Politik
Innenministerium: Die Mär von der Zunahme "brutaler linksextremer" Straftaten
06.05.14 - So manch einer wird sich bei der Vorstellung der Kriminalstatistik für politisch motivierte Straftaten am vergangenen Dienstag ungläubig die Augen gerieben haben. Da dozierte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mediengerecht mit hartem Blick in die Kamera, über die Gewalt "politisch linksextrem motivierter Täter" und erklärte, die Zahl "linksextremer Straftaten" habe genauso zugenommen wie sie "brutaler geworden" seien.
Dazu passend wurden Zahlen veröffentlicht. Demnach hätten Linke im vergangenen Jahr 8.673 politisch motivierte Straftaten verübt - 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Erstaunen ist berechtigt. Ist die Zahl von Straftaten mit faschistischem Hintergrund doch mit 17.042 rund doppelt so hoch. Allerdings wurde daraus keine große Medienshow gemacht.
Doch der Antikommunismus von Innenminister de Maizière, der schon zu seiner Zeit als Verteidigungsminister im Bezug auf faschistische oder faschistoide Entgleisungen in der Truppe eher blind war, wirkt sich auch auf seine Zählweise aus. So sind bei den angeblichen "brutalen Straftaten" auch sämtliche Sitzblockaden gegen Faschisten im letzten Jahr eingerechnet - die Gesamtzahl dieser "Verstöße" ist von 802 auf 1924 gestiegen. Außerdem zählen dazu jetzt auch Ordnungswidrigkeiten wie das Herunterreißen faschistischer Wahlplakate.
So findet sich also jeder, der aktiv daran teilgenommen hat, dass Faschisten keinen Platz und keine Stimme auf der Straße gefunden haben, als "linksextremer Straftäter" in der Kriminalitätsstatistik wieder. Dabei hat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 solche Blockaden nicht grundsätzlich für illegal erklärt. Während faschistische Aufmärsche am 1. Mai wie in Dortmund also von Gerichten erlaubt werden, ist die Verhinderung derselben eine "kriminelle Straftat".
Dabei gehören diejenigen, denen die Polizei hier immer wieder die Straße freiprügelt, nach dem Potsdamer Abkommen längstens als Nachfolger der faschistischen NSDAP verboten. Würde das endlich erfolgen, würde sich ein guter Teil der angeblich "linken Straftaten" in Luft auflösen.
Wie einseitig die deutschen Behörden agieren, macht auch die "Aufklärung" des faschistischen NSU-Terror deutlich. Seit einem Jahr läuft heute der Prozess gegen Beate Zschäpe. Der Anwalt zweier der Opfer, Mehmet Daimagüler, zieht eine negative Bilanz auf "Deutsche Welle": "Es war kein so gutes Jahr, wenn man die Erwartung hatte, dass wir in diesem Verfahren die Wahrheit erfahren werden. Zur Wahrheit gehören die Hintergründe: Warum wurden diese Menschen getötet? Gab es örtliche Helfershelfer? Welche Rolle spielten V-Leute und Verfassungsschutzbehörden? All diese Fragen kommen zu kurz und ich denke, dass das dazu führen wird, dass wir nur einen Teil der Wahrheit erfahren werden."
Während sich das Innenministerium also wegen einer paar zerstörter Faschisten-Plakaten echauffiert, werden gleichzeitig ausgehend vom Bundeskriminalamt hunderte Tötungsdelikte neu bewertet. Eine bundesweite Überprüfung von 3.300 unaufgeklärten Morden, Mordversuchen und Totschlägen im Dezember 2013 hatte ergeben, dass es bei 746 Fällen mit 849 Opfern möglicherweise einen neofaschistischen Hintergrund gegeben hat. Wie viele der Opfer die Attacken überlebt haben, gab das BKA auf Nachfrage von "rf-news" nicht bekannt.
Offensichtlich hat man auch im Innenministerium mittlerweile gemerkt, dass mit dieser Statistik der antikommunistische Hammer etwas zu plump geschwungen wurde. Laut der "Süddeutschen Zeitung" ist eine Überarbeitung des Themenkatalogs für politische Straftaten angekündigt worden – allerdings erst für nächstes Jahr. Man wird sehen, was daraus wird. Mit der richtigen Zählweise kann der Innenminister den faschistischen Terror vielleicht bald als marginale Randerscheinung darstellen.