International
Zum heutigen Welttag der Alphabetisierung
08.09.16 - Am heutigen 8. September ist der Welttag der Alphabetisierung. Er wird seit 1966 alljährlich begangen, nachdem die UNESCO ihn im September 1965 im Anschluss an die Weltkonferenz zur Beseitigung des Analphabetentums in Teheran in die Welt gerufen hat. Weltweit können 758 Millionen Menschen, die älter als 15 Jahre sind, nicht oder nicht ausreichend lesen und schreiben. Zwei Drittel davon sind Frauen. Die Alphabetisierungsrate von Erwachsenen ist eine wichtige Kennzahl für die gesellschaftliche Entwicklung.
Die Alphabetisierungsrate von Erwachsenen ist seit dem Jahr 2000 im Weltmaßstab von 82 auf 86 Prozent gestiegen, die der erwachsenen Frauen von 77 auf 83 Prozent. Besonders unter den Jugendlichen ist die Zahl derjenigen, die Lese- und Schreibkompetenzen haben, in den letzten 15 Jahren kontinuierlich gewachsen. Heute beträgt die Alphabetisierungsrate von Jugendlichen 91 Prozent weltweit. Diese Tatsache widerlegt die in bürgerlichen Medien oft geschürte Meinung, "die Jugend" lese und schreibe immer schlechter.
Im Zuge der Neuorganisation der internationalen Produktion und den dafür notwendigen gut ausgebildeten Arbeitskräften wuchsen in vielen Ländern bildungspolitische Anstrengungen. Ein weiterer Faktor ist die weltweit wachsende Berufstätigkeit unter Frauen. Die regionalen und sozialen Unterschiede bei der Ausbildung der Lese- und Schreibfähigkeiten sind jedoch riesig. So liegt die Alphabetisierungsrate in großen Teilen Afrikas südlich der Sahara bei 71 Prozent, bei den Frauen sogar nur bei 66 Prozent. Auch in Südasien ist die Alphabetisierung mit 84 Prozent noch immer niedrig. Dies zeugt von einer extremen Benachteiligung, besonders der Frauen und Mädchen.
Die sogenannte "Globale Nachhaltigkeitsagenda" enthält das Ziel, den Analphabetismus bis zum Jahr 2030 zu überwinden. Dazu gründet die UNESCO am heutigen Weltalphabetisierungstag eine "Globale Allianz für Alphabetisierung". Es ist jedoch eine Illusion, dass dieses Ziel unter der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals erreicht werden könne. In einer Welt, wo 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Hunger, Wassermangel, Kriegsfolgen und Umweltkatstrophen sind, gibt es keine kontinuierliche Verbesserung der Bildung für die breiten Massen. Wie direkt Krisen und Kriege die Alphabetisierungsquote drücken, wird am Beispiel des Irak deutlich. Ende der 1970er-Jahre hatte die Alphabetisierungsrate im Irak, auch unter den Frauen, nahezu 100 Prozent erreicht. Im Jahr 2010 konnten noch ungefähr 65 Prozent der erwachsenen Bevölkerung im Irak lesen und schreiben.
Eine gegensätzliche Entwicklung geschieht in Rojava. In den demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen werden große Anstrengungen im Bildungsbereich unternommen, ganz besonders von und für Frauen. "Die dort gebotene Bildung", schreiben die Ceni-Frauen 2015, "reicht von Themen wie Demokratische Autonomie, Selbstverteidigung, Kultur, Ökologie, die Geschichte der Frau, Sexismus, Frauenrechte, bis hin zu gesundheitlichen Themen. Ein Schwerpunkt liegt auch auf Alphabetisierung und Unterricht in kurdischer Sprache." Die Alphabetisierungsarbeit geschieht ganz konkret anhand der brennenden Lebensfragen und des kurdischen Freiheitskampfs. Das ist eine entscheidende Bedingung. Immer wieder, z.B. im Senegal und in Togo, scheitern Alphabetisierungsprojekte, die von Nichtregierungsorganisationen angestoßen wurden, z.B. weil die Lernenden bevormundet werden und nach Auslaufen der Projektgelder alles in sich zusammenbricht.
Im sozialistischen China gab es großartige Erfolge in der Alphabetisierungsarbeit. 1957 schrieb Mao Zedong in "Der sozialistische Aufschwung auf dem chinesischen Dorf": "Lenin sagte: Eine Nation von Analphabeten kann den Kommunismus nicht aufbauen. Obwohl es heute in unserem Land viele Analphabeten gibt, können wir nicht warten, bis der Analphabetismus ausgemerzt ist, bevor wir mit dem Aufbau des Sozialismus beginnen." So wurden sozialistischer Aufbau und Alphabetisierung sozusagen "Hand in Hand" angepackt: "Sobald die Bauern Genossenschaften gebildet haben, fordern sie, im Lesen und Schreiben unterrichtet zu werden. Es ist für sie eine Sache der ökonomischen Notwendigkeit." Sie begannen während der Arbeit mit den Schriftzeichen für die Bezeichnungen ihrer Werkzeuge und Arbeitsgänge und vertieften in Abendkursen das Gelernte. 1956 erließ die KP Chinas die Direktive, das Analphabetentum in fünf bis sieben Jahren zu überwinden. Dies war verbunden mit einer radikalen Reduzierung der Schriftzeichen. Auf Baustellen und in Fabriken wurden täglich eine bis zwei Arbeitsstunden auf den Leseunterricht für die Arbeiterinnen und Arbeiter verwandt (zitiert nach: "Erziehung und Ausbildung in China", Verlag Neuer Weg 1975).
Wer glaubt, das Problem mangelnder Lese- und Schreibkompetenz gebe es in Deutschland nicht, der irrt. Mindestens 7,5 Millionen Menschen in Deutschland – und zwar deutsche Muttersprachler, durchschnittlich langer Schulbesuch, oft erwerbstätig - sind sogenannte funktionale Analphabeten. Sie können einzelne Sätze lesen und schreiben, aber keinen zusammenhängenden Text er- oder verfassen. Immer wieder hört man aus ihren Erfahrungsberichten: Irgendwann als Schüler/-in in einer zu großen Klasse oder wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten oder familiären Problemen abgehängt; sich nicht getraut, etwas zu sagen; den Anschluss verloren und rudimentäre Kenntnisse verlernt. Sie haben sich geschämt und noch weniger darüber gesprochen, außer gegenüber wenigen Vertrauenspersonen, von denen sie sich bei Behördengängen u.ä. vertreten lassen. Und so weiter.
Aus dem Teufelskreis kann man entkommen, auch wenn das Bildungssystem es einem nicht einfach macht. Es ist keine Schande, sondern eine überwindbare Bildungslücke. Volkshochschulen bieten Beratung, Kurse und kostenlose Online-Lernportale an. Diese kann man allein oder zusammen mit anderen nutzen (www.ich-will-lernen.de und www.ich-will-deutsch-lernen.de)