International
"Umweltfrage wird hauptsächliche Schwäche der Trump-Regierung sein"
Rote Fahne-Interview mit Bill Fletcher Jr. vom 1. Januar 2017
Bill Fletcher Jr. ist ehemaliger Präsident von "TransAfrica Forum", langjähriger Gewerkschafter und Sozialist. Er ist Autor, Kolumnist und Medienkommentator.
In den deutschen Medien wird vielfach behauptet, dass Trump hauptsächlich von weißen Arbeitern gewählt wurde. Wie schätzt du das selbst ein? Welche Unterstützung bekam er aus den kleinbürgerlichen Mittelschichten?
Das ist eine komplizierte Frage. Trump wurde von dem Kern der Basis der Republikaner und eines übergelaufenen Teils der weißen Wähler gewählt, die in den Jahren 2008 und 2012 offensichtlich Obama gewählt hatten. Das war definitiv keine Revolte der Arbeiterklasse, noch würde ich das als eine Revolte der weißen Arbeiter bezeichnen.
Unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in den USA tendieren regelmäßig etwa 25Prozent der Mitglieder dazu, die Republikaner zu wählen. Bei dieser Wahl haben etwa 51 Prozent der Gewerkschafts-”familien” Clinton gewählt. Es war eine sehr enge Wahl. Sie wurde in vier Kernstaaten mit einem Vorsprung von etwa 50.000 Stimmen oder weniger entschieden.
Es steht außer Frage, dass in Staaten, die sehr schwer von den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung betroffen waren, es auch eine Protestwahl von einem Teil der weißen Arbeiter war. Trumps Wähler bei den Vorwahlen hatten in der Tendenz höhere Durchschnittseinkommen als die Wähler von Clinton oder Sanders. Seine Wähler konzentrierten sich im Kleinbürgertum, obwohl seine Koalition sicherlich breiter war. Sie schloss einige Kräfte, die man als “Arbeiteraristokratie” bezeichnet, ein wie auch Teile des Kapitals, die in seinem Sieg die Möglichkeit der Abschaffung staatlicher Regulierung und der Zerschlagung der Gewerkschaftsorganisation sahen.
Insbesondere junge US-Amerikaner lehnten nicht nur Trump, sondern auch Clinton ab und blieben der Wahl fern. Dies zeigt unseres Erachtens eine zunehmende Kritik am Kapitalismus und eine wachsende Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative. Wie siehst du das?
Die Sanders-Kampagne hat bei jüngeren, vor allem weißen Wählern den Nerv getroffen. Ihm gelang es, eine links-populistische Plattform zu vertreten. Er mobilisierte viele Wähler, die wahrscheinlich keine echten Optionen sahen. Das war eine wichtige und positive Entwicklung.
Viele fortschrittliche Menschen haben nicht erkannt, welche Bedeutung eine weiße nationalistische Kandidatur hat, die sich offen neofaschistischer Kräfte bedient. Die Wahl am 8. November war nicht einfach ein Wettstreit zwischen einer konservativen und einer liberalen Position innerhalb der herkömmlichen politischen Landschaft.
Während es durchaus die Suche nach einer Alternative gibt, gab es einen großen Unterschied zwischen dem Herangehen der Sanders-Wähler, die der endgültige Wahl fernblieben, und dem Herangehen der rechten Kräfte. Während der Vorwahlen waren die Kandidaten der Republikaner sehr gespalten. Die rechten fundamental-christlichen Kräfte, die Senator Ted Cruz unterstützt hätten, haben sich letztendlich auf Trumps Seite geschlagen. Nicht weil sie an Trump glaubten, sondern weil sie dies als eine taktische Verbindung im Dienste eines weitergehenden Ziels betrachteten. 1968 geschah genau das gleiche, als die „Neue Rechte“ Richard Nixon bei der Präsidentschaftswahl unterstützte.
Mit seinem Programm für die ersten 100 Tage nach seiner Amtseinführung bekräftigt Trump eine Reihe seiner erzreaktionären, protektionistischen und repressiven Pläne, verbunden mit nationalistischer Stimmungsmache. Wie siehst du selbst dies? Was lässt sich jetzt schon über die zukünftig zu erwartende Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik sagen?
Die Lage ist sehr gefährlich. Obwohl Trump sich der Rhetorik des Nationalismus bedient, ist er eng mit der transnationalen Kapitalistenklasse verbunden. Sie sind in seinem neuen Kabinett gut repräsentiert. Es ist wichtig, dass man die Trump-Kampagne als Vertreter einer “revanchistischen” Bewegung versteht. Dieser Revanchismus ist eine Reaktion der weißen nationalistischen und rechts-populistischen Kräfte auf die sich verändernde Demographie in den USA, die fortschrittlichen Siege des 20. Jahrhunderts und die sich verändernde Lage der USA, die sich infolge der Neustrukturierung des globalen Kapitalismus einstellten. Diese Kräfte wollen die unilaterale Rolle des US-Staates festigen. Die Massenbasis ist gefangen im Mythos einer Rückkehr zu vergangenen Zeiten.
Trump und Putin repräsentieren sehr gefährliche Kräfte. Sie sind die ideologischen “Paten” der rechts-populistischen und neofaschistischen Bewegungen in Europa und Nordamerika. Sie vertreten ein Programm des Autoritarismus. Es ist nicht klar, ob Trump die vollständige Beseitigung der bürgerlichen Demokratie anstrebt, aber sicherlich die Stärkung eines neoliberalen autoritären Staates. Es gibt jedoch ein neofaschistisches Element innerhalb der Trump-Bewegung, welche die Beseitigung des sogenannten demokratischen Kapitalismus und die Einrichtung einer faschistischen oder eines proto-faschistischen Staates anstrebt.
Wie reagieren die Industriearbeiter und migrantischen Arbeiter auf die Ankündigungen Trumps?
Viele Arbeiter in Produktion und Bergbau haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Sie betrachten das Problem hauptsächlich als Folge von Handelsabkommen. Handelsabkommen sind aber nur eine Seite des Problems. Die Industrie verwandelt sich, insbesondere durch technologische Veränderungen, aber auch durch die Ausweitung des Neoliberalismus, d.h. die Ausweitung der Privatisierung, der Prekarisierung, der Deregulation. Folge war, dass viele dieser Arbeiter zumindest offen waren für Trumps Argumente. Das Scheitern der organisierten Arbeiterschaft, die Veränderungen im globalen Kapitalismus anzusprechen, die viel weitergehender sind als schlechte Handelsabkommen, hat die Grundlage für dieses Problem gelegt.
Migranten haben angesichts ihrer Lage große Angst, weil es unklar ist, ob und wann Trump seine Wahlkampfversprechungen, Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus auszuweisen und andere, wie z.B. Muslime, unter Beobachtung zu stellen, durchführen wird.
Trump hat in der Umweltpolitik ein Roll Back angekündigt. Wie reagiert die Umweltbewegung darauf? Was ist deine eigene Meinung dazu?
Es ist noch zu früh, zu sagen, wie die Umweltbewegung reagieren wird. Alle sind nervös. Es haben in den "Mainstream"-Umweltorganisationen Diskussionen stattgefunden, dass man Widerstand entwickeln muss. Aber es ist nicht klar, ob diese Organisationen bereit sind, mit anderen sozialen Bewegungen die Art von Einheitsfront aufzubauen, die zur Zeit notwendig ist. Innerhalb der Bewegung für Umweltgerechtigkeit gibt es Initiativen, wie z.B. Climate Justice Alliance, die potentielle Verbündete im Widerstand suchen.
Ich glaube, dass die Umweltfrage die hauptsächliche Schwäche der zukünftigen Trump-Regierung ist. Ihre Standpunkte zur Umwelt sind irrational.
Unmittelbar nach der Wahl haben in zahlreichen Städten der USA Protestaktionen begonnen. Wer beteiligt sich hauptsächlich daran? Wie haben sich diese seitdem entwickelt? Was ist für den 20. Januar, den Tag seiner Amtseinführung und danach zu erwarten?
Es gab viele spontane Proteste nach der Wahl. Diese waren gerecht, aber nicht strategischer Art. Ich sage das nicht, um zu kritisieren. Aber es war besser, dass es zum Protest kam, als wäre das nicht geschehen.
Was jetzt zusätzlich zum Protest notwendig ist, ist die Entwicklung fortschrittlicher Einheitsfronten in verschiedenen Bundesstaaten, die sich auf defensive Kämpfe vorbereiten, z.B. um demokratische Rechte, als auch auf ein offensives Herangehen, z.B. auf den Kampf für fortschrittliche politische Macht auf lokaler, regionaler und bundesstaatlicher Ebene. Auf den Aufbau dieser Bestrebungen muss sich die Linke konzentrieren. Die Proteste werden sich erschöpfen, wenn sie nicht mit einer solchen längerfristigen Orientierung verbunden werden.
Wir danken für das Interview!