Wirtschaft
Volksabstimmung in der Schweiz: Was steckt hinter der knappen Mehrheit für die Begrenzung der Einwanderung?
12.02.14 - Bei einer Volksabstimmung in der Schweiz am 9. Februar erhielt die Initiative gegen "Masseneinwanderung" der ultrareaktionären "Schweizerischen Volkspartei" (SVP) eine knappe Mehrheit von 50,3 Prozent. Mit 56 Prozent haben sich knapp über die Hälfte der Schweizer daran beteiligt. Während die führenden EU-Politiker bei allen Gelegenheiten ihre eigene reaktionäre Einwanderungspolitik als notwendige "Steuerung" der Migration verteidigen, wird jetzt gegen die angeblich hinterwäldlerischen Schweizer Stimmung gemacht, deren Votum "erhebliche Probleme" aufwerfe (Regierungssprecher Seibert). Innerhalb von drei Jahren soll laut der SVP-Initiative nun festgelegt werden, wie viel Einwanderung es in der Schweiz noch geben darf. Vorrang auf dem Arbeitsmarkt sollen Schweizer Staatsbürger haben.
Auch bei der "freizügigen" Migrationspolitik der EU geht es aber um die optimale Verwertung der Arbeitskräfte im Interesse des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals. Die Schweiz ist eng mit der EU verflochten, mit der sie 60 Prozent ihres Außenhandels abwickelt. Nach eigenen Angaben wird jeder dritte Schweizer Franken im Austausch mit der EU verdient. Deshalb stellten sich in der Schweiz auch der Bundesrat und die Spitzen der Unternehmerverbände gegen die Initiative.
Zweifellos handelt es sich bei der SVP-Initiative um einen reaktionären Vorstoß, der sich nationalistischer Vorbehalte bedient und diese schürt. Dahinter stecken auch in der Schweiz wachsende Widersprüche zwischen der kleinen Spitzengruppe der internationalen Übermonopole sowie kleineren Monopolen und der nichtmonopolisierten Bourgeoisie.
Das Abstimmungsergebnis kann aber allgemein nicht als Ausdruck einer reaktionären Entwicklung unter den Massen gedeutet werden. Der Vorsprung der Befürworter der SVP-Initiative betrug gerade mal rund 20.000 Stimmen. Umgerechnet auf alle Wahlberechtigten haben 26,2 Prozent dafür gestimmt. In einer gleichzeitig durchgeführten Volksabstimmung erteilten 70 Prozent der Initiative für eine private Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen eine klare Absage und sprachen sich damit gegen die Empfehlung der ultrareaktionären SVP aus.
Genossen der MLGS (Marxistisch-Leninistischen Gruppe Schweiz, Mitglied der ICOR) berichten, dass bei der knappen Mehrheit für die Initiative zur Beschränkung der Migration auch die Ablehnung der Erpressung durch die EU eine große Rolle spielte, die mit "weitreichenden Konsequenzen" usw. drohte. Die seit 2002 geltende "Freizügigkeit" für Bürger von 15 EU-Staaten hat gerade in den an Deutschland, Frankreich und Italien angrenzenden Kantonen zur massiven Absenkung des Lohnniveaus geführt, weil immer mehr Einwanderer - oft illegal - zu Niedrigstlöhnen beschäftigt werden.
Nicht wenige des relativ hohen Anteils von 23 Prozent Migranten in der Schweiz sind aber alles andere als arm, sondern reiche Steuerflüchtlinge, die den Massen in der Schweiz genauso auf der Tasche liegen wie in ihren Herkunftsländern. Das wird von der Schweizer Bevölkerung völlig berechtigt kritisiert, was sich ebenfalls in dem Abstimmungsergebnis ausdrückt. Nicht selten hat die Allianz von Unternehmerverbänden und rechten Gewerkschaftsführern auch zu Reaktionen geführt wie: "Wenn die schon dagegen sind ..."
In einem Kurzinterview berichtet ein Vertreter der MLGS: "Vor zwei Wochen haben 20 Gewerkschafter ein Flugblatt herausgegeben und zum Protest dagegen aufgerufen, dass der Präsident der SVP, Brunner, zu einer gewerkschaftlichen Podiumsveranstaltung eingeladen wurde. Der Einfluss der SVP spaltet die Arbeiterklasse, lenkt gezielt von einem klaren Arbeiterstandpunkt ab und schürt nationalistische, religiöse, kulturelle und antikommunistische Vorbehalte. Über den Protest wurde auch in der 'Neuen Zürcher Zeitung' berichtet."
Noch am Abend des Abstimmungstags kam es in mehreren Schweizer Städten zu spontanen Protesten gegen die als rassistisch empfundene Initiative. In Luzern, Zürich, Basel und der Bundeshauptstadt Bern gingen jeweils mehrere hundert Menschen auf die Straße. Sie forderten "Solidarität statt Fremdenhass" und ein "Ende der rassistischen Migrationspolitik".
Der Vertreter der MLGS ergänzt: "Gegen den Nationalismus setzen wir die internationale Solidarität und den gemeinsamen Kampf für den Sozialismus. Der Zusammenschluss in der ‘Internationalen Koordination revolutionärer Parteien’ (ICOR) ist dafür vorwärtsweisend."