International
Veranstaltung mit Saleh Müslim: "Die Solidarität der Völker wird am Ende siegen"
18.12.16 - Das war "Internationalismus Live" im wahrsten Sinn. Brechend voll war gestern Abend der Saal der "Horster Mitte" in Gelsenkirchen bei der Veranstaltung mit dem Co-Vorsitzenden der syrisch-kurdischen PYD (Partei der Demokratischen Union), Saleh Müslim. Über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen - einige auch aus Nord-, Süd- und Ostdeutschland. Mehr als ein Drittel waren Migranten und Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten. Viele davon Aktivisten und Anhänger des kurdischen Befreiungskampfs - aus der Türkei, aus Syrien und dem Irak. Sie alle wollten sich den Besuch von Saleh Müslim als Vertreter des fortgeschrittensten Kampfs für Demokratie und Freiheit im nordsyrischen Rojava, aber auch die Würdigung des Solidaritätspakts der revolutionären Weltorganisation ICOR mit dem kurdischen Befreiungskampf nicht entgehen zu lassen. So wurde der Abend zu einem neuen Höhepunkt der Verbrüderung von Revolutionären aus Deutschland und Kurdistan.
Eingeladen hatten die MLPD und das Internationalistische Bündnis gemeinsam. Moderiert wurde die Veranstaltung durch die stellvertretende Vorsitzende der MLPD, Gabi Gärtner. Mit ihr auf dem Podium saßen - neben Saleh Müslim - Khadija Barakat als Vertreterin der PYD-Frauen, der MLPD-Vorsitzende Stefan Engel und Fritz Ullmann für den Koordinierungsrat des Internationalistischen Bündnisses.
Gabi Gärtner erwähnte bei ihrer Begrüßung, dass Saleh Müslim in dem Stadtteil von Kobane zur Schule gegangen ist, in dem jetzt das von den ICOR-Solidaritätsbrigaden erbaute Gesundheitszentrum steht. Mehrfach hat ihn das Assad-Regime verhaften und foltern lassen, jetzt erließ die türkische Regierung Haftbefehl gegen ihn. Gabi Gärtner berichtete, dass das Gesundheitszentrum mittlerweile eröffnet wurde und als Frauen- und Geburtsklinik genützt wird. Bei seinem Bau seien Revolutionäre und Marxisten-Leninisten aus aller Welt, kurdische Befreiungskämpfer, Arbeiter aus Kobane und einheimische Bevölkerung eng zusammengewachsen. Auch der kurdische Befreiungskampf werde mehr und mehr zu einem Teil der internationalen revolutionären Bewegung.
Saleh Müslim eröffnete seinen Beitrag damit, wie froh er sei, unter solch "wertvollen Freunden des kurdischen Volks" zu sein. Er legte dar, welch weitgehende Rechte sich die Frauen erkämpft haben und dass die Kurden mit allen anderen Volksgruppen gleichberechtigt zusammenleben. Die demokratische Gesellschaft in Rojava sei Teil der sozialistischen Kräfte auf der Welt. "Wir sind in einer guten Position. Unser Volk ist gut organisiert. Wir kämpfen aktuell gegen die brutalen Dschihadisten, aber auch gegen das Baath-Regime Assads. Dazu streben wir eine breite Allianz mit allen demokratischen Kräften Syriens an. Der Wille zu Freiheit und Frieden wird am Ende siegen - genauso wie die Solidarität der Völker."
Stefan Engel schilderte, wie der Gedanke des Solidaritätspakts zwischen der ICOR und dem kurdischen Befreiungskampf entstanden ist. Während die Aufstandsbewegungen des "arabischen Frühling" in den meisten Ländern ohne positive Perspektive waren und deshalb leicht von den imperialistischen und insbesondere auch neuimperialistischen Mächten - gerade mit Hilfe faschistischer Kräfte wie des IS - vereinnahmt und unterdrückt werden konnten, war dies in Rojava anders: "Die dort erkämpfte autonome demokratische Verwaltung musste von allen Revolutionären auf der Welt unterstützt werden. Der Solidaritätspakt beruht aber auf gegenseitiger Hilfe und Solidarität." Er höre mit der Errichtung des Gesundheitszentrums in Kobane und des "Hauses der Solidarität" in Truckenthal nicht auf: "Wir müssen ihn immer wieder erneuern und erweitern."
Es sei das Erfolgsrezept der ICOR, das Gemeinsame gegenüber noch vorhandenen Meinungsverschiedenheiten in den Mittelpunkt zu stellen. Freilich habe er auch Kritik z.B. an Auffassungen, eine demokratische Gesellschaft in Rojava ließe sich ohne Veränderung der Machtverhältnisse aufbauen. "Die kurdischen Revolutionäre taten gut daran, ihre erkämpften Errungenschaften entschlossen zu verteidigen."
