International
Reaktionärer EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei
20.03.16 - Beim Flüchtlingsgipfel in Brüssel haben sich die 28 Staats- und Regierungschefs der EU-Länder auf eine gemeinsame Linie mit der Türkei geeinigt. Sein Ziel ist die vollständige Abschottung der Außengrenzen und die Durchsetzung eines Kontingents von nur 72.000 Flüchtlingen, die die EU zukünftig noch einreisen lassen will. Nichts ist geblieben von Bundeskanzlerin Merkels lange beteuerter Ablehnung von "Obergrenzen".
Wie schon in den Vorgesprächen deutlich wurde, beinhaltet der Deal mit der Erdogan-Regierung, dass künftig alle Flüchtlinge, die von türkischem Territorium aus mit Hilfe von Schleppern auf die griechischen Inseln gelangen, wieder in die Türkei abgeschoben werden. Für jeden abgeschobenen Syrer nimmt die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf - allerdings nur, bis die Obergrenze von 72.000 erreicht ist. Das Abkommen soll ab dem 4. April umgesetzt werden.
Laut Merkel hat die EU es damit geschafft, "diese schwierige Bewährungsprobe zu bestehen". Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie sie mit der Krise der EU - vor allem in der Flüchtlingspolitik - fertig werden will: auf eine reaktionäre, rückschrittliche und menschenverachtende Weise. Wie das gelingen wird, steht in den Sternen, zumal nichts an den Fluchtursachen geändert wird. Wichtige Fragen blieben ungeklärt. Unter anderem, wie selbst die wenigen Flüchtlinge in der EU verteilt werden. Mehrere EU-Länder weigern sich weiterhin, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen.
Ungeklärt ist auch, wie die ab jetzt neu ankommenden Flüchtlinge in die Türkei zurückkommen und was mit den über 47.000 passiert, die derzeit schon in Griechenland festsitzen. Formal soll in Griechenland weiterhin eine Einzelfallprüfung der Asylberechtigung erfolgen. Anerkannt werden aber nur Flüchtlinge, die in der Türkei verfolgt werden. Da die allermeisten von ihnen aber gar nicht aus der Türkei, sondern über die Türkei kommen, waren sie dort natürlich bis zum Zeitpunkt ihrer Abschiebung nicht politisch verfolgt. Was danach z.B. mit Menschen passieren wird, die sich in Rojava (Nordsyrien) am Freiheitskampf beteiligt haben, steht auf einem anderen Blatt.
Eine Farce ist auch, dass die EU die Türkei selbst zum "sicheren Herkunftsland" erklären will, obwohl sie noch nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention vollständig unterzeichnet hat und die Unterdrückung revolutionärer und fortschrittlicher Menschen zunehmend verschärft.
Dass Merkel den reaktionären Kurs der EU voll mitträgt, zeigt ihren eigenen Rechtsruck. Von ihrer ohnehin geheuchelten "Willkommenskultur" ist nicht viel übrig. Wie Menschen unter widrigsten Umständen vor Grenzzäungen campieren müssen, wie sie wochenlang bewusst gesundheitsgefährdenden Bedingungen ausgesetzt werden – das interessiert die Staatenlenker der EU nicht im Mindesten. Genauso wenig, was mit den hunderttausenden Flüchtlingen aus dem Irak, aus Afghanistan oder aus Afrika passiert, die weiterhin vor politischer Verfolgung, Krieg und Elend in ihren Ländern Zuflucht suchen. Viele von ihnen werden ab jetzt wieder versuchen, über die lebensgefährliche Mittelmeer-Route nach Europa zu kommen.
Diese reaktionäre Entwicklung wird unterstrichen durch die immer engere Zusammenarbeit mit der Türkei. Deren militärische Angriffe auf kurdische Gebiete und blutige Unterdrückung der Kurden waren keinerlei Hinderungsgrund für den Deal. Vielmehr erhielt die Türkei dafür die Zusage von Visaerleichterungen, einer Intensivierung der Beitrittsverhandlungen und insgesamt 6 Milliarden Euro - angeblich für die Unterbringung der Flüchtlinge.
In Athen demonstrierten am Samstag bereits 3.000 Menschen gegen den Deal. Afghanische Flüchtlinge marschierten zum Gebäude der EU-Kommission in der Innenstadt und riefen "Öffnet die Grenzen". Proteste gab es auch in anderen Städten, etwa in Thessaloniki im Norden des Landes sowie auf Lesbos. Im Grenzort Idomeni blockieren Flüchtlinge weiterhin Bahngleise, um ihre Weiterreise durchzusetzen. In London gingen rund 4.000 Menschen unter dem Motto "Flüchtlinge sind hier willkommen" auf die Straße. Im spanischen Barcelona kamen ebenfalls Tausende zusammen.
"Bürgerliche Flüchtlingspolitik in der Krise - 12 Argumente der MLPD" (2. verbesserte Auflage der Broschüre hier zum Lesen und zum Download)