Politik

Protest gegen das "Turbo-Abi" - Volks-Initiative „G9 jetzt!“ lieferte knapp 99.000 Unterschriften im Landtag ab

Protest gegen das "Turbo-Abi" - Volks-Initiative „G9 jetzt!“  lieferte knapp 99.000 Unterschriften im Landtag ab
Mit Abi-Streichen wie diesem "Abi-Grabstein" in Aachen wird nach bestandener Prüfung auch viel Streß zu Grabe getragen. (foto: Túrelio/CC BY-SA 3.0)

24.04.15 - Knapp 99.000 Unterschriften hat die Volks-Initiative „G9 jetzt“ gesammelt und damit dem Willen großer Teile der Menschen in Nordrhein-Westfalen Ausdruck verliehen, das so genannte „Turbo-Abi“ nach acht Jahren zu kippen und zum Abitur nach neun Jahren zurückzukehren. Zur Erinnerung: Mit einer Schulreform an den deutschen Gymnasien wurde 2003 flächendeckend das Abitur nach acht Jahren, also nach der Jahrgangsstufe zwölf eingeführt. Das bisher bestehende dreizehnte Schuljahr fiel weg. Seitdem haben die deutschen Gymnasiasten mit massivem Zeit- und Lerndruck zu leben.

In NRW sind allerdings nicht nur Gymnasiasten betroffen. Hier wirkte sich die Reform bzw. mehrere Reformen besonders absurd aus. Die dortigen Gesamtschulen haben die Schulzeitverkürzung seinerzeit zwar nicht mitgemacht. Trotzdem haben alle Real-, Haupt- und Gesamtschulen unter den negativen Folgen zu leiden, weil überall die Stundenzahl der Klassen 5 - 9 (bzw. 10) erhöht wurde. Im Schuljahr 2013/2014 gab es in NRW rund 254.636 Gesamtschülerinnen und -schüler und rund 547.331 Jugendliche an Gymnasien.

Trotzdem hatte die nordrhein-westfälische Landesregierung mit einem solchen Protest wohl nicht gerechnet. Damit zwingt die Initiative das NRW-Parlament, das Thema innerhalb von sechs Monaten erneut auf die Tagesordnung zu nehmen.

Marcus Hohenstein, Sprecher der Initiative, begründete das Ziel: „Gute Bildung braucht Zeit. Deshalb fordern wir, dass in NRW nach dem Vorbild Niedersachsens das Abitur nach 13 Jahren ohne Pflicht zum Nachmittagsunterricht wieder zur Regelschulzeit wird.“

Diese Forderung ist unbedingt richtig, zumal der Protest auch in anderen Bundesländern Wirkung zeigt: In Hessen und Baden-Württemberg entscheiden die Gymnasien und Gesamtschulen inzwischen selber, ob sie G8 oder G9 anbieten. Und Niedersachsen kehrt mit dem kommenden Schuljahr 2015/16 sogar zum Abitur nach neun Jahren zurück.

Im Laufe der Zeit machte die Initiative wertvolle Erfahrungen im Umgang mit dem parlamentarischen System. Der Runde Tisch sei ein Instrument gewesen, „Aktivität vorzutäuschen und den Eltern Sand in die Augen zu streuen“ so der Sprecher der Initiative.

Falls der Landtag den Vorstoß inhaltlich zurückweist, will die Initiative den nächsten Schritt gehen: sie würde dann ein Volksbegehren einleiten, um ein neues Gesetz zu erzwingen. Dafür müssten aber 1,1 Millionen stimmberechtigte deutsche Staatsbürger in NRW unterschreiben.

Was vordergründig als zeitliches Problem erscheint, ist eine Bildungspolitik im Interesse des allein herrschenden internationalen Finanzkapital. Zur Erhöhung ihres Maximalprofits brauchen sie gut ausgebildete Leute zu einem möglichst niedrigen Preis. Hinzu kommt eine zunehmende politische Selektierung der Jugend: durch den wachsenden Leistungsdruck wird auch versucht soziales und politisches Engagement einzuschränken.

Voraussetzung dafür ist die Auseinandersetzung mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise, dass den Eltern suggeriert, das Bildung Zukunftssicherung bedeutet. Sicherlich verbessert eine umfangreiche Bildung und Ausbildung berufliche Chancen und erhöht den Wert der Ware Arbeitskraft. Andersherum ist es keineswegs so, dass Studenten, Abiturienten oder Arbeiter die keinen Job haben, zu ungebildet sind. Insbesondere die großen Monopole verschärfen die Ausbeutung, indem ein wachsender Teil der Lohnabhängigen trotz guter Bildung in Leiharbeit, Praktikantenjobs oder Niedriglohn gedrückt wird.

Daraus erwachsen unbedingt neue Potentiale für eine Verbreiterung der Protestbasis und der Kampfkraft, vor allem aus den Betrieben - es ist ein gemeinsames Anliegen von Jung und Alt für eine gründliche Schul- und Berufsbildung einzutreten, in einem kostenlosen und einheitlichen Schulsystem vom Kindergarten bis zur Hochschule - so die Forderungen der MLPD. Entscheidend ist der Kampf der breiten Massen dafür. So haben in den letzten Jahren immer wieder breite Bildungsproteste mit Zehntausenden Teilnehmern in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern stattgefunden. Unterschriftensammlungen, Petitionen und parlamentarische Initiativen können hierfür wertvolle Mobilisierung sein.

Es gibt sicher bei den Kundgebungen und Demonstrationen am 1. Mai und erst recht am 17. Internationalen Pfingstjugendtreffen am 23./24. Mai - am Stand der MLPD - über gesellschaftliche und/oder sozialistische Perspektiven gemeinsamer Kämpfe aber auch der Bildung und Ausbildung zu diskutieren.