Fritz Ullmann hob hervor, dass das "Internationalistische Bündnis" in Deutschland maßgeblich aus der Solidaritätsbewegung mit Kobane und Rojava entstanden ist. Es beruhe auf der Idee, alle fortschrittlichen und demokratischen Kräfte zusammenzuschließen. "Wir haben uns entschlossen, an den Bundestagswahlen teilzunehmen. Nicht weil wir glauben, dass wir über das Parlament etwas verändern können, sondern weil wir die Wahlteilnahme nützen wollen, die Leute zu überzeugen und für die aktive Mitarbeit zu gewinnen."
Khadija Barakat bedankte sich im Namen der Frauen von Rojava für die internationale Solidarität.
Kaum war die Pause vorbei, bildeten sich an den Saalmikrofonen lange Schlangen von Besuchern mit Fragen und Diskussionsbeiträgen. Da ging es unter anderem darum, welche Rolle die Zusammenarbeit der PYD mit den USA und Russland spielt, welche Zukunft Saleh Müslim für Aleppo sieht, wie die Spaltung zwischen türkisch-stämmigen AKP-Anhängern und kurdischen und deutschen Arbeitern in den Betrieben überwunden werden soll und was es mit Meldungen über Verhaftungen von Journalisten in Rojava auf sich hat.
Saleh Müslim betonte, dass kein einziger Journalist in Rojava wegen seiner journalistischen Tätigkeit verhaftet worden sei. Wenn es Verhaftungen gäbe, dann weil Leute Gesetze brechen. Die Verwaltung von Rojava schütze ausdrücklich die freie Betätigung der Medien. Was in Aleppo passiere, sei sehr tragisch. In den von Kurden kontrollierten Stadtteilen habe die PYD auch 20.000 Flüchtlinge arabischer Herkunft aufgenommen, um sie zu schützen. Nicht das türkische Volk stehe in Feindschaft zum kurdischen Volk, sondern die herrschende Klasse in der Türkei. Die Zusammenarbeit der PYD mit der US-amerikanischen und russischen Regierung beziehe sich allein auf den Kampf gegen den IS: "Die Beziehungen zu den Organisationen, die die Völker vertreten - wie die ICOR - sind wichtiger als die Beziehungen zu irgendeiner Regierung."
Stefan Engel knüpfte daran an: "Das Komplizierte beim Aufbau einer solchen Gesellschaft wie in Rojava ist die Verteidigung der Freiheit. Es gibt immer auch Feinde der Freiheit." Das sei von den kurdischen Freunden ebenfalls zu Beginn unterschätzt worden und habe mit dazu beigetragen, dass IS-Faschisten ein Massaker in Kobane anrichten konnten. "Die Marxisten-Leninisten treten deshalb für die Diktatur des Proletariats ein, um solche Feinde der Freiheit zu unterdrücken." Wenn man eine befreite Gesellschaft aufbaue, mache man auch Fehler. Die Kapitalisten hätten es in 200 Jahren nicht geschafft, dass ihr System ohne Krisen, Kriege, Umweltzerstörung usw. funktioniert. 177 Brigadistinnen und Brigadisten könnten bezeugen, welch große Fortschritte der Demokratie und Freiheit sich die Völker in Rojava erkämpft haben.
Stefan Engel betonte, die Veranstaltung habe gezeigt, dass der kurdische Befreiungskampf nicht nur den Kurden diene. Dieser sei solidarisch auch mit den arabischen Menschen, den Yeziden und allen anderen Volksgruppen Syriens, während die imperialistischen Regierung völlig unfähig seien, in Syrien für Frieden zu sorgen. Er bat alle Besucher, nicht nur die Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf fortzuführen, sondern auch das "Internationalistische Bündnis" weiter aufzubauen.
Mehrere Diskussionsredner berichteten von Erfolgen im Aufbau des Bündnisses. In Duisburg haben yezidische Migranten dies zu ihrer Sache gemacht und bereits hunderte Unterstützungsunterschriften gesammelt. Gabi Gärtner gab bekannt, dass die Spendensammlung mit 1.303,68 Euro die Veranstaltung auch finanziell zu einem Erfolg gemacht hat.
Weitere Bestandteile der Veranstaltung waren die Ehrung der gefallenen Kämpfer in Rojava, die Begrüßung ehemaliger YPJ-Kämpferinnen und YPG-Kämpfer (1), die teilweise verwundet wurden, und kulturelle Beiträgen. Ein Kobane-Lied trugen die anwesenden Brigadistinnen und Brigadisten gemeinsam vor. Passend zum Abschluss sangen alle gemeinsam die "Internationale", das Lied der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung.
Auch die PYD berichtet auf ihrer Homepage aktuell (allerdings nur in der arabischen Version)
(1) YPG = Volksverteidigungseinheiten, YPJ = Frauenverteidigungseinheiten