Umwelt
S21-Gegner fordern: „Raus aus der Grube - Projekt Zukunft in Stuttgart“
24.07.16 - Dass Stuttgart 21 (S21) ein Milliardengrab werden wird, ist eines der Hauptargumente der S21-Gegner. Die Gegner des gigantischen Tiefbahnhofsprojekt bekamen nun unverhofft eine Bestätigung vom Bundesrechnungshof. Laut diesem werden die zu erwartenden Kosten auf ca. 10 Mrd. Euro steigen. Zum gleichen Ergebnis kam das Gutachten des Verkehrs-Beratungsunternehmen Vieregg & Rössler/München. Der renommierte Architekt Prof. Roland Ostertag hält sogar 14,5 Mrd. Euro für wahrscheinlich.
Der Volksentscheid zu S21 fand 2011 auf der Grundlage statt, dass die Deutsche Bahn versicherte, der Kostenrahmen von 4,5 Mrd. Euro würde nicht überstiegen werden. Defacto wird diese Summe aber bereits 2019 aufgebraucht sein. Gegen diese finanziellen Folgen richtete sich am Samstag, 16. Juli, eine Demonstration der S21 Gegner mit 4.000 Teilnehmern unter der Forderung „Raus aus der Grube - Projekt Zukunft in Stuttgart“.
Statt jetzt die Notbremse zu ziehen, zeigt sich die Bahn unbeeindruckt. „Der Zug für einen Umstieg ist längst abgefahren“, sagt Geschäftsführer Manfred Leger. Er fühlt sich auch bestärkt durch die Genehmigung des Flughafenbahnhofs, bei der das Gericht alle Argumente der Gegner auf der Filderhochfläche einfach abschmetterte. Es ist zu begrüßen, dass sich die Stadt Stuttgart und die grün-schwarze Landesregierung bis jetzt weigern die Mehrkosten zu zahlen. Im andern Fall würden sie aber auch angesichts der im Koalitionsvertrag vereinbarten Konsolidierung des Haushalts weiter an Glaubwürdigkeit einbüßen.
Oder hat die neue Landesregierung die Kostenexplosion bereits vorausgeahnt? Denn wie jetzt bekannt wurde, vereinbarten sie in grün-schwarzen Geheimabsprachen neben dem offiziellen Koalitionsvertrag Ausgaben von 1,3 Mrd. Euro, die unabhängig von der Haushaltslage getätigt werden.
Bahn-Chef Rüdiger Grube wird voraussichtlich das Land Baden-Württemberg auf weitere Zahlungen verklagen. Würde ein Gericht die gleiche Kostenverteilung wie bisher ansetzen, müssten Land, Stadt und Flughafen noch 3,547 Milliarden Euro beisteuern. Würde Grube mit der Klage scheitern, hätte es zur Folge dass die Gelder der Bahn AG umgeleitet würden. Sie würden für den Ausbau von deutschlandweit 14, teils seit Jahrzehnten heillos überforderten, Strecken wie z.B. der Rheinbahn in Baden, fehlen. Auch wenn der Bundeshaushalt einspringt - in jedem Fall werden die Kosten auf die Massen abgewälzt.
Grundlage für die Forderung der Demonstrationsteilnehmer am 16. Juli ist eine neue Broschüre von Architekten, Ingenieuren u.a. Ausgehend von dem bisherigen Bau von S21 präsentieren sie einen neuen, schöpferischen Entwurf für den alternativen Kopfbahnhof K 21. Allerdings geht weder die Broschüre, noch gingen die Hauptredner der Kundgebung in ihren politischen Forderungen über Appelle hinaus: „Herr Kuhn, übernehmen sie endlich Verantwortung!“* oder „Herr Kretschmann- sie sind auf dem Holzweg, kommen sie aus der Sackgasse raus!“ Damit versuchen sie letztendlich nur die alten Hoffnungen wiederzubeleben, unter den neuen Bedingungen bei den Herrschenden Gehör zu finden.
Der Hintergrund solcher meist völlig unnützen Großprojekte liegt in der inzwischen chronischen Überakkumulation des Kapitals. Auf ihrer Jagd nach Maximalprofit wird das überschüssige Kapital in Projekte wie den Berliner Flughafen BER oder die Elbphilharmonie gepumpt - um nur einige deutsche Beispiele zu nennen. Flankiert wird das von den jeweiligen Regierungen, die sich als Dienstleister des allein herrschenden internationalen Finanzkapital betätigen. Nutznießer sind die Generalunternehmen und projektbezogene Unternehmensgruppen - meist aus dem Kreis der führenden Monopole. Grundsätzlich beenden kann man diesen Irrsinn nicht im Rahmen der Diktatur der Monopole.
Gegen das natur- und stadtzerstörerische Spekulationsobjekt muss der „Baustopp jetzt!“ im aktiven Widerstand erkämpft werden. Das von den Gegnern geforderte „Projekt Zukunft in Stuttgart“ ist völlig berechtigt, kann aber aufgrund der oben beschriebenen Machtverhältnisse erst im echten Sozialismus Wirklichkeit werden. Ausdruck der Aufgeschlossenheit vieler S21 Gegner gegenüber einer gesellschaftlichen Alternative ist, dass von der Stuttgarter Kommunalzeitung der MLPD „tatsach“ 1.500 Exemplare Abnehmer fanden.
* Fritz Kuhn (Grüne) ist Oberbürgermeister von Stuttgart