Offene Regierungskrise
Krisengipfel im Bundeskanzleramt - auch EU will Abschottungspolitik verschärfen
Der Platz neben Angela Merkel beim Spitzentreffen der Großen Koalition blieb gestern leer. Dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) nicht daran teilnahm, spricht Bände über die Zuspitzung der Widersprüche innerhalb der Regierung.
Dass es nicht wie sonst eine gemeinsame Erklärung der Koalitionspartner gab, ist vor allem Ausdruck davon, dass in der Frage der Regierungsmethode zur Durchsetzung der weiteren Rechtsentwicklung und damit auch der drastischen Verschärfung der Flüchtlingspolitik auch gestern keine Einigung erzielt wurde.
Die gemeinsame Linie, die die Bundeskanzlerin noch in dieser Woche - möglichst auf dem EU-Gipfel am 26./27. Juni - mit den anderen EU-Staaten aushandeln will, entspricht dabei im Wesentlichen dem, was Seehofer in seinem "Masterplan" formuliert hat. Nur eben mit dem Unterschied, dass Merkel einen nationalen Alleingang vermeiden will.
In Kürze:
- Trotz aller Widersprüche in der Methode der Umsetzung wollen die EU-Regierungen eine weitere Verschärfung der Flüchtlingspolitik
- Internationalistisches Bündnis vertritt den fortschrittlichen Stimmungsumschwung sowie die Interessen der Arbeiterklasse und breiten Massen
Um was es dabei geht, wurde auf dem Sondergipfel am Wochenende mit einem Teil der EU-Staaten deutlich. Dort drängte insbesondere Italien darauf, alle EU-Länder auf die Aufnahme von Asylsuchenden zu verpflichten - notfalls mit dem Druckmittel finanzieller Sanktionen. Ultrareaktionäre und faschistoide Regierungen wie die von Viktor Orbán in Ungarn verweigern überhaupt jede Aufnahme von Flüchtlingen.
Frontex schaut zu oder schickt Flüchtlinge zurück
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will wie auch Innenminister Seehofer die Flüchtlinge in geschlossenen Flüchtlingszentren innerhalb der EU-Grenzen internieren, bis über ihren Status entschieden wurde. Der Begriff "Ankerzentren" ist nur ein anderes Wort dafür. Traumatisierte Flüchtlinge, Kinder und Jugendliche - die dann nicht in die Schule gehen dürfen - in solchen Gefängnissen jahrelang zusammenzupferchen, ist zutiefst unmenschlich.
Ganz deutlich wird also - über alle Widersprüche hinweg - die Einigkeit in den Inhalten einer weiteren Verschärfung der Maßnahmen zur Abschottung der EU-Außengrenzen. Unter anderem durch die personelle Aufstockung der EU-Grenzschutztruppe Frontex, die zusieht, wie die Menschen im Mittelmeer ertrinken oder sie auf den afrikanischen Kontinent zurücktransportieren.
Abschreckung gegen Rettungsschiffe
Diese Widersprüche werden auf dem Rücken der notleidenden Flüchtlinge ausgetragen. Gegen geltendes internationales Seerecht weigerten sich Spanien, Frankreich, Malta und Italien tagelang, erneut ein Rettungsschiff - die Lifeline mit rund 230 Migrantinnen und Migranten an Bord - ankern zu lassen. Jetzt hat sich Malta bereiterklärt, aber nur, wenn alle Flüchtlinge sofort in andere Länder gebracht werden. Das dänische Containerschiff Alexander Maersk mit rund 110 Migranten an Bord musste bis gestern warten, bis es endlich einen italienischen Hafen anlaufen durfte.
Insgesamt liegt Deutschland laut UN-Flüchtlingshilfe bei der Aufnahme von Flüchtlingen in absoluten Zahlen nur auf Platz sechs - hinter Ländern wie Pakistan, Uganda, Libanon und dem Iran. Dagegen leben neun von zehn geflohenen Menschen in Entwicklungsländern.
Im Windschatten dieser Debatte bereiten sie derzeit vielerlei reaktionäre Maßnahmen vor: So weist das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) darauf hin, dass derzeit alle Atomwaffenstaaten ihre Arsenale modernisieren und Atomwaffen mit neuen Fähigkeiten entwickeln.
Solidarität mit den Flüchtlingen wächst
Unter den Massen aber ist die Solidarität mit den Flüchtlingen groß. Auf der neuen „Balkanroute“ erinnern sich viele Bosnier an die eigenen Erfahrungen mit Flucht. Eine Umfrage von Statista zeigt, dass der Anteil der Deutschen, die zuversichtlich sind, dass Deutschland die Flüchtlinge verkraften kann, mit 58 Prozent wächst. Dieser Anteil betrug 2016 am tiefsten Punkt 37 Prozent.
Dass die Massen die reaktionären Pläne ablehnen, zeigt sich auch darin: Die CSU ist in Umfragen zur Landtagswahl in Bayern inzwischen weiter abgerutscht. Noch weniger Zustimmung als deren 40 Prozent (laut Forsa; im Februar waren es noch 42 Prozent) hat mit 38 Prozent der bayerische Ministerpräsident Markus Söder.
Gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Bundesregierung
Das Internationalistische Bündnis vertritt den sich entwickelnden fortschrittlichen Stimmungsumschwung unter den Massen. Es schließt die Menschen im Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierung zusammen.
Die MLPD ist Mitinitiator des Bündnisses und fordert unmissverständlich: Für das Recht auf Flucht! Für ein uneingeschränktes Asylrecht auf antifaschistischer Grundlage für alle Unterdrückten. Gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Bundesregierung!
Mehr zu den Hintergründen der offenen und tiefsten Regierungskrise der Ära Merkel im nächsten Rote Fahne Magazin. Es erscheint am 6. Juli.