Jugend
2015: Zehn Jahre Hartz IV – Die wirklichen Auswirkungen
02.01.15 - Gestern vor zehn Jahren traten die Hartz-IV-Gesetze in Kraft. Dazu zieht die Bundesregierung Bilanz. Danach ist die Rechnung einfach: Die damalige Massenarbeitslosigkeit von über 5 Millionen wurde angeblich auf heute 2,7 Millionen Arbeitslose fast halbiert. Der "Stern" schreibt, Angela Merkel kann "Deutschland jetzt als mustergültig verkaufen. Und den Ruhm einstreichen, aus dem 'kranken Mann', als der die deutsche Ökonomie vor zehn Jahren galt, ein Kraftpaket gemacht zu haben. So tourt sie durch Europa und empfiehlt, es den Deutschen gleichzutun." Wie sieht die Bilanz tatsächlich aus?
Den Beweis, dass neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, treten weder SPD/Grüne, die Hartz IV eingeführt haben, an, noch Angela Merkel, die sich heute dafür rühmt. Die vorhandene Arbeit wurde lediglich auf mehr Leute verteilt. Das belegt die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland. Sie liegt mit gut 58 Milliarden Stunden noch unter dem Niveau von 1990 von knapp 60 Milliarden Stunden. Massenhaft Unterbeschäftigung mit Teilzeit- und Mini-Jobs war die Folge. Bereits Mitte 2012 ermittelte das Statistische Bundesamt eine Zahl von 7,4 Millionen Erwerbsfähigen, die entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt sind.
Auch die Zahl der Arbeitslosen ist manipuliert. So werden 2,442 Millionen Arbeitssuchende aus den Reihen der ALG II-Bezieher aus unterschiedlichen Gründen nicht zur offiziellen Arbeitslosigkeit gezählt. Dazu zählen unter anderem arbeitslose Menschen über 58 Jahre, die in irgendeine „Maßnahme“ oder „Transfergesellschaft“ wie jetzt bei Opel in Bochum gesteckt werden.
Hartz IV war vor zehn Jahren auch nicht entwickelt worden, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Von Anfang an ging es vor allem darum, mit dem Zwang jede Arbeit annehmen zu müssen die Lohnkosten der Kapitalisten zu senken. Das ist auch trefflich gelungen.
Mit dem Zusammenlegen der Sozialhilfe mit der früheren Arbeitslosenhilfe zum ALG II verloren die Werktätigen den Anspruch auf eine Versicherungsleistung. Sie wurden zu Bittstellern degradiert, die Bedürftigkeit nachweisen müssen.
Nach einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) sind immer mehr Beschäftigte, die arbeitslos werden, sofort auf Hartz IV angewiesen. 2012 war dies bereits jede(r) Vierte. Entweder war die Beschäftigungszeit zu kurz für einen Anspruch auf ALG I oder sie verdienten so wenig, dass ihr geringes Arbeitslosengeld mit ALG II aufgestockt werden muss. Nach DGB-Angaben waren allein 2011 von den knapp 2,8 Millionen neu registrierten Arbeitslosen 736.000 unmittelbar auf staatliche Grundsicherung angewiesen (01.09.12 - DGB-Studie: Arbeitslose schneller in ALG II).
Die Arbeitslosigkeit wurde nicht beseitigt, sondern Deutschland zu einem Niedriglohnland in Europa. Mit 22,2 Prozent Niedriglohnanteil liegt Deutschland weit über dem europäischen Durchschnitt von 17 Prozent. 1,3 Millionen Menschen können heute von ihrer Arbeit nicht leben und sind als sogenannte Aufstocker zusätzlich auf ALG II angewiesen. Das ist nichts anderes als ein staatlich finanzierter Lohnkostenzuschuss. Nur 60.000 dieser aufstockenden Beschäftigten werden nach Prognosen durch den neu eingeführten Mindestlohn aus ihrer Situation heraus kommen (16.04.14 - Mindestlohn hilft Aufstockern kaum)
Zur Bilanz von zehn Jahren Hartz IV gehört allerdings auch die politisch selbständige Massenbewegung „Weg mit Hartz IV - das Volk sind wir“. Mit ihr musste die Regierung immer rechnen, ihr Zugeständnisse machen oder geplante Verschärfungen wieder stornieren. So hat zuletzt die Große Koalition den Regelsatz zum 1. Januar 2015 um 8 Euro auf 399 Euro erhöht – was natürlich die steigenden Lebensmittelpreise nicht ausgleicht. Gestartet war ALG II vor zehn Jahren mit 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten. Seit 2007 gilt ein einheitlicher Satz in ganz Deutschland.
Auch heute lebt die Montagsdemobewegung! In über 80 Städten bundesweit geht sie Montag für Montag auf die Straße, wurde vom „sozialen Gewissen“ zum „Tag des Widerstands“. Zum 10. Jahrestag der Montagsdemos 2014 würdigten viele Zeitungen Ausdauer und Energie der Montagsdemos. Auch die breitere und auch kritische Diskussion jetzt zum Jahreswechsel kommt nicht von ungefähr.
Bis heute gehört Hartz IV zu den verhasstesten Gesetzen in Deutschland. Die Masse der Arbeiter und Werktätigen hat nie akzeptiert, dass ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld zu Gunsten der Monopole in eine schikanöse Rolle als „Bittsteller“ verwandelt wurde. Auch deshalb hat die Montagsdemobewegung eine gute Zukunft – bis die Hartz-Gesetze vom Tisch sind.