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AKP-Wahlsieg in der Türkei durch Klima des Staatsterrors und der Angst manipuliert

AKP-Wahlsieg in der Türkei durch Klima des Staatsterrors und der Angst manipuliert
Die Doppelspitze der HDP: Selahattin Demirtaş (links) und Figen Yüksekdağ (foto: Screenshot HDP)

02.11.15 - Schwerlich lassen sich die gestrigen Neuwahlen in der Türkei als demokratisch bezeichnen. Sie waren massiv beeinflusst durch eine verschärfte Unterdrückungspolitik und eine Welle des Staatsterrors, um Angst und Schrecken zu verbreiten und vor allem den Wahlkampf der fortschrittlichen HDP ("Demokratische Partei der Völker") zu behindern. Diese ist ein Zusammensschluss kurdischer und türkischer demokratischer bzw. revolutionärer Kräfte.

Die Wahlbeteiligung lag mit 86 Prozent relativ hoch, obwohl der letzte Wahlgang gerade fünf Monate her war. Die AKP gewann mit über 49 Prozent der abgegebenen Stimmen ihre absolute Mehrheit zurück, fast 9 Prozentpunkte mehr als im Juni. Damals hatte die seit 2002 regierende Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erstmals ihre absolute Mehrheit verloren. Zweitstärkste Partei im Parlament wurde die sozialdemokratisch ausgerichtete CHP, die leicht auf 26 Prozent hinzugewann. Größter Verlierer war die faschistische MHP mit 12 Prozent. Sie verlor 4 Prozentpunkte an die AKP. Die HDP konnte sich mit etwas mehr als zehn Prozent im Parlament behaupten, verlor allerdings knapp drei Prozentpunkte gegenüber Juni.

Manipuliert wurde das Wahlergebnis zugunsten der ultrareaktionären islamistischen AKP-Regierung nicht in erster Linie durch unmittelbare Wahlfälschungen - auch darauf gibt es Hinweise -, sondern durch den Staatsterror, der seit den letzten Wahlen systematisch gesteigert wurde. So kündigte die Regierung nach dem faschistischen Bombenanschlag in Suruc den Waffenstillstand mit der kurdischen Befreiungsorganisation PKK auf und griff ihre Stellungen im Nordirak an. Sie ließ ihre Armee ganze Städte Dörfer im kurdischen Teil der Türkei besetzen, zahlreiche Menschen - auch Kinder - ermorden, Wohnungen durchkämmen und die Menschen tagelang von Wasser und Nahrungsmittellieferungen abschneiden. Im gesamten Land wurden hunderte fortschrittliche und revolutionäre Aktivisten - auch türkischer Organisationen - verhaftet oder teilweise gezielt liquidiert.

Innenpolitische Gegner und Kritiker, besonders aus den Reihen der HDP, verleumdete die Regierung als "Terroristen". AKP-Anhänger und faschistische Schlägern verwüsteten Büros der HDP und bedrohten Wahlkundgebungen. Trauriger Höhepunkt war der faschistische Terroranschlag auf die Friedensdemonstration am 10. Oktober in Ankara, bei dem 128 Menschen getötet und hunderte verletzt wurden. Der Wahlkampf der HDP war dadurch stark behindert, größere Kundgebungen konnte sie nicht mehr durchführen. Dieser Terror zielte neben der unmittelbaren Unterdrückung revolutionärer und fortschrittlicher Kräfte darauf ab, Teile der Bevölkerung einzuschüchtern, um gleichzeitig die AKP-Regierung als Garant "stabiler" Verhältnisse anzupreisen.

Das hat zumindest teilweise verfangen. Dass die HDP die höchsten Stimmenverluste in ihren Hochburgen verzeichnet, liegt in erster Linie daran, dass dort auch der Staatsterror am heftigsten wütete. Umso bemerkenswerter ist es, dass sie trotzdem erneut über zehn Prozent der Stimmen erhielt. Die Co-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, erklärte am 2. November via "Twitter": "Wir bedanken uns bei allen, die an uns, an sich geglaubt haben. Wir haben einen Pfad vor uns, den wir zusammen gehen werden. ... Es gibt keinen Grund, eingeschüchtert zu sein."

Es ist eine Farce, dass die Bundesregierung Erdogan auch noch zu seinem undemokratischen Wahlerfolg gratuliert, zu dem die Bundeskanzlerin aktiv beitrug, indem sie ihn mit ihren Staatsbesuch hoffiert und aufgewertet hat. Das geschah auch im Namen des internationalen Finanzkapitals, das sich von Erdogan die Durchsetzung seiner Interessen in der Türkei erwartet. Erdogan hat bereits angekündigt, mit seiner absoluten Mehrheit ein auf sich zugeschnittenes Präsidialsystem mit weiterer Beschneidung der bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten zu errichten.

All das wird die sich verschärfenden Klassenwidersprüche in der Türkei nur zeitweilig überdecken können. Die Massen werden ihre Erfahrungen mit den großen Versprechungen sozialer Zugeständnisse und der Fortsetzung des "Wirtschaftsaufschwungs" unter einer AKP-Regierung machen, die vor allem zum Schluss des Wahlkampfs gemacht wurden. Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum in der Türkei weitgehend auf Pump gebaut. Die Währung ist schwach, die Arbeitslosigkeit steigt, Unternehmen investieren kaum noch. Schon in den letzten Jahren sind die Widersprüche aufgrund der massiven Korruptionsaffären gewachsen, in die die Regierung verstrickt ist.

Die MLPD hat die in Deutschland lebenden Migranten türkischer Staatsangehörigkeit zur Wahl der HDP aufgerufen. Diese hat in Deutschland überdurchschnittlich abgeschnitten und wurde mit 15,9 Prozent (17,5 Prozent im Juni) erneut zweitstärkste Kraft.