Regierungskrise

Regierungskrise

Streit zwischen Merkel und Seehofer spitzt sich zu

Der Streit zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) eskaliert. Der Bundestag unterbrach seine heutige Sitzung. Getrennte Sondertreffen von CDU und CSU wurden einberufen.

Von bs
Streit zwischen Merkel und Seehofer spitzt sich zu
Horst Seehofer und Angela Merkel beim CSU-Parteitag 2015 in München (Foto: Harald Bischoff)

Die Widersprüche entfalten sich vordergründig vor allem um die geplante weitere Verschärfung der Flüchtlingspolitik. Merkel räumte öffentlich Differenzen zu Horst Seehofers "Masterplan Migration" ein. Dieser sagte daraufhin die Vorstellung seiner 63 gravierenden Maßnahmen ab, weil er nicht bereit sei, „einen halben Plan mit faulen Kompromissen zu veröffentlichen“. Der Masterplan sei notwendig, um „in Deutschland Recht und Ordnung wiederherzustellen“.

Achse der Willigen

Dazu passt, dass bei einem gestrigen Treffen von Seehofer mit dem österreichischen Bundeskanzler, Sebastian Kurz, die Rede von einer "Achse der Willigen" zur Abschottung gegen Flüchtlinge war. Kurz' Wortwahl ist in doppelter Hinsicht ultrareaktionär und eine bewusste Provokation. "Achsenmächte" nannte sich das Bündnis der Faschisten Adolf Hitler und Bennito Mussolini. Und "Koalition der Willigen" nannte Georg W. Bush 2003 seine Kriegsallianz gegen den Irak - sie war unter anderem mit gefälschten Beweisen zustande gekommen. In diesem Geiste ist offenbar auch Seehofers Masterplan erstellt.

 

Angela Merkel unterstützt angeblich 62 der Maßnahmen, außer einem Punkt: Die Zurückweisung von Flüchtlingen, die schon in anderen Ländern registriert wurden oder keine Papiere haben, direkt an den deutschen Grenzen.

Die Widersprüche beziehen sich auf zwei Komplexe:

Erstens auf den Umgang mit der EU-Krise und den darin wachsenden Zentrifugalkräften. Statt auf Seehofers ultrareaktionäre "Achse der Willigen" setzt Merkel auf bilaterale und EU-weite Vereinbarungen. Dabei geht es ihr nicht um die Belange von Flüchtlingen, sondern um eine „juristisch wasserdichte Rückweisung von Migranten“. Statt an der deutschen Grenze will Merkel Flüchtlinge lieber an der EU-Außengrenze abweisen. Die CSU beharrt auf ihrem Kurs. Markus Blume (CSU) dazu gegenüber BILD: „Wir setzen es durch. Wir werden bei der Schicksalsfrage für unser Land nicht wackeln.“

 

Zweitens gelten Merkels Sorgen dem sich entfaltenden fortschrittlichen Stimmungsumschwung in Deutschland. Seehofers "Ankerzentren" genannte Internierungslager fordern auch die Solidarität mit Flüchtlingen neu heraus. Viele Menschen sehen in diesen Zentren das Gegenstück zu den faschistoiden Polizeigesetzen, die ausgehend von Seehofers Heimatministerium in fast allen Bundesländern auf der Tagesordnung stehen.

Große Demonstration gegen das neue bayerische Polizeigesetz am 10. Mai in München (Foto: Casey Hugelfink)
Große Demonstration gegen das neue bayerische Polizeigesetz am 10. Mai in München (Foto: Casey Hugelfink)

In Kürze

  • EU-Krise und fortschreitender fortschrittlicher Stimmungsumschwung zwei zentrale Hintergründe des Streits
  • Merkel will Flüchtlinge an der EU-Grenze abweisen, Seehofer auch an der deutschen
  • Proteste gegen neue Polizeigesetze und Verschärfung der Flüchtlingspolitik gehören zusammen

Angela Merkel ahnt vermutlich, dass es bei den bisher 75.000 Demonstranten gegen das bayrische Polizeiaufgabengesetz nicht bleibt. In Nordrhein-Westfalen mobilisiert eine breite Aktionseinheit zur Demonstration am 7. Juli gegen das geplante Polizeigesetz. Seehofers Vorschlag der "Ankerzentren" stößt wie seine nationalistische Stimmungsmache auf breite Ablehnung.

Die Lunte am Pulverfass Groko

Seehofers Masterplan verfolgt eine rassistische Politik gegen eine weltoffene, demokratische Flüchtlingspolitik und den fortschrittlichen Zusammenschluss zwischen einheimischer Bevölkerung und Flüchtlingen. Er ist  genau wie die geplanten Polizeigesetze, mit denen rein auf Verdacht Verurteilungen erfolgen können und die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt wird, Hauptbestandteil einer neuen Stufe der Faschisierung des Staatsapparats in Deutschland.

 

Die Herrschenden reagieren auf eine wachsende Kapitalismuskritik und sich entfaltende Proteste - Stärke ist das nicht. Im Gegenteil fürchten die Herrschenden vor allem eine wachsende selbstbewusste Organisiertheit in den Protesten. Die willkürliche Durchsuchung kurdischer Einrichtungen gestern in Berlin, der Großangriff auf die gut organisierte Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen Anfang Mai und der gescheiterte Kriminalisierungsversuch gegen die MLPD im Zusammenhang mit dem Rebellischen Musikfestival - all das zeigt, worüber sich Merkel, Seehofer und Co Sorgen machen.

 
Der Kampf für demokratische Rechte und Freiheiten und für ein uneingeschränktes Asylrecht für alle Unterdrückten auf antifaschistischer Grundlage gehören zusammen! In diesem Zusammenhang reichte vor einigen Tagen auch Stefan Engel Klage gegen Horst Seehofer und andere ein. Hintergrund ist der Versuch, den langjährigen Vorsitzenden der MLPD im Zusammenhang mit dem Rebellischen Musikfestival als "Gefährder" zu kriminalisieren (mehr dazu).

 

„Vorerst“ werde man keine Abstimmung der Fraktion im Asylstreit fordern, erklärte die CSU. Aber die Lunte am Pulverfass GroKo brennt. Ob und wie sie wieder zu löschen ist, ist derzeit noch nicht absehbar. Die eigentliche Gefahr für die Regierung geht dabei von sich entwickelnden Massenkämpfen aus.