Politik

Wachsende Armut im viertreichsten Land der Erde - nicht nur unter Flüchtlingen

Wachsende Armut im viertreichsten Land der Erde - nicht nur unter Flüchtlingen
Ausgabestelle der Münchner Tafel (foto: Muenchner Tafel)

08.11.15 - Angesichts des wachsenden Zustroms von Flüchtlingen warnte der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. am 4. November vor einer Überforderung der mehr als 900 Tafeln als Lebensmittel-Ausgabestellen für arme Menschen. Engpässe bei Ehrenamtlichen und Vorräten entstünden, weil zu den mehr als 1,5 Millionen Menschen, die ohnehin die Ausgaben und Läden in Anspruch nähmen, inzwischen mehr als 200.000 Flüchtlinge kämen. Der Bundesvorsitzende der Tafeln, Jochen Brühl, betonte ausdrücklich, man wolle keine Konkurrenz zwischen bisherigen und neuen Bedürftigen entstehen lassen: "Wir werden nicht Arme gegen Arme ausspielen."

Tatsächlich wächst in Deutschland keineswegs nur unter den Flüchtlingen die Zahl der Armen und Bedürftigen. Nach aktuellen Zahlen der Erhebung "Leben in Europa" (EU-SILC) vom 5. November sind 16,5 Millionen Menschen von Armut bedroht. Das sind 20,6 Prozent der Bevölkerung Deutschlands, ca. 300.000 mehr als ein Jahr zuvor und rund jeder fünfte Einwohner. Kein Wunder, dass bürgerliche Politiker die kapitalistischen Lebenslügen von der "sozialen Marktwirtschaft" oder vom "Sozialstaat" in Deutschland immer seltener in den Mund nehmen.

Als "arm" gilt statistisch, wem weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung steht. Bei einem Nettodurchschnittseinkommen von 1.345 Euro 2014 sind das monatlich weniger als 807 Euro. In einer Stadt wie Frankfurt/Main bedeutet das: Für Miete und Nebenkosten fallen mindestens 500 Euro an (mit rasant steigender Tendenz), die Monatskarte für das Stadtgebiet kostet 85,20 Euro. Wenn man für das tägliche Essen 7 Euro berechnet, kostet das im Monat 210 Euro. Bleibt ein Rest von 11,80 Euro für Kleidung, Freizeit, Kultur ...

Woher kommt diese hohe Zahl armer Menschen, wenn Frau Merkel uns doch immer wieder beteuert, dass so viele Menschen in Arbeit sind wie noch nie in Deutschland? Von 2000 bis 2014 sank die Zahl der Vollerwerbsarbeitsplätze von 25,3 auf 23,5 Millionen, während Teilzeit- und Minijobs von 10,6 auf 14,8 Millionen anstiegen. Die Anzahl der Leiharbeiter stieg von 338.000 auf über 800.000 im Jahr 2013. Das Ergebnis ist, dass immer mehr Menschen trotz Job von ihrem geringen Lohn kaum leben können. Schon jetzt sind Migranten mit am stärksten davon betroffen.

Heute fordern Vertreter des deutschen Monopolkapitals angesichts von ca. 500.000 von der Arbeitsagentur gemeldeten offenen Stellen und 40.000 angeblich nicht besetzbaren Lehrstellen eine ganz spezielle selektive "Willkommenskultur". Unqualifizierte Flüchtlinge sollten rasch abgeschoben werden, jüngere und vor allem schon qualifizierte Flüchtlinge seien wegen "ihrer extremen Willenstärke leichter in den Arbeitsmarkt zu integrieren als deutsche Langzeitarbeitslose" sagte BDA-Chef Ingo Kramer im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" vom 3. September. Das Kapital will so die Konkurrenz mit den circa sechs Millionen Arbeitslosen und Unterbeschäftigten sowie den knapp acht Millionen Niedriglöhnern verschärfen.

Arbeitende, Arbeitslose und Flüchtlinge dürfen sich nicht spalten lassen! Notwendig ist der gemeinsame Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen durch Arbeiter, Arbeitslose und Flüchtlinge!