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Kriminelles Betrugssystem in der Autoindustrie

Kriminelles Betrugssystem in der Autoindustrie
Demonstration der 1. Internationalen Automobilarbeiterkonferenz in Sindelfingen im Oktober 2015 (rf-foto)

24.04.16 - Als im Herbst 2015 die kriminellen Machenschaften des VW-Konzerns ans Tageslicht kamen, blieb der von manchen erwartete Sturm der Entrüstung anderer Autokonzerne aus. Das Schweigen der Unschuldslämmer? Die Automobil-Arbeiterinnen und -Arbeiter glaubten so wenig wie Experten der Branche daran, dass VW mit seinem menschen- und umweltverachtenden Vorgehen alleine da steht. Im Februar 2016 berichtete „Frontal 21“, dass bei Daimler, BMW und Renault wie bei VW die Stickoxidemissionen auf der Straße erheblich höher sind als im Labortest. Nie und nimmer sei hier "etwas Illegales" gelaufen, behauptete Daimler, und drohte mit Schadensersatzforderungen, wenn die Bezeichnung "Abgasmanipulation" fiel.

Am vergangenen Freitag gab nun Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bekannt, dass nach den Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) deutsche Autohersteller rund 630.000 Fahrzeuge zurückrufen müssen. In Europa betrifft dies Autos von Audi, Mercedes, Opel, Porsche und Volkswagen. Für Autos ausländischer Hersteller und Fahrzeuge deutscher Konzerne, deren Typenzulassung nicht vom KBA stammen, ist die Behörde nicht zuständig. Die Dunkelziffer dürfte also immens sein.

Dobrindt wand sich wie eine Schlange, als er über die Resultate des 134-seitigen Untersuchungsberichts referierte. Die Ergebnisse zeigten eine große Bandbreite, sagte er. Autos mit einer "unzulässigen Abschalteinrichtung", also betrügerischer Software, seien nur bei VW-Modellen gefunden worden. Einige wenige, darunter besonders teure BMW-Motoren, zeigten "keine Besonderheiten". Die Mehrheit der untersuchten Autos jedoch emittieren auf der Straße sehr viel mehr Stickoxide als auf dem Prüfstand.

Und wie machen sie das ohne "etwas Illegales"? In der Erfindung beschönigender Begriffe sind die Chefetagen der Automobilindustrie und der Regierung noch erfinderischer als beim Manipulieren der Motoren. Das neue Zauberwort heißt "Thermofenster". "Thermofenster" ist der legale Spielraum, in dem sich die Abgasreinigung im Motor ausschaltet, damit Motorleitungen und andere Komponenten keinen Schaden durch die sogenannte "Versottung" nehmen. Die Abgasreinigung wird bei bestimmten Außentemperaturen heruntergefahren oder ganz ausgeschaltet. Die Bauteile werden geschont, die Stickoxide ungebremst in die Luft geblasen.

"Thermofenster" zu nutzen, um die Wirksamkeit der Emissionskontrollsysteme auszuschalten, ist laut EU-Richtlinien völlig legal. Das entlastet nicht Audi, Daimler und Konsorten, sondern wirft ein scharfes Licht auf den Charakter dieser Gesetze. Sie werden von den Regierungen, der EU-Kommission und den UN-Klimakonferenzen direkt im Interesse der Automobil-Monopole gemacht. Die neue Broschüre der MLPD "VW-Krise: Wie Automonopole mit Hilfe des Staates Milliardenprofite durch höchst kriminelle Machenschaften einstreichen" führt aus, wie über den Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) Politik gemacht wird: "Sein Präsident, der ehemalige Verkehrsminister Matthias Wissmann, ist der 'eigentlich regierende Verkehrsminister', so Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. Die Autoindustrie
'führt der deutschen Bundesregierung regelrecht die Hand bei neuen Gesetzen und Verordnungen'. Werden neue Gesetzesvorlagen für den Bundestag erarbeitet, sitzen ihre Vertreter als 'Sachverständige' mit am Tisch: entweder in den jeweiligen Ministerien oder in Ausschüssen des Bundestages – alles nichtöffentlich, versteht sich."

Die US-Behörden handeln im Interesse "ihrer" Autoindustrie. Im gnadenlosen Konkurrenzkampf um die weltmarktbeherrschende Stellung wollen sie aus der Situation Kapital schlagen und gegenüber VW Boden gutmachen. Diese Tatsache wollen die VW-Chefs nutzen, um einen Keil zwischen die Arbeiter/-innen in Deutschland und bei den Autokonzernen der USA zu treiben.

Mit Begriffen wie "Thermofenster" und "Dieselthematik" wird versucht, die ganze Dimension auf die Maße eines Kavaliersdelikts herunterzuspielen. Stickoxide verursachen sauren Regen und Smog. Mindestens 10.000 Menschen sterben jährlich allein an dessen Auswirkungen.

Unterdessen hält VW die Ergebnisse aus dem Untersuchungsbericht der Kanzlei Jones Day unter Verschluss. Wegen seiner Rückstellungen von 16,2 Milliarden Euro "zur Abfederung der Dieselthematik" zahlt VW erheblich weniger Steuern, da er wegen der Rückstellungen Verluste deklariert. Die Verschiebung der Boni-Auszahlungen an die Top-Manager dagegen erklären diese zum "Verzicht".

Abwarten, stillhalten, weiterarbeiten? Das war die Botschaft der VW-Nutzfahrzeuge-Vorstände auf der Betriebsversammlung bei VW Hannover. "Sie bringen es tatsächlich fertig", so die Kollegenzeitung 'Vorwärtsgang', "nicht ein Wort zur Gefährdung der Arbeitsplätze durch die VW-Krise zu sagen. Wir sollen anscheinend nicht erfahren, dass in den meisten VW-Werken die Produktion gesenkt wird. ... Und sie spalten aufs Übelste die Belegschaft! Die Übernahme der Leiharbeiter wäre fahrlässig und würde die Stammbelegschaft gefährden. Hoffen, dass es andere trifft? Nicht mit uns! Abwarten hat niemals geholfen. Es liegen genug Fakten auf dem Tisch, wie VW uns zahlen lassen will."

Am 1. Mai ist eine hervorragende Gelegenheit, als Arbeiter/-innen aller Autokonzerne zu zeigen: wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, eben so wenig wie den Kampf um den Erhalt unserer Arbeitsplätze gegen den Kampf um den Erhalt der Lebensgrundlagen der Menschheit.