International

Zynische Idee: Fußballstadion soll nach der WM als Knast dienen

Zynische Idee: Fußballstadion soll nach der WM als Knast dienen
Polizei geht gegen die Proteste vor (foto: fernando frazão/ABr)

01.06.14 - In knapp zwei Wochen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Millionen von Menschen freuen sich auf das spannende Sportereignis, der WM-Spielplan diktiert vielerorts Arbeits- und Terminpläne, Public Viewing und private Wetten werden organisiert. Zugleich stand ein großes Sportereignis selten unter so widersprüchlichen Vorzeichen.

Einerseits fiebern Millionen Menschen auf der ganzen Welt der Fußball-WM der Männer entgegen und freuen sich auf spannende Spiele. Auf der anderen Seite sehen wir Bildern von brutalen Polizeiübergriffen gegen Armenaufstände in Rio de Janeiro und hören von zahlreichen auch tödlichen Unfällen von Arbeitern auf den Baustellen der WM-Stadien. Kinderkrippen und Schulen, Sanitätseinrichtungen und günstige Wohnungen, Kanalisation und eine regelmäßige Müllabfuhr versprach die Regierung. Nichts davon wurde eingehalten – im Gegenteil: weil in den Elendsvierteln die Protestbewegung besonders stark ist, wurden im Vorfeld der WM mehrere solcher Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht, die Bevölkerung vertrieben. In Manaus versprach der Gouverneur den Bau einer Schwebebahn. Blechlawinen schieben sich durch die Stadt, man kann kaum atmen. Aus der Schwebebahn wurde nichts.

Milliarden wurden seit 2007 für die zwölf Spielorte in Brasilien ausgegeben. Selbst die Fifa hatte nur acht Stadien gefordert. Der damalige brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula hatte versprochen, alles würde privat finanziert. Auch davon kann nicht die Rede sein. Die Bausumme ist mit ca. 2,6 Milliarden Euro dreimal so hoch wie geplant. Sie wird weitgehend auf die brasilianische Bevölkerung abgewälzt, die noch Jahrzehnte von einer daraus resultierenden Schuldenlast gedrückt werden wird. Die Spielplätze der WM 2014 sind teurer als die in Deutschland 2006 und in Südafrika 2010 zusammen.

In Manaus, einer Zwei-Millionenstadt mitten im brasilianischen Regenwald, wurde für vier Vorrundenspiele der Weltmeisterschaft die Arena da Amazonia aus dem Boden gestampft. Manaus ist Freihandelszone, internationale Konzerne, darunter BMW, haben wegen der Subventionen und Steuervorteile Produktionsstandorte hier errichtet. Im Norden der Stadt liegen die Favelas. Bis 2011 stand an der Stelle des neu errichteten gigantischen Stadions eines mit 32.000 Plätzen. Aktivisten vor Ort hielten es für völlig ausreichend, wenn man schon in Manaus WM-Spiele austragen wolle. Die Fifa, treuer Diener internationaler Baumonopole, monierte mangelnde Notausgänge. Das Stadion wurde abgerissen. Beim Neubau – sein Architekt entwarf auch den neuen Berliner Flughafen – starben mindestens vier Menschen. Es kostet 219 Millionen Euro, mehr als das Stadion von Juventus Turin. Pro Saison wird der Bau weitere zwei Millionen Euro verschlingen. Einen Vorgeschmack auf die künftige Auslastung gab ein Pokalmatch zwischen dem Gastgeber Nacional, der in der vierten Liga spielt, und Sao Luiz. 3.475 Zuschauer verloren sich in den Reihen, die 44.310 Sitzplätze bieten.

Tagelöhner auf der Baustelle von Manaus bekommen umgerechnet 1,28 Euro. Goldene Nasen verdienen sich die Baukonzerne im Auftrag der Fifa: darunter der Konzern Odebrecht und in Manaus das Konglomerat Andrade Gutierrez. Um die Welt ging die Idee des Richters Sabino Marques da Silva: das Stadion könne doch nach der WM, da es fußballtechnisch wirklich nicht gebraucht wird, als Knast fungieren. Man könne 6.000 Strafgefangene unterbringen und es sei auch Platz genug, um "gefährliche von weniger gefährlichen Delinquenten zu trennen", ließ Da Silva verlauten.

Für das internationale Finanzkapital und Baukonzerne sind die Groß-Projekte der Fußball-WM – dazu gehören auch Eisenbahnlinien, Flughäfen und Straßen – eine garantierte Möglichkeit, ihr überschüssig angehäuftes Kapital maximalprofitbringend zu investieren. In allen größeren Städten in Brasilien hat die WM-kritische Protestbewegung am vergangenen Freitag zu Demonstrationen aufgerufen. In Rio de Janeiro und in Sao Paulo schlossen sich streikende Busfahrer und Lehrer dem Protestzug an. Die Bewegung wird in wöchentlich sich treffenden Volkskomitees organisiert. Sie protestiert gegen die Korruption, die Milliardenausgaben für die WM, die Polizeigewalt gegen die Demonstranten und die Bevölkerung der Elendsviertel und fordert Investitionen in Bildungs- und Gesundheitswesen und für den öffentlichen Nahverkehr. Wie in anderen Städten entstand auch in Manaus die Bewegung, als der Preis für die Bustickets erhöht wurde. An der bisher größten Demonstration nahmen 200.000 Menschen teil.

Diese Bewegung gehört international unterstützt. Fußballbegeisterung steht dazu nicht im Widerspruch.

Die ICOR hat sich auf ihrem vor Weltkongress, der vor kurzem stattgefunden hat, auch mit der Bewegung in Brasilien befasst. "Die Protestwelle 2011, inzwischen 'arabischer Frühling' genannt, ist noch nicht zu Ende", heißt es in der Resolution "Zu den demokratischen Bewegungen". Und weiter: "Es ist nicht so, als wären solche Proteste auf die arabischen Länder beschränkt. Die massiven Proteste an anderen Orten zeigen, dass dies eine allgegenwärtige Erscheinung ist. Auf anderer Ebene gab es in diesem Zeitraum Proteste in Bangladesch gegen den islamischen Fundamentalismus und in Indien gegen Korruption und Überfälle auf Frauen. Aufruhr gab es in Brasilien, Mauretanien, der westlichen Sahara usw. All diesen Protesten ist gemeinsam, dass sie sich gegen Korruption richten und für Demokratie eintreten. In fast all diesen Protesten erhoben sich Stimmen gegen korrupte Praktiken, Preiserhöhungen, Arbeitslosigkeit usw." (Die ganze Resolution lesen)