Tarifergebnis
Öffentlicher Dienst: Erkämpfter Erfolg - aber Kampfbereitschaft nicht voll eingesetzt
Am späten Abend des 17. April einigten sich ver.di und die Vertreter des öffentlichen Dienstes auf ein Tarifergebnis für die 2,3 Millionen Beschäftigten der Kommunen und des Bundes.
220.000 Kolleginnen und Kollegen haben in nur wenigen Wochen mit einer beeindruckenden Welle von Warnstreiks ihre Kampfbereitschaft demonstriert. Insbesondere den Beschäftigten in den unteren Lohngruppen war die Durchsetzung der 6 Prozent Lohnerhöhung und des Mindestbetrages von 200 Euro zentrales Anliegen.
Dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) nach anfänglich kategorischer Ablehnung der ver.di-Forderungen zu Zugeständnissen bereit war, ist vor allem Ergebnis dieser Streiks.
Das Verhandlungsergebnis sieht vor, dass die Löhne und Gehälter in mehreren Schritten – über 30 Monaten hinweg – erhöht werden: Rückwirkend zum 1. März 2018 um 3,19 Prozent, zum 1. April 2019 um 3,09 Prozent und zum 1. März 2020 um weitere 1,06 Prozent. Die Auszubildenden erhalten in zwei Schritten je 50 Euro mehr Geld sowie 30 statt 29 Tage Urlaub im Jahr.
Für untere Einkommen soll es entgegen zunächst anders lautender Meldungen doch eine Art Mindesterhöhung geben. Laut ver.di-Chef Frank Bsirske wird es keinen Beschäftigten geben, der über die dreijährige Tariflaufzeit mit weniger als monatlich 175 Euro Plus rechnen könne. Das ist vor allem Ergebnis der Anhebung von sechs Erfahrungsstufen, die es im öffentlichen Dienst zusätzlich zu den Entgeltgruppen gibt. Die niedrigste Einsteiger-Stufe fällt weg, die anderen Stufen werden jeweils auf das Niveau der nächsthöheren gehoben, eine neue sechste eingeführt. Frank Bsirske spricht vom „besten Ergebnis seit vielen Jahren".
Niederlage für "öffentliche Arbeitgeber"
Tatsächlich konnte sich der Verband der "öffentlichen Arbeitgeber" mit seiner Absicht, vor allem die Gehälter der oberen Einkommensgruppen anzuheben und die normalen Beschäftigten links liegen zu lassen, nicht durchsetzen. Es waren die kämpferischen ver.di-Gewerkschafter, die diesen Versuch mit ihrer Entschlossenheit zur Durchsetzung einer Mindesterhöhung durchkreuzten.
Die lange Laufzeit ist vor allem im Interesse der "öffentlichen Arbeitgeber", die für ihren Rechtskurs Arbeiterkämpfe in den nächsten Jahren vermeiden wollen. Das mussten sie relativ "teuer" bezahlen. Es zeigt, dass es genau richtig war, gleich mit einer breiten Streikwelle und wirksamen Arbeitsniederlegungen - zum Teil über 24 Stunden ausgedehnt - einzusteigen.
ver.di-Jugend vorne dran
Noch nie war die Kampfbereitschaft so breit und so rasch angewachsen. „Wir sind streikbereit“, „Uns reicht‘s“ - hieß es auf Bannern und in Sprechchören. Ob in Dortmund oder Köln (je 18.500), Nürnberg (9000), München (7000) oder Stuttgart (7500), überall waren mehr Teilnehmer als bei der Tarifrunde vor zwei Jahren. Damals beteiligten sich bundesweit bis zu 150.000 Beschäftigte an Warnstreiks.
Mit vorne dabei die ver.di-Jugend mit ihren Forderungen für unbefristete Übernahme nach der Ausbildung und Erhöhung der Ausbildungsvergütung. Selbst Horst Seehofer kam nicht umhin zuzugeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung Sympathie mit den Streikenden hatte.
Unzureichend angesichts anziehender Inflation?
Wenn die gewerkschaftliche Kampfkraft tatsächlich voll eingesetzt worden wäre - bis hin zu Urabstimmung und unbefristeten Flächenstreiks - wäre erheblich mehr drin gewesen. Das ist eine der Fragen, die in der Auswertung der Tarifrunde in den Betrieben und Verwaltungen gründlich diskutiert werden muss.
So kann sich die über drei Jahre gestreckte Lohnerhöhung bei den gleichzeitig weitgehenden Zugeständnissen gegenüber dem geforderten Mindestbetrag von 200 Euro mehr pro Monat bei wieder anziehender Inflation schnell zu einem Reallohnverlust entwickeln. In den bürgerlichen Medien wird das Ergebnis teilweise als „7,5 Prozent mehr Lohn“ hingestellt. Bei der geplanten Rekord-Laufzeit von 30 Monaten bedeuten die drei Erhöhungsstufen umgerechnet im Schnitt aber nur 3 Prozent pro Jahr.
Das Ergebnis ist der großen Kampfkraft der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken
Ver.di-Aktivistin
„Das Tarifergebnis von heute Nacht ist der großen Kampfkraft der Kolleginnen und Kollegen in den Verwaltungen und Betrieben zu verdanken", berichtet stolz eine ver.di-Aktivistin gegenüber Rote Fahne News. "Teils mit direkter Beteiligung der Bevölkerung zum Beispiel der Eltern in den Kitas oder der Patienten in den Krankenhäusern, gab es eine hohe Bereitschaft, um eine Lohnerhöhung zu kämpfen. Die Jugend war gut aufgestellt! Unser Selbstverständnis 'Wir sind es wert' bringt auch ein gewachsenes Frauenbewusstsein zum Ausdruck. Jetzt gilt es das Ergebnis in den Betrieben zu diskutieren. Sicherlich wird das auch mit Kritiken besonders an der langen Laufzeit verbunden sein.“
MLPD förderte Kritik am kapitalistischen System
Eine wachsende Politisierung hat die MLPD mit ihren Flugblättern der Reihe „Tarifrunde aktuell“ bewusst gefördert. Sie war die einzige Partei, die sich derart für die Streikenden positioniert hat.
In vielen Diskussionen bei Streikkundgebungen ermutigte sie die Kolleginnen und Kollegen, nicht beim Kampf um höhere Löhne und Gehälter stehenzubleiben, sondern sich einzureihen in den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft. Im echten Sozialismus wird die Unterordnung der öffentlichen Daseinsfürsorge unter das kapitalistische Profitgesetz genauso abgeschafft wie die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung überhaupt.