Politik
Zum Tod von Hans-Dietrich Genscher
03.04.16 - Am vergangenen Donnerstag, dem 31. März 2016, ist der ehemalige FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher zehn Tage nach seinem 89. Geburtstag in Bonn gestorben. Wieder sei ein "Jahrhundertpolitiker" von uns gegangen, so bürgerliche Politiker und Medien, ein Gestalter und Erbauer Europas, ein Fels in der Brandung, der Außenminister der Einheit. Eine wahre Grundlage hat die posthume Glorifizierung Genschers darin, dass er an der deutschen Wiedervereinigung als damaliger Außenminister und Vizekanzler im Bundeskabinett mitwirkte. So ist sein Name auch unter den Massen verbunden mit einem historischen Ereignis, das für die deutsche Bevölkerung in Ost und West eine riesengroße Freude bedeutet.
Trauer um eine Legende? Hinter den zahlreichen Legenden, die sich um ihn ranken, war Hans-Dietrich Genscher ein knallharter Monopolpolitiker und Krisenmanager im Interesse des erstarkenden neudeutschen Imperialismus.
Kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs meldete sich der 1927 in Sachsen-Anhalt geborene Genscher freiwillig zur Hitlerarmee. Nach eigener Aussage wollte er damit einem Zwangseinzug durch die SS entgehen. Als 17-jähriger wurde er auch noch Mitglied der NSDAP.
1952 verließ Genscher – inzwischen Jurist – die DDR. Ausdrücklich lehnte er den dortigen hoffnungsvollen sozialistischen Aufbau ab. Jahrzehntelang betonte er danach unentwegt, dass er sich für die deutsche Einheit einsetze, die durch die Gründung der DDR vereitelt worden sei. Das ist eine plumpe antikommunistische Geschichtsfälschung. Die DDR als Staat wurde erst gegründet, nachdem Deutschland durch die Imperialisten gespalten worden war. Auch danach gaben die ehemals sozialistischen Länder ihre Bemühungen um eine Wiedervereinigung Deutschlands auf antifaschistischer und demokratischer Grundlage nicht auf.
In der BRD trat Genscher gleich in die FDP ein, deren Bundesvorsitzender er später wurde. Ihr freiheitlich-liberales Mäntelchen konnte ihre reaktionäre Einstellung und Tätigkeit nicht verdecken. 1952 zog sie gegen den Kampf des DGB um das Betriebsverfassungsgesetz zu Felde. Von Anfang an war sie von einem nationalistischen und einem liberalen Flügel geprägt und von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP durchsetzt. Die liberalen Demokraten Gerhard Baum und Burkhard Hirsch, beide FDP-Mitglieder, kämpfen bis heute gegen Bespitzelung und Vorratsdatenspeicherung. Sie waren entschiedene Gegner der Notstandsgesetze, für die sich Genscher als Bundesinnenminister im Kabinett von Willy Brandt nach der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 vehement einsetzte. Er zeichnete damals mitverantwortlich für weitere Maßnahmen einer massiven Faschisierung des Staatsapparats wie der Gründung der GSG9. Gleichzeitig war er auch Akteur einer veränderten Ostpolitik der deutschen Monopole, die verstärkt weg vom Kalten Krieg auf wirtschaftliche und politische Durchdringung des "Ostblocks" setzten.
Hans-Dietrich Genscher war insgesamt 23 Jahre seines Lebens an der Bundesregierung beteiligt, als Bundesinnenminister, Bundesaußenminister und Vizekanzler. Die FDP spielte für die Monopole eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe konnten sie reibungslos einen Regierungswechsel von der SPD zur CDU/CSU und umgekehrt herbeiführen. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1982 verlangten die Monopole einen deutlich schärferen Kurs gegenüber den Volksmassen. Eine Erklärung des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) vom 6. September 1982 leitete unmittelbar den Regierungswechsel ein. Es sei ein "einschneidender und rascher finanz- und wirtschaftspolitischer Kurswechsel" erforderlich, hieß es darin. Mithilfe Genschers wurde der Regierungswechsel durchgezogen.
Ungebrochen war indes sein Engagement für einen wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss des neudeutschen Imperialismus. So reiste er auf Anweisung des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hauptabteilung Außenwirtschaft, 1984 in den Iran, um stärkere wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern anzubahnen. Auch hinter seinem Nimbus als Gestalter und Erbauer Europas steckt die knallharte Machtpolitik der deutschen Monopole, in einem imperialistischen europäischen Machtblock die Vorreiterrolle zu spielen. Bereits 1981 legten Genscher als damaliger Bundesaußenminister und sein italienischer Amtskollege Colombo einen gemeinsamen Entwurf für eine "Europäische Akte" vor. Ziel war die Schaffung eines EG-Binnenmarkts bis zum 1. Januar 1993.
Mitte der 1990er Jahre schaffte er einen rechtzeitigen Absprung, als die FDP als "Zünglein an der Waage" massiv an Bedeutung verlor. Dies hatte weniger mit dem Rücktritt Genschers zu tun als mit einer immensen Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Die alte "Zielgruppe" der FDP, kleine und mittlere Bauern, Handwerker, mittelständische Unternehmer, verschwanden immer mehr von der Bildfläche zugunsten eines Anwachsens der Zahl abhängig Beschäftigter, insbesondere auch der technischen Intelligenz. Als "dritte Kraft" in der deutschen Parteienlandschaft etablierten sich Bündnis90/DIE GRÜNEN.