Politik
Bundesweite Montagsdemo-Bewegung sagt künftiger Regierung den Kampf an
19.10.13 - Pünktlich um 12 Uhr begrüßten Fred Schirrmacher aus Berlin und Frank Oettler aus Halle rund 1.000 Kundgebungs-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer zur 10. bundesweiten Herbstdemonstration gegen die Regierung in Berlin. Aus dem ganzen Land, aus Saarbrücken, von der schwäbischen Alb, aus München, dem Ruhrgebiet, Hamburg, Leipzig, Dresden, Dessau und Dutzenden weiterer Städte waren sie gekommen, um auch der neuen Regierung den Kampf anzusagen. "Denn", so viele Teilnehmer, "jede der für eine Regierung in Frage kommenden Parteien hat bereits klar gemacht, dass sie an den Hartz-Gesetzen festhalten wollen". An ihrem 10. Geburtstag wurde die ganze Kompetenz deutlich, die sich diese Bewegung inzwischen erkämpft hat.
Neben der Kompetenz in allen sozialen Fragen ist der Kampf zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlage heute fester Bestandteil der rund 80 oft wöchentlichen Montagsaktionen bundesweit. Lutz Wilmering von der AKW-Mahnwache, die jeden Montag und Donnerstag vor dem Kanzleramt stattfindet, steht dafür ebenso wie Jochen Schaaf von der "Bürgerbewegung für Kryo-Recycling, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz" und eine Vertreterin der Initiative für eine Umweltgewerkschaft.
Ein Montagsdemonstrant aus Reutlingen berichtet, wie Hartz-IV-Betroffenen der Strom abgestellt wurde, weil sie ihn nicht mehr bezahlen konnten. Für die Abstellung verlangte die Stromgesellschaft 50 Euro Gebühr. Und für die Wiedereinschaltung – nachdem die Rechnung bezahlt war – verlangte sie dreist erneut 50 Euro. Ein Demonstrant aus Leipzig titulierte die sich derzeit anbahnende Große Koalition bereits als kommende "Achse des Bösen". Von ihr erwarten die Aktivisten nichts. "Wir haben drei Regierungen überlebt und wird werden so lange wiederkommen, bis die Hartz-Gesetze fallen", da waren sich viele einig.
Zu den Markenzeichen der Bewegung gehört auch eine einzigartige Kultur. So traten zwischen den unzähligen Redebeiträgen immer wieder Kulturgruppen aus verschiedenen Städten auf. Die Solidarität mit den kämpfenden Belegschaften war wieder ein Schwerpunkt. Viel Beifall erhielt Petra Wezel von der Norgren-Belegschaft aus Großbettlingen. Sie befinden sich seit letzten Montag im unbefristeten gewerkschaftlichen Streik gegen die Schließung ihres Werkes (siehe "rf-news"-Bericht).
Bochumer Opelaner bedankten sich bei der Montagsdemo-Bewegung für zehn Jahre aktive Solidarität mit ihrem Kampf um ihre Arbeitsplätze. Die Montagsdemo-Bewegung wiederum sagte ihre uneingeschränkte Solidarität mit dem bevorstehenden selbständigen Streik in Bochum zu. Einer der Opelaner hob als eine besondere Stärke der Montagsdemo-Bewegung hervor, dass der moderne Antikommunismus dort seit Jahren eigentlich wenig Chancen hat. Andere verwiesen auf die demokratische Kultur der Bewegung.
Am offenen Mikrophon während der Demonstration sprachen auch Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet gegen den dort offenkundigen Umweltskandal einer massenhaften Giftmülleinlagerung unter Tage, Kolleginnen und Kollegen von Ford, Siemens, Infineon und vielen anderen. Rund 1.000 Teilnehmer zählte die Demonstration, wobei – wie in Berlin üblich – sich immer wieder zeitweise Berlinerinnen und Berliner anschlossen.
Stefan Engel, der Vorsitzende der MLPD, sprach unter anderem auf der Anschlusskundgebung. Er beglückwünschte die Bewegung für ihre Standfestigkeit und ein einzigartiges Rückgrat. "Die Bewegung war schon immer das soziale Gewissen in Deutschland. Sie hat sich inzwischen aber auch zum demokratischen, ökologischen und internationalistischen Gewissen entwickelt. Dieser politische Faktor ist einmalig im Nachkriegsdeutschand. Auch wenn die Bewegung heute keinen Massencharakter hat, sitzt sie bei den Koalitionsverhandlungen heimlich mit am Tisch. Die herrschenden Monopole in Deutschland fordern von der künftigen Regierung bereits weitere Gesetze nach dem Vorbild der Hartz-Gesetze. Dann wird unser Widerstand auch wieder anwachsen."
Er sprach aber auch die Linkspartei an: "Ich freue mich über jeden Kollegen der Linkspartei, der heute hier ist und gesprochen hat." So sprach unter anderem ein Vertreter der Fraktion der Linkspartei aus Hamburg-Altona. "Aber", so fuhr Stefan Engel fort, "ich ärgere mich enorm über die Führung der Linkspartei. Warum ist sie heute nicht hier? Hier auf der Straße werden doch die sozialen Forderungen durchgesetzt und nicht durch Gelaber im Parlament."
Eine besondere Rolle spielte dieses Jahr auch das Flüchtlingsdrama im europäischen Mittelmeer. Obwohl akut von Abschiebung bedroht, waren auch zwei afrikanische Flüchtlinge dabei, die nach über zwei Jahren auf Lampedusa derzeit in Hamburg gelandet sind. Die Polizei und der SPD-Senat versuchen sie und weitere Flüchtlinge derzeit trotz Kirchenasyl abzuschieben. Die Montagsdemo in Hamburg ist hier schon länger in der Solidarität aktiv.
Weitere Rednerinnen waren unter anderem Lisa Gärtner für den Jugendverband REBELL sowie Brigitte Ziegler und Brigitte Gebauer vom Frauenverband Courage. Viel Applaus fand auch ein Grußwort der gemaßregelten Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann, die aus Krankheitsgründen leider nicht teilnehmen konnte. Auch Grüße der Migrantenorganisation ATIF wurde überbracht, von der viele Fahnen auf der Demonstration zu sehen waren.
"Es war einfach Klasse", so das stolze Resümee von Dennis, Montagsdemonstrant aus Stuttgart zum heutigen Tag. Keine Einzelmeinung.
Hier ist noch ein Bildreport über den heutigen Tag und die "Rote Fahne"-Druckausgabe wird nächste Woche mit einem Titelthema zur Flüchtlingsfrage erscheinen (die "Rote Fahne" kann hier bestellt werden).