Münchner Kommunistenprozesse

Münchner Kommunistenprozesse

Erfolg der Solidaritätsbewegung - Vier weitere ATIK–Gefangene frei

Auf Anordnung des Oberlandesgericht München wurden am Montag, dem 19. Februar 2018, vier Angeklagte des Münchner Kommunistenprozesses aus der Untersuchungshaft entlassen. Sinan Aydin, Dilay Banu Büyükavci, Sami Solmaz und Musa Demir sind seit gestern frei! Ein hart erkämpfter Riesenerfolg der Solidarität.

Von dw
Erfolg der Solidaritätsbewegung - Vier weitere ATIK–Gefangene frei
Am 15. September 2017 rief die Internationalistische Liste/MLPD zu einer Solidaritätsdemo in München auf (rf-foto)

Schon im Dezember 2017 wurde Mehmet Yeşilçalı freigelassen. Damit sind die Hälfte der im April 2015 in einer europaweiten Razzia inhaftierten türkischen Revolutionäre wieder auf freiem Fuß.

 

Die Vorsitzende der MLPD, Gabi Fechtner und die Internationalismus-Verantwortliche Monika Gärtner-Engel schrieben an alle noch Gefangenen und die Freigelassenen: "Herzlichen Glückwunsch zu eurer Freilassung! Das ist ein großer Erfolg eurer unbeugsamen Haltung, eines konsequenten Kampfs um eure Rechte und Freiheiten und der der Solidarität, die sich in Deutschland, der Türkei und international entwickelt hat." Jetzt gilt es "den Kampf um die Freilassung auch der anderen fünf Genossen und die Einstellung des Verfahrens noch entschiedener zu führen."

Riesenerfolg der Solidarität

Offenbar befürchtete das Gericht anlässlich des dritten Jahrestages der Verhaftung weitere grundsätzliche Stellungnahmen der Angeklagten und ihrer Verteidigerinnen und Verteidiger, die immer wieder die Haltlosigkeit der Anschuldigungen nachwiesen. Viele Menschen wunderten sich auch, wie es sein kann, dass die Bundesregierung türkische Revolutionäre inhaftiert und zugleich Erdogan wegen der illegalen Gefangennahme des Journalisten Deniz Yücel aus Deutschland kritisiert. Diese Heuchelei ist mit der Freilassung Yücels immer unglaubwürdiger geworden.

 

Die Freilassung ist ein großer Erfolg der europaweiten Solidaritätsbewegung, auf den alle zu Recht stolz sind. Er war erkämpft gegen das weitgehende Ausblenden dieses Prozess aus der Öffentlichkeit. Die Solidaritätsbewegung hat dagegen jeden der über 80 Prozesstage begleitet, teilweise mit Demonstrationen und Kundgebungen. Das Internationalistische Bündnis und die Internationalistische Liste/MLPD haben diese Solidarität zu einem Hauptthema im Wahlkampf 2017 gemacht. Zwei der Gefangenen, Deniz Pektas und Erhan Aktürk, kandidierten für die Internationalistische Liste/MLPD zur Bundestagswahl. Sie alle haben die Freilassungen hart erkämpft.

 

Entscheidend war auch die vorbildliche und unbeugsame Haltung der Gefangenen selbst. Sie haben sich durch keine Misshandlungen, keine Diffamierungen als "Terroristen", keine Drohungen, Erpressungen oder Versprechungen klein kriegen lassen. Diese Haltung war es, die viele Prozessbesucherinnen und -besucher tief bewegte. Und diese Haltung war es, an der sich die Klassenjustiz bisher die Zähne ausgebissen hat.

Ein weiterer Etappensieg gegen die politisierte Klassenjustiz

ATIK

Die ATIK bewertet heute in einer Presseerklärung "... diese gute Nachricht als einen weiteren Etappensieg gegen die politisierte Klassenjustiz, die sich in der ungerechten Anklage der Staatsanwaltschaft widerspiegelt.“ Die ATIK bedankt "sich bei allen Menschen und Organisationen für das bisherige unermüdliche Engagement und die Solidarität!“

 

Roland Meister, Verteidiger von Sami Solmaz und Mitglied des Zentralkomitee der MLPD zu Rote Fahne News:  „Wir Verteidiger und mein Mandant haben uns natürlich sehr gefreut über diesen Erfolg – nach fast drei Jahren Isolationshaft. Das ist wichtig, eine Ermutigung und Ergebnis einer intensiven Arbeit der Solidarität. Natürlich spielt auch die aktuelle Situation eine Rolle, wo die Unterstützung der Bundesregierung für die Aggression der Türkei gegen Efrîn und die Repression im Inneren – allein 1000 Verhaftungen seit Beginn des Angriffs – zunehmend in die Kritik gerät.“

"Unverhältnismäßigkeit der U-Haft"

Als offiziellen Haftentlassungsgrund führt das Münchner OLG bei den vier gestern Freigelassenen die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft an. „Die - äußerst knappe - Haftentlassungsbegründung bedeutet, dass das Oberlandesgericht von einer zu erwartenden Strafe ausgeht, die angesichts der bisherigen fast dreijährigen Untersuchungshaft kaum darüber liegen würde. Spätestens, wenn eine Untersuchungshaft vor einem Urteil schon so lange zu dauern droht wie die zu verhängende Strafe, tritt juristisch eine Unverhältnismäßigkeit ein, die das OLG hier vermeiden will“, erläutert Rechtsanwalt Frank Jasenski, ebenfalls Mitglied des Verteidigerteams, die Entscheidung.

Am 1. Mai 2017 in München (rf-foto)
Am 1. Mai 2017 in München (rf-foto)

Wir fordern:

  • Freiheit auch für Erhan Aktürk, Haydar B., Müslüm Elma, Deniz Pektas und Seyit Ali Ugur!
  • Freiheit für alle fortschrittlichen politischen Gefangenen!
  • Sofortige Einstellung aller §129b-Verfahren!
  • Revolution ist kein Verbrechen!

Dass die fünf übrigen Angeklagten nicht freigelassen werden, deutet indirekt daraufhin, dass das Gericht hier von deutlich höheren Freiheitsstrafen ausgeht. Damit ist aber auch klar: Das Bild der gewaltbereiten, osmanischen Terroristen, das im Gesamtprozess von der Bundesanwaltschaft zu zeichnen versucht wurde, ist vom Gericht selbst weitgehend ad absurdum geführt.

Gesinnungsprozess läuft weiter

Ausgangspunkt für die antikommunistische Kriminalisierung der zehn Aktivisten der europaweiten Migrantenorganistion ATIK (Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa) war eine Verfolgungsermächtigung des Bundesjustizministeriums gegen die Türkische Kommunistische Partei / Marxistisch-Leninistisch), TKP/ML.

 

Diese Ermächtigung besteht seit 2007 und wurde mehrfach, zuletzt 2013 und 2015, erweitert und neu gefasst – offensichtlich auch im Sinne der jeweiligen türkischen Regierungen. Ausschlaggebend dafür ist der antidemokratische und antikommunistische Strafrechtsparagraph 129b, der die „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ in der BRD unter Strafe stellt. Er wurde 2002 unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terror“ eingeführt und dient der Kriminalisierung von Befreiungskämpfen und -kämpfern. Dementsprechend geht es in den Anklageschriften auch überhaupt nicht um konkrete Straftaten, sondern um die Gesinnung der Angeklagten. Um den Versuch eines Nachweises, dass die politisch fortschrittlichen türkisch-stämmigen Migranten einem Auslandskomitee der TKP/ML angehört haben sollen.

 

Die Solidarität wird nicht ruhen, bis auch die letzten fünf Genossen frei sind.