Sexuelle Gewalt in katholischer Kirche

Sexuelle Gewalt in katholischer Kirche

„Lasset die Kindlein zu mir kommen“

In der Zeit zwischen 1946 und 2014 haben 1.670 oder auch mehr Kleriker der katholischen Kirche in Deutschland sexuelle Gewalt gegen mindestens 3.677 Kinder und Jugendliche verübt.

Von wb / jw / ms
„Lasset die Kindlein zu mir kommen“
Die Institution katholