Ellwangen
Bundesregierung attackiert Flüchtlingssolidarität
Seit einigen Tagen werden die Ereignisse um eine Ellwanger Flüchtlingsunterkunft von maßgeblichen Regierungsvertretern und Mitgliedern der Großen Koalition ausgeschlachtet, um gegen Flüchtlinge zu hetzen.
Sie wollen damit weitere repressive Maßnahmen rechtfertigen, die bei der Klausur der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD ab dem heutigen Montag auf der Tagesordnung stehen.
Solidarität und Selbstlosigkeit verdient Anerkennung
Seit Tagen wird der zunächst erfolgreiche Versuch, eine Abschiebung zu verhindern, über alle bürgerlichen Kanäle attackiert und skandalisiert. Dabei ist eine solche Abschiebung lebensgefährlich für den Betroffenen. Im kommenden Rote Fahne Magazin berichtet Isidore Apélété von der Kommunistischen Partei Togos, wie die dortige Diktatur gegen die Opposition vorgeht. In den letzten Monaten kamen 100 Menschen ums Leben, 450 wurden verletzt: "Die faschistische togolesische Armee hat alle größeren Städte im Norden Togos eingenommen, um die Volksmassen zu unterdrücken", so der togolesische Revolutionär.
Aus dieser Situation war der 23-jährige Togolese geflohen und hat damit jedes moralische Recht, als Flüchtling anerkannt zu werden. Stattdessen wollte ihn die grün-schwarze Landesregierung nach Italien abschieben, weil er dort zuerst europäischen Boden betreten hätte. Die Festnahme und Verbringung in ein Abschiebegefängnis haben am vergangenen Montag 150 bis 200 Flüchtlinge und Unterstützer erfolgreich verhindert. Solidarität auf der Grundlage einer hohen Selbstlosigkeit: Muss doch jeder Unterstützer damit rechnen, selbst ins Visier des deutschen Staatsapparats zu geraten.
In Kürze
- Alexander Dobrindt (CSU) attackiert demokratische Rechte und diffamiert nach Flüchtlingen nun auch solidarische Anwälte
- Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will die abendländische Kultur als "Leitkultur" zementieren
- Flüchtlinge in Ellwangen in hohem Maße selbstlos und solidarisch
Die gescheiterte Festnahme nahm die Polizei im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg zum Anlass, einen massiven Polizeiüberfall gegen die Asylbewerber in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) durchzuführen. Um 5.15 Uhr am vergangenen Donnerstag stürmten Hunderte Polizisten mit Hunden und Spezialkräften die LEA.
Wir haben geschlafen, da kamen sie rein, haben getreten und geschlagen
Ein Flüchtling aus Nigeria
"Wir haben geschlafen, da kamen sie rein, weckten uns laut, haben getreten und geschlagen und alle Sachen durcheinandergebracht. Ich wusste gar nicht, was los ist“, berichtet ein 34-jähriger Flüchtling aus Nigeria. „Sie haben alle rausgeholt aus den Zimmern, haben viele gefesselt, manche Leute sind verletzt worden.“ Nach offiziellen Angaben erlitten tatsächlich elf Bewohner und ein Polizist Verletzungen.
Obwohl sich der Togolese auch beim zweiten Mal überhaupt nicht wehrte, ging die Polizei brutal vor. „Er sagt, viele Polizisten hätten ihn in seinem Zimmer überrascht und an Armen und Beinen festgehalten“, berichtet sein Verteidiger. „Draußen sollen sie ihn zu Boden gebracht und ihm einen Fuß auf den Nacken gestellt haben.“ Zum Gespräch seien die Beamten nicht bereit gewesen. Zehn andere Flüchtlingen wurden verlegt. Beifall für den martialischen Einsatz gab es ausdrücklich vom grünen Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Reaktionäre Hetze gegen Flüchtlinge
Die Vorfälle in Ellwangen missbraucht der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, um gegen eine „Antiabschiebeindustrie“ zu hetzen. Damit attackiert er Anwälte und Unterstützer von Flüchtlingen. Das ist hochgradig scheinheilig. Auf der einen Seite schreit er Zeter und Mordio, weil mit der verhinderten Abschiebung sein angeblicher "Rechtstaat" vor dem Untergang stünde. Auf der anderen Seite diffamiert er Anwälte, die Flüchtlingen helfen, ihre Rechte wahrzunehmen, als „Antiabschiebeindustrie“. Damit stellt er grundlegende demokratische Rechte in Frage.
Dazu passt auch die reaktionäre Empörung, weil die Flüchtlinge der LEA es gewagt haben, sich zu organisieren, wachsam gegen Abschiebungen zu sein und gemeinsam zu handeln. Natürlich wäre es den Dobrindts, Seehofers und Söders lieber, jeder Flüchtling würde sich demütig und willfährig alles gefallen lassen. Mitarbeiter der LEA berichten dagegen, dass auch das tägliche Leben, viele organisatorische Dinge in Ellwangen besonders gut laufen würden, gerade weil die Flüchtlinge gut organisiert und solidarisch seien.
Gegen eine solche Organisation will Innenminister Horst Seehofer (CSU) Asylbewerber in so genannten „Ankerzentren“ konzentrieren, die jeweils 1.500 Menschen aufnehmen sollen. Wenn es nach ihm geht, bewacht von der Bundespolizei. Das ist eine weitere Isolierung von Flüchtlingen, um sie von der Bevölkerung abzuschotten, sie umfassender zu kontrollieren und ihnen demokratische Rechte und den Zugang zu Rechtsmitteln zu verwehren.
„Wertkunde-Unterricht“ für Flüchtlingskinder oder für CSU?
Markus Söder will für Flüchtlingskinder vor dem eigentlichen Unterricht einen „Wertkunde-Unterricht“ vorschalten, um ihnen „die Grenzen und Verpflichtungen unseres Rechtsstaates“ zu vermitteln.¹ Ausgerechnet er will Werte wie die Achtung der Menschenwürde verbreiten. Damit wird Menschen, die aufgrund politischer, ethnischer oder auch sexueller Unterdrückung fliehen mussten, unterstellt, sie hätten keine Ahnung von Menschenrechten!
Die neue Generalsekretärin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, distanzierte sich vordergründig von Dobrindts Hetze der „Antiabschiebeindustrie“, beharrte aber zugleich auf die Einführung von Seehofers „Ankerzentren“. Ähnlich bei der SPD. Seit Jahren werden alle Verschärfungen der Asyl- und Flüchtlingspolitik von CDU, CSU und SPD gemeinsam getragen. Und von der grün-schwarzen Landesregierung in Baden-Württemberg umgesetzt.
Flüchtlinge willkommen auf dem Rebellischen Musikfestival
Dagegen ist Solidarität und Unterstützung angesagt. Aktivisten des Rebellischen Musikfestivals wollen deshalb Flüchtlinge aus der LEA in Ellwangen zu ihrem Festival einladen, damit sie dort berichten können. "Wenn die Flüchtlinge sich solidarisch im Kampf um ihre Rechte und gegen Abschiebungen organisieren, ist das sehr zu unterstützen", so eine Aktivistin des Festivals.