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Meinen Sie es ernst, Herr de Maizière, oder heucheln Sie nur?

31.03.17 - Als gestern bekannt wurde, dass der Geheimdienst MIT des faschistischen türkischen Erdogan-Regimes auch deutsche Parlamentsabgeordnete, darunter Michelle Müntefering (SPD), ausspioniert, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Bürgerliche Regierungs- und Oppositionspolitiker/-innen gaben vollmundig bekannt, dass sie nunmehr kein Blatt mehr vor den Mund nehmen und Erdogan öffentlich und schonungslos kritisieren werden. Das ist gut. Als "unerträglich und nicht hinnehmbar", bezeichnete der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), gegenüber der Passauer Neuen Presse am gestrigen Donnerstag diesen Vorgang. Ähnlich drückte sich die Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion, Cemile Giousouf (CDU), aus. Innenminister Thomas de Maizière fordert Verbot und strafrechtliche Verfolgung von Spionageaktivitäten des türkischen Geheimdienstes. "Spionage ist strafbar, unser Recht gilt auch für den türkischen Geheimdienst", sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) der "Bild"-Zeitung vom heutigen Freitag.

Hintergrund dieser aktuellen Aufwallungen ist eine Liste mit 300 Namen, die der türkische Geheimdienst am Rande der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz dem deutschen BND-Chef übergeben haben soll mit dem Ersuchen um Mitwirkung beim Ausspähen vermeintlicher oder tatsächlicher Anhänger der Gülen-Bewegung und weiterer missliebiger Personen. Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl kriegt sich schier nicht mehr ein ob eines solchen unsäglichen Ansinnens. Vor Empörung schnaubend sagte er dem Handelsblatt: "Zu glauben, dass die deutschen Dienste dem türkischen Dienst hierbei Amtshilfe leisten, zeigt die Borniertheit der türkischen Regierung." Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan entferne sich die Türkei "in Sieben-Meilen-Stiefeln" von rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien.

Entweder lesen die zitierten Damen und Herren ihre Zeitungen nur selten oder sie haben ein bemerkenswert kurzes Gedächtnis. Als ob der türkische Geheimdienst erst mit dieser Liste begonnen hat, in Deutschland aktiv zu werden. Und was für eine bodenlose Heuchelei, Herr Uhl, es sei undenkbar, dass "deutsche Dienste" beim Abhören, Ausspähen und der Gesinnungsschnüffelei behilflich seien. Sie sind es, und dies schon seit langer langer Zeit! Nur dass es mit der Gesinnung von Herrn Uhl und Herrn de Maizière völlig konform geht, wenn sich die konzertierten Schnüffelaktivitäten von MIT, deutschem Inlandsgeheimdienst und BND gegen Linke, gegen Demokraten, gegen fortschrittliche Kräfte, gegen den kurdischen Freiheitskampf und die erfolgreiche antifaschistische und revolutionäre Zusammenarbeit von Kurden, Türken, Deutschen und Migranten aller Nationalitäten richtet.

Seit dem 17. Juni 2016 wird vor dem Oberlandesgericht München das Verfahren gegen zehn vermeintliche Mitglieder der TKP/ML wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129b StGB) geführt. Die TKP/ML ist in Deutschland nicht verboten und findet sich auch nicht auf internationalen Terrorlisten. Allein die Türkei deklariert sie als terroristische Organisation. Die gesamte Anklage beruht auf einer unglaublichen, detaillierten - rechtswidrigen - Überwachung der ATIK-Aktivisten auf Schritt und Tritt und über Jahre hinweg. Sie ergab nichts anderes, als dass diese Leute aktiv sind für eine fortschrittliche und grechte Sache.

"Der Einleitung dieses Strafverfahrens", so schreiben die Anwältinnen und Anwälte der Angeklagten in einer vor kurzem veröffentlichten Ptessemitteilung, "liegt eine außenpolitische Entscheidung, nämlich die Erteilung der sogenannten Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium (BMJV) zugrunde: Ob eine Strafverfolgung durchgeführt wird hängt davon ab, ob diese den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Maßgebend soll dabei nach dem Gesetz u.a. sein, ob sich die Ziele der Vereinigung gegen einen ausländischen Staat richten, der die Würde des Menschen achtet. Dass dies offensichtlich nicht der Fall ist, hat die Verteidigung in dem Verfahren schon mehrmals thematisiert und nunmehr in einem mehr als 80‐seitigen Antrag gegenüber dem BMJV dargelegt. Die Einschätzung der Verteidigung wird offensichtlich jetzt auch von der Bundesregierung geteilt. So hat Heiko Maas im Zusammenhang mit der Verhängung von Untersuchungshaft gegen den Journalisten Deniz Yücel in einem 'Brandbrief' an seinen türkischen Amtskollegen Bozdag diesem einen 'Abbau des Rechtsstaats' vorgeworfen. Mit ihrem Antrag auf Rücknahme der Verfolgungsermächtigung zwingt die Verteidigung die Bundesregierung dazu, endlich Farbe zu bekennen."

Das gilt ja jetzt noch viel mehr. Ganz offensichtlich haben sich viele, auch sehr konservative Politiker wie Hans-Peter Uhl, der Meinung von Heiko Maas angeschlossen: Erdogan steht keinem Rechtsstaat vor. Die Anklage gegen die wegen §129b vor Gericht stehenden Aktivisten und Revolutionäre beruht auf rechtswidrigen Geheimdienstaktivitäten.

Die sofortige Aussetzung des Verfahrens ist das Mindeste, was jetzt sofort erfolgen muss. Die Bundesregierung muss ihre Verfolgungsermächtigung zurückziehen, wenn sie nach ihren vollmundigen Erklärungen nicht im Hemd dastehen will.