Flüchtlingshilfe

Flüchtlingshilfe

Ein Seenotretter berichtet

Von Mattes Szodrak, Seenotretter der Organisation Mission Lifeline, erhielt Rote Fahne News den folgenden Bericht. Er folgt der Grundlinie, dass die Masse der Bevölkerung selbst aktiv werden kann und muss.

Von Mattes Szodrak
Ein Seenotretter berichtet
Geretteter Flüchtling mit seinem Kind (Foto: Sea Eye)

Mein Name ist Mattes Szodrak, ich bin 35 Jahre jung. Seit drei Jahren rette ich im Mittelmeer vor der libyschen Küste Flüchtende vor dem Ertrinken und bin Aktivist bei der Organisation Mission Lifeline.

 

Mit Ende zwanzig ging ich hauptberuflich in den Rettungsdienst. Politisch aktiv bin ich seit meiner Jugend, 2015 wollte ich mehr machen als nur auf Demonstrationen gehen. Ich wollte aktiver werden. Mit meiner Ausbildung als Rettungsassistent fand ich die zivile Seenotrettung im Mittelmeer, die gerade entstand, weil immer mehr Menschen auf ihrer Reise von Afrika nach Europa starben.

Viele überleben die Torturen nicht

Bei zwei Missionen bin ich bisher aktiv daran beteiligt gewesen, ertrinkenden Menschen auf ihrer Flucht das Leben zu retten. Diese Menschen fliehen tagtäglich zu Hunderten vor Folter, Misshandlung, Vergewaltigung, politischer und religiöser Verfolgung, Hunger, Armut und Elend. Ihre Reise führt sie von ihren Dörfern aus ganz Afrika auf unmenschliche Weise durch die Wüste nach Libyen. Wer es bis dort hin schafft, hat bei weitem nicht das Schlimmste hinter sich.

Lieblingsbild von Mattes Szodrak (Foto: Fabian Melber)
Lieblingsbild von Mattes Szodrak (Foto: Fabian Melber)

In Kürze:

  • Die Abschottungspolitik der EU zwingt die zivile Seenotrettung bewusst in die Knie
  • Derzeit ist kein einziges Schiff der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer
  • Flüchtlingshilfe und wirkliche Bekämpfung der Fluchtursachen gehören zusammen

Die von ihrer teilweise über Wochen und Monate dauernden Reise geschwächten Menschen werden versklavt, zu Arbeit gezwungen, gefoltert und die Frauen werden vergewaltigt und nicht selten verkauft. Viele überleben diese Tortur nicht oder werden gezielt ermordet.


Wer auch noch dieses über Monate dauernde Martyrium überlebt und von Verwandten genügend Geld bekommen hat oder genug ausgebeutet wurde, wird auf ein seeuntaugliches Schlauch- oder Holzboot gezwängt - oft mit Waffengewalt gezwungen, einzusteigen. Einer bekommt eine kurze Einweisung, wie der 45-PS-Außenborder und ein kleiner Kompass funktionieren. Der wird dann meist von Frontex oder der Küstenwache als der Schlepper angesehen und inhaftiert.

Nur mit Glück finden NGO's die Boote

Mit viel Glück bekommen sie ein Satellitentelefon, um nach einigen Stunden mitten im Meer Hilfe rufen zu können. Mit etwas Pech wird ihnen nach einigen Kilometern der Außenborder geklaut. So landen die Menschen im Meer. Stundenlang, dicht gedrängt in einem viel zu kleinen Boot, in welchem eine Mischung aus Benzin, Erbrochenem, Urin und Salzwasser schwappt.

 

Wenn sie Glück haben, und dieses Glück wird dank der Politik der EU immer seltener, finden die NGO's dieses Boot. Die Menschen werden mit Schwimmwesten ausgestattet und entweder an Bord genommen oder an Handels- oder Kriegsmarine übergeben. Nach internationalem Seerecht muss ein Schiffbrüchiger in einen sicheren Hafen gebracht werden.


Libyen ist ein Staat ohne offizielle Regierung, in dem Bürgerkrieg herrscht. Zudem erwarten die Menschen dort Folter und Misshandlungen. Dorthin darf nach geltendem Recht niemand gebracht werden. In Tunesien und Ãgypten gibt es kein Asylrecht, hier kann kein Asylantrag gestellt werden. Somit halten sich diese Staaten nicht an die Menschenrechte und sind zudem politisch instabil. Auch hier würde gegen das internationale Seenotrettungsgesetz verstoßen werden, brächte man die Menschen dorthin.

Abschottungspolitik zwingt zivile Seenotrettung in die Knie

Die einzige legale Lösung ist, einen europäischen Hafen anzulaufen. Welcher Hafen, das entscheiden nicht die Schiffe selbst, sondern das Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) in Rom. Dieses leitet und koordiniert - wie eine Rettungsleitstelle in Deutschland - die Einsätze im Mittelmeer.

 

Die Abschottungspolitik der EU zwingt die zivile Seenotrettung bewusst in die Knie. Die italienische Regierung hat erst NGO's (Nichtregierungsorganisation) das Einlaufen in seine Häfen untersagt, mittlerweile droht Innenminister Matteo Salvini bereits, durch Handels- und Kriegsmarine das Einlaufen zu verhindern. Der Rest der EU lässt seit Jahren Italien mit den vielen Geflüchteten im Stich. Mittlerweile setzt die EU alles auf Abschottung.

Das "Problem" soll unsichtbar werden

Derzeit ist kein einziges Schiff der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer. Selbst das Such- und Aufklärungsflugzeug "Moonbird" darf nicht mehr starten. Die Schiffe von Frontex und Kriegsmarine halten sich, wenn überhaupt, sehr weit draußen auf und sind somit kaum an Rettungen beteiligt. Es wird alles daran gesetzt, dass dieses "Problem" unsichtbar wird.


Denn gestorben wird immer noch. Die Menschen machen sich weiter auf den Weg Richtung Europa, eine andere Wahl haben sie auch nicht. Viele sagen: "Lieber sterbe ich auf dem Meer als weiter in Libyen festgehalten zu werden."

Viel zu viele sterben täglich

Wer einmal da draußen war und die vielen Frauen, Kinder und Männer gesehen hat, mit ihnen gesprochen hat und die Erleichterung und die Hoffnung in ihnen gesehen hat, kann eigentlich keine Nacht mehr ruhig schlafen. Viel zu viele sterben täglich einen erbärmlichen Tod - und sind wir ehrlich, was erwartet sie in Europa?!

 

Salvini spricht von "Menschenfleisch" das da auf dem Weg zu uns ist. In Deutschland hat sich der Begriff des „Asyltourismus“ etabliert. Wie hämisch, Asyl und Tourismus in einem Wort zu verbinden. Gleichzeitig fehlen überall Fachkräfte, es gibt den Pflegenotstand, keiner möchte mehr diese Jobs lernen und ausüben. Warum sieht man da die Zuwanderung nicht als Chance? Stattdessen erstarken in ganz Europa rechte Parteien und Gruppierungen und kein Land scheint ihnen Einhalt zu gebieten.


Aber was kann jeder einzelne von uns tun? Alle Nichtregierungsorganisationen arbeiten ausschließlich mit ehrenamtlichen Aktivisten. Diese nehmen ihren Jahresurlaub um aktiv zu sein. Gelder für die Missionen kommen ausschließlich von Spenden. Und somit kann jeder uns mit einer Spende unterstützen.1

Die Masse kann etwas verändern

Aber auch im Alltag kann jeder etwas tun. Wir alle können die Fluchtursachen bekämpfen. Wir können unseren Konsum überdenken, uns informieren wo die Produkte, die wir kaufen, herkommen, wie sie produziert und gehandelt werden und dann entscheiden welche wir kaufen und was für Unternehmen wir damit unterstützen.

 

Nestlé privatisiert Quellen in Afrika, in der EU subventioniertes billig Milchpulver wird nach Afrika verschickt, um dort billigen Jogurt zu verkaufen. Die Meere werden leergefischt, damit wir immer leckeren Fisch im Supermarkt kaufen können. Wenn jeder auf seinen Konsum achtet und sich informiert wird aus dem Einzelnen eine große Masse - und diese Masse kann etwas verändern.

 

 

Soweit der bewegende Bericht. Rote Fahne News kann die Aufforderung, dass jeder Einzelne auch sein persönliches Verhalten überprüft, nur unterstützen. Entscheidend ist zweifellos der gemeinsame Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierungen und ihre ultrareaktionäre, faschistoide Flüchtlingspolitik. Dieser Kampf entfaltet sich bereits in immer mehr Ländern - wie in den USA gegen die Trump-Administration, in Polen gegen die PiS-Regierung, in Mexiko mit der Abwahl des bisherigen reaktionären Präsidenten - um nur einige Beispiele zu nennen. Auch in Deutschland nehmen die Proteste gegen die Flüchtlingspolitik in den letzten Wochen deutlich zu. Mit einem wachsenden Massenwiderstand kann und muss die Rechtsentwicklung gestoppt werden!