Politik
Wie der Arbeitsagentur-Chef die "Rente mit 70" salonfähig machen will ...
04.01.15 - Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, nutzte die ruhigeren Tage des Jahreswechsels zu einem Vorstoß mit der Forderung nach "freiwilliger Rente mit 70". Passend dazu werben in der "Süddeutschen Zeitung" vom 3. Januar unter dem Motto "Warum aufhören, wenn man liebt, was man tut?" unter anderem zwei 75-jährige Surf-Lehrer, der 77-jährige Entertainer Roberto Blanco und eine 92-jährige Tanzlehrerin für Weises Idee von "flexibleren Ausstiegen aus dem Erwerbsleben".
In den Ohren zehntausender älterer Arbeitsloser und derjenigen, die es aus gesundheitlichen Gründen nicht bis ins gesetzliche Renteneintrittsalter schaffen (von den 60- bis 65-Jährigen ist nur noch ein Drittel sozialversicherungspflichtig beschäftigt), muss es "wie Hohn klingen, wenn wieder einmal über die Freiheit des längeren Arbeitens philosophiert wird", so Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand gegenüber der "Neuen Westfälischen" am 2. Januar. Der neue thüringische Ministerpräsident der Linkspartei, Bodo Ramelow, signalisierte dagegen Unterstützung: "Ich sehe diesen Vorschlag nicht als Quatsch an." Ebenso äußerte sich die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Brigitte Pothmer, positiv zur "Rente mit 70".
Laut einer Umfrage von "Infratest Dimap" von Anfang 2014 wünschen sich mehr als die Hälfte der Beschäftigten einen früheren Rentenantritt. Das ist genau das Gegenteil dessen, was die Berliner Regierung systematisch vorantreibt. Beschlossen wurde bereits von der letzten Großen Koalition, das Renteneintrittsalter schrittweise von 65 auf 67 Jahre im Jahr 2029 anzuheben. Ab dem Jahrgang 1964 dürfen die Beschäftigten dann in der Regel erst mit 67 Jahren in die Rente gehen. Die von der jetzigen Regierung beschlossene "Rente mit 63" soll die Auswirkungen entschärfen, gilt aber nur für den kleinen Teil der arbeitenden Menschen, die bis einschließlich 1952 geboren sind und auf 45 Beitragsjahre kommen. Trotzdem haben bis November fast doppelt so viele den Antrag dafür gestellt wie die Regierung offiziell erwartet hatte.
An der Grundrichtung der "Rente ab 67" und der mit ihr verbundenen weiteren Rentenkürzung für die Masse der Rentner hat diese Ausnahmeregelegung allerdings nichts geändert. Vielmehr hält auch die jetzige Große Koalition auf Drängen der Unternehmerverbände an dieser Grundrichtung fest. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag zynisch: "Diese Erfolgsgeschichte der steigenden Beteiligung Älterer am Erwerbsleben wollen wir fortschreiben. ... Wir werden den rechtlichen Rahmen für flexiblere Übergänge vom Erwerbsleben in den Ruhestand verbessern."
Arbeitsagentur-Chef Weise hat jetzt die Aufgabe übernommen, deutlicher zu formulieren, was Regierung und Monopole damit meinen. Eine erneute Anhebung des gesetzlichen Rentenalters würde massenhafte Proteste provozieren. Deshalb sollen die Arbeiter und Angestellten im Gegenzug für den "freiwilligen" späteren Renteneintritt höhere Rentenansprüche erwerben können. Die mit der "Rente ab 67" verbundene Rentenkürzung wird damit zum Druckmittel, länger zu arbeiten, um der Altersarmut zu entgehen. Frei nach dem Motto: Je mehr die Renten sinken, desto mehr Werktätige werden "freiwillig" länger arbeiten. Gleichzeitig wird damit aber auch das berechtigte Bedürfnis älterer Menschen, sich auch nach Erreichen des Rentenalters sinnvoll zu betätigen, missbraucht.
Frank-Jürgen Weise preist seinen Vorstoß als "Mittel gegen den Facharbeitermangel" an. Die MLPD hätte da einen zukunftsweisenden Alternativvorschlag: Durchsetzung einer zehnprozentigen Ausbildungsquote in der Großindustrie und unbefristete Übernahme der Auszubildenden nach der Lehre entsprechend ihrer Ausbildung!
Auch in der Renten- und Arbeitsmarktpolitik steht die MLPD für ein Kontrastprogramm. Sie fordert die Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre bzw. 55 Jahre für Frauen bei vollem Rentenausgleich und die Festsetzung einer staatlichen Mindestrente unabhängig von der persönlichen Berufstätigkeit. Eine Senkung des Renteneintrittsalters wirkt auch der Massenarbeitslosigkeit entgegen. Durch die in den letzten zwei Jahrzehnten um 236 Prozent gewachsene Arbeitsproduktivität der Industriebeschäftigten wäre das auch gut zu finanzieren.