.

In dem Buch: "Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau - eine Streitschrift" steht dazu: "Über Gefühle und Gewohnheiten wirken die modernen Ketten der bürgerlichen Moral, die wie ungeschriebene Gesetze das praktische Verhalten bestimmen... Von klein auf werden besonders Mädchen mit Spielzeug wie der 'Barbie-Puppe' oder über spezielle Zeitschriften wie 'Bravo-Girl' mit Schönheits-Normen unter Druck gesetzt. Und dazu erzogen, ihren Wert und ihr Selbstvertrauen vornehmlich aus ihrer Figur und ihrem Aussehen zu ziehen." (Seite 77) Die Modeindustrie profitiert von diesem Anpassungsdruck.

Der "Hashtag #609060" ist Ausdruck eines gewachsenen Frauenbewusstseins. Der Frauenpolitische Ratschlag am 15./16. September in die Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg ist das geeignete Forum für alle Frauen, sich darüber auszutauschen, ihre Erfahrungen einzubringen und sich mit kämpferischen Frauen aus ganz Deutschland und vielen Ländern der Welt zu verbinden. Wir unterstützen das Anliegen und laden herzlich dazu ein.