Politik
Armut in Deutschland – was hilft dagegen?
14.03.17 - Im aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands heißt es: "Die Armut in Deutschland ist im Jahr 2015 auf einen neuen Höchststand von 15,7 Prozent der Bevölkerung angestiegen." Seit der Wiedervereinigung habe es noch nie so viele Arme gegeben - 12,9 Millionen Menschen. "Die Armut stieg fast flächendeckend", erklärte Geschäftsführer Ulrich Schneider. Einer der Gründe dafür ist die Ausweitung der Leiharbeit. Nach aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit verdienen die gut 800.000 Leiharbeiter in Deutschland im Schnitt monatlich rund 1.300 Euro weniger als reguläre Vollzeitbeschäftigte. Der Lohnabstand beträgt seit Jahren um die 42 Prozent.
Als arm gelten Haushalte, die nur über 60 Prozent oder weniger des durchschnittlichen Einkommens verfügen. Dabei ist Armut nicht erst gegeben, wenn Rentner z.B. Pfandflaschen in Mülltonnen suchen müssen. Mit der Tatsache, dass wenig Geld zur Verfügung steht, ist eine kulturelle Ausgrenzung verbunden: die Familien können "nicht mehr mithalten", sind "gezwungen, sich zurückzuziehen", sind "faktisch ausgegrenzt oder werden abgedrängt".
Dennoch ist nach einer aktuellen Umfrage des ARD-DeutschlandTrends ist die Zahl derjenigen, die der Meinung sind, dass es in Deutschland eher ungerecht zugeht, zuletzt leicht zurückgegangen. 44 Prozent sind dieser Meinung, während 50 Prozent der Auffassung sind, dass es in Deutschland alles in allem eher gerecht zugeht. Im Februar 2016, als die Frage zuletzt gestellt wurde, überwog noch die kritische Sicht. Unter den Anhängern der SPD ist gut die Hälfte dieser Meinung (53:41 Prozent).
Das zeigt, dass die regierungsamtliche Propaganda durchaus eine gewisse Wirkung hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel behauptet, den Menschen in Deutschland gehe "es noch nie so gut wie im Augenblick". Sie begründet das in erster Linie mit der gesunkenen offiziellen Arbeitslosenzahl. Deren Rückgang liegt zum einen daran, dass die Zahl der Geburten massiv zurückging und qualifizierte Arbeitskräfte in den letzten Jahren zunehmend ausgewandert sind. Vor allem sank von 2000 bis 2014 die Zahl der Vollerwerbsarbeitsplätze von 25,3 auf 23,5 Millionen, während die Teilzeit- und Minijobs von 10,6 auf 14,8 Millionen anstiegen. Rechnet man zu den arbeitslos gemeldeten Menschen diese Unterbeschäftigten dazu, nahm die Gesamtzahl aller Arbeitslosen und Unterbeschäftigten im gleichen Zeitraum um rund zwei Millionen zu.
Genausowenig stimmt es, wenn Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) erklärt: "Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt nicht weiter zu." Die Milliardäre haben in Deutschland inzwischen so viel Vermögen (297 Milliarden Dollar) wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen, und das reichste Prozent besitzt rund ein Drittel des gesamten Vermögens¹.
Besonders von der wachsenden Armut betroffen sind Erwerbslose, Alleinerziehende und deren Kinder, alte Menschen, Migranten, chronisch Kranke und Behinderte. Die Zahl der "arbeitenden Armen", die zum Niedrigstlohn noch Hartz IV beziehen müssen, liegt mittlerweile bei 1,2 Millionen. Und: Armut ist in Deutschland überwiegend weiblich. Frauen verdienen im Schnitt nach wie vor 22 Prozent weniger als Männer. Sie werden doppelt ausgebeutet, einmal wie die männlichen Lohnabhängigen und doppelt, weil sie dafür noch weniger Lohn bekommen. Alleinerziehende Frauen stecken oft in einer Armutsfalle. Für viele Frauen ist Altersarmut vorprogrammiert.
Eine wesentliche Ursache für die wachsende Armut war und ist der mit der Agenda 2010 geschaffene riesige Niedriglohnsektor. Und wie sich jetzt herausstellt, sorgt die Festsetzung eines Mindestlohns vor allem dafür, dass sich das Lohnniveau insgesamt nach unten - an diesem Mindestlohn - orientiert und keineswegs dafür, dass Niedriglöhne abgeschafft werden.
Martin Schulz, der neue "Gerechtigkeits"-Apostel der SPD, gibt sich selbstkritisch, weil er 2004 noch kräftig für die Agenda 2010 die Trommel gerührt hatte. Es sei da einiges "aus dem Lot gekommen". Als Lösung will er vor allem das Arbeitslosengeld I (ALG I) verlängern. Das könnte aber allenfalls für Wenige den Beginn der Armut für einige Monate hinauszögern. Aber für die in Armut gedrückte Masse der Minijobber, befristet Beschäftigten, Leiharbeiter und Hartz-IV-Auftstocker bringt das nichts, weil sie ohnehin keine Chance auf ALG I haben.
Thomas Kistermann, Moderator der Montags-Demo in Gelsenkirchen: "Was SPD-Schulz vorhat, kann die Armut nicht aufhalten. Hartz IV muss weg. Und dann brauchen wir vor allem genügend gut bezahlte Arbeitsplätze auf Kosten der Unternehmerprofite. Natürlich braucht es auch ein vernünftiges Arbeitslosengeld und eine Sozialhilfe, die die Menschen nicht gesellschaftlich ausgrenzt. Dafür tritt die Montagsdemo von Anfang an ein. Um das durchzukämpfen, müssen wir uns organisieren: in Gewerkschaften, Montagsdemos und anderen Organisationen."
Das ist auch ein zentrales Anliegen der Internationalistischen Liste/MLPD. Sie sagt der wachsenden Massenarmut den Kampf an und ist darüber hinaus für eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, weil das kapitalistische System mit seiner Ausbeutung die Armut gesetzmäßig hervorbringt. Für die MLPD heißt die Alternative "echter Sozialismus", weil sich dort das gesellschaftliche Leben an den Bedürfnissen der Menschen orientiert - im Einklang mit der Natur.
¹ Oxfam