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EZB kauft unbegrenzt Staatsanleihen - wohin steuert die EU?
08.09.12 - Die auch im bürgerlichen Lager umstrittene Entscheidung der Europäischen Zentral Bank (EZB), künftig in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen von hoch verschuldeten Euro-Krisenländern aufzukaufen, löste an den Aktienmärkten ein Kursfeuerwerk aus, der Deutsche Aktienindex DAX stieg mit 7.194 Punkten auf den höchsten Stand seit August 2011. Die Spekulanten klatschen Beifall und loben diesen Akt als "Beruhigung der Märkte". Unter den führenden imperialistischen Ländern der EU hat das aber neue Streitigkeiten entfacht.
EZB-Chef Mario Draghi, von 2002 bis 2005 Vizepräsident der US-Bank Goldmann Sachs, ist Initiator dieses Beschlusses. Verschiedene Politiker der schwarz-gelben Regierung sprechen sich offen gegen diese Maßnahmen aus. Der Chef der Bundesbank, Jens Weidmann, stimmte als einziger im Zentralbankrat gegen den Beschluss.
Bereits in der Vergangenheit hat die EZB bestimmte Mengen Staatsanleihen der Euro-Krisenstaaten gekauft. Damit sollte die Eurokrise eingedämmt werden, was jeweils nur kurzfristig gelang. Am 9. September 2011 trat der deutsche Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, zurück – aus Widersprüchen gegen die Anleihekäufe. Unter Führung von Mario Draghi stellte die EZB Ende Februar 2012 den Banken rund eine Billion Euro praktisch zum Nullzins zur Verfügung. Inzwischen hat sich die Eurokrise zu einer Krise der EU ausgeweitet.
Mit dem Beschluss kauft die EZB künftig Staatspapiere auf, die vorher von Banken oder Hedgefonds gehalten wurden. In der Vergangenheit kaufte sie diese Papiere zu einem Kurswert auf, der deutlich unter 100 Prozent lag. Bereits die Ankündigung der EZB heizte die Spekulation mit Staatsanleihen an und ließ die Kurse dafür steigen. Der Aufkauf von Staatsanleihen erfordert, neues Geld zu drucken, was die Gefahr einer verstärkten Inflation bedeutet.
Der Beschluss des Zentralbankrates der EZB beinhaltet eine Abkehr von der ursprünglichen insbesondere von Deutschland geforderten Beschränkung der EZB auf eine Geldmengenregulierung im Euro-Raum. Die besteht vor allem darin, durch Festlegung der Leitzinsen unter anderem auch einer galoppierenden Inflation in den Euro-Ländern entgegen zu wirken.
Im Rahmen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion haben die nationalen Zentralbanken diese Funktion an die neu gegründete EZB abgegeben. Mit dem Beschluss der EZB zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen wird die nationale Souveränität der schwächeren Euroländer weiter eingeschränkt. Die Aufkäufe der Staatsanleihen werden mit Auflagen an die jeweiligen Länder verbunden. Die EZB soll künftig das Recht zum Einblick in Geldinstitute sowie zur Erteilung und zum Entzug von Banklizenzen erhalten.
Sorgenvoll weist Alfred Ritschl, Professor für Wirtschaftsgeschichte der "London School of Economics" auf die Zwickmühle hin, die sich daraus für die führenden EU-Länder ergeben: "Das sind Eingriffe in die Souveränität der beteiligten Länder und die Regierungen in Südeuropa sind natürlich dann ganz schnell Diener zweier Herren. Sie haben also einerseits uns internationale Gläubiger und möglicherweise auch noch die EZB am Hals und andererseits ihr eigenes Wahlvolk, das natürlich von solchen Einschnitten überhaupt nicht begeistert ist. Das haben wir jetzt schon gesehen im Falle Griechenlands und das wird in anderen Ländern auch noch problematisch werden." ("Deutschlandradio", 6.9.12).
Die Erweiterung der Befugnisse für die EZB sind ein Schritt hin zu einem europäischen Bundesstaat. Sie verschärfen jedoch die Widersprüche zwischen den führenden und kleineren EU-Staaten und auch unter den führenden imperialistischen Ländern Deutschland, England und Frankreich, sowie zwischen dem internationalen Finanzkapital und den nationalen Monopolen. Die Arbeiterkämpfe und der aktive Volkswiderstand in Europa haben neben ihren nationalen Regierungen einen gemeinsamen Feind, was auch einen engeren länderübergreifenden Zusammenschluss notwendig macht.
Darüber den Klärungsprozess voranzutreiben und die notwendigen Schlussfolgerungen zu beraten, diese Aufgabe stellt sich das Europa-Seminar von MLPD und ICOR am 1./2. November 2012 in Dortmund. Es wird drei Themenblöcke geben, die sich mit der Entwicklung der EU u einem imperialistischen Machtblock, mit den Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise für Europa und dem Stimmungsumschwung unter den Massen und einem Aufschwung von Massenkämpfen beschäftigen. Dazu sind alle Interessierten herzlich eingeladen (Informationen zum Europa-Seminar hier).