Armenien
Massenproteste zwangen Ministerpräsidenten zum Rücktritt – Wie geht es weiter?
Der langjährige Präsident Armeniens, Sersch Sargsjan, ließ sich mit gleichbleibender Machtfülle zum Ministerpräsidenten wählen. Daraufhin entwickelten sich im Land elf Tage lang die größten Massenproteste seit 1980.
Der Grund für diese Proteste: Sargsjan durfte laut Verfassung keine weitere Amtszeit Präsident bleiben. Die Wahl zum Ministerpräsidenten ist ein Hintertürchen, um an der Macht zu bleiben bleiben. Er herrschte viele Jahre - gestützt auf dem Zusammenspiel mit dem russischen Imperialismus und nationalen Oligarchen-Clans.
In Kürze
- Die Massen Armeniens haben ihren korrupten ehemaligen Präsidenten und Ministerpräsidenten zum Rücktritt protestiert
- Armenien liegt im Einflussgebiet der neuimperialistischen Länder Russland, Türkei und Iran
- Es fehlt eine marxistisch-leninistische Partei im Land, die die Menschen bei ihrem Kampf für Freiheit und Demokratie führen kann
An den Demonstrationen beteiligten sich viele Jugendliche, Studenten, Intellektuelle, öffentliche Angestellte, Werktätige bis zu Teilen des Militärs - die Bewegung genießt großen Rückhalt in der Bevölkerung. In der Hauptstadt Jerewan waren 50.000 Menschen auf der Straße. Auch in den anderen großen Städten des Landes liefen Massendemonstrationen, die sich mit Straßenblockaden verbanden. Die „Sicherheitskräfte“ gingen mit Blendgranaten und mindestens 500 Verhaftungen dagegen vor. Unter den Verhafteten war auch der Oppositionsführer und Ex-Journalist Nikol Paschinjan.
Unter dem massiven Druck der Straße musste der verhasste Ministerpräsident und frühere Präsident Sargsjan am 23. April zurücktreten. Aber es geht um weit mehr, als die Kritik am alten Präsidenten, der sich durch eine Gesetzesänderung eine dritte Amtszeit verschaffen wollte. Die Menschen fordern bei eine Armutsrate von 30 Prozent grundlegende Verbesserungen ihrer Arbeits- und Lebensgrundlagen, zum Beispiel des Rentensystems. Sie lösen sich stärker von den bürgerlichen Parteien, Institutionen und der verbreiteten „Vetternwirtschaft“. Sie kritisieren auch die „Kritiklosigkeit“ der Herrschenden gegenüber dem russischen Imperialismus und fordern demokratische Rechte. Ein fortschrittlicher Stimmungsumschwung ist eingeleitet - ein Drang nach Freiheit und Demokratie kommt zum Ausdruck.
Armenien liegt an der Nahtstelle neuimperialistischer Interessen
Die Massenproteste stehen auch im Zusammenhang zum verschärften imperialistischen Konkurrenzkampf. Armenien liegt im russischen Einflussgebiet im Kaukasus direkt an den Grenze zur neuimperialistischen Türkei und dem neuimperialistischen Iran - an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien. Es handelt sich auch um einen Machtkampf bürgerlicher Politiker: auch der gerade von den bürgerlichen Medien zum „Hoffnungsträger" ernannte Nikol Paschinjan, orientiert weiter auf den bürgerlichen Parlamentarismus. Und er schlägt schon die ersten versöhnlichen Worte in Richtung Russland an.
Es wird sich zeigen, ob sich Armenien stärker von der Vorherrschaft des russischen Imperialismus löst und der imperialistischen EU nähert. So sollte Armenien 2013, wie auch die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der EU schließen. In beiden Fällen wurde nach massivem Druck aus Moskau nichts daraus. Stattdessen trat Armenien der von Russland bestimmten Eurasischen Union bei. Bis heute hat Russland Militäreinheiten in Armenien stationiert und stellt die Grenzsoldaten an der Grenze zur Türkei und dem Iran.
Bürgerliche pro-westliche Medien hoffen bereits auf einen "neuen Maidan". Also auf eine "Volksbewegung" für die EU, wie sie zeitweise in der Ukraine initiert wurde. Das ist aber eher eine Stimmung mancher Führer der Proteste. So nennt Paschinjan als Vorbilder die Bewegungen in Polen und der Tschechoslowakei, die im vergangenen Jahrhundert die von ihm als "kommunistisch" bezeichneten Regime zum Abdanken gezwungen haben. Bei den Demonstrationen sieht man auch kaum rote Fahnen, dagegen oft die Nationalflagge Armeniens.
Am kommenden Dienstag will das Parlament einen neuen Ministerpräsidenten wählen. Wenn einige der Abgeordneten von Sargsjans Republikanischer Partei die Lager wechseln, könnte Paschinjan Ministerpräsident werden. Prompt sprach dieser sich gegen weitere Straßenblockaden aus. Außerdem kündigte er an, dass auch bisherige Minister unter seiner Führung ihre Posten behalten werden. Die bisherige Regierungspartei will im Gegenzug auf einen eigenen Kandidaten verzichten.
Eine treffende marxistisch-leninistische Analyse der Veränderungen im imperialistischen Weltsystem stellt die Broschüre „Über die Herausbildung der neuimperialistischen Länder“ dar. (Sie ist hier erhältlich) Darin heißt es: „Die Zeit ist reif für den Aufbau einer internationalen antiimperialistischen und antifaschistischen Einheitsfront, deren Kern das internationale Industrieproletariat sein muss.“
Es fehlt eine marxistisch-leninistische Partei
Die Massen in Armenien haben eindrucksvoll gezeigt, zu was sie in der Lage sind. Damit sie sich von Illusionen in den Parlamentarismus und aus den Händen imperialistischer und neuimperialistische Mächte frei machen können, brauchen sie eine starke marxistisch-leninistische Partei. Diese muss willens und in der Lage sein, sich die Anerkennung zur Führung solcher Kämpfe zu erwerben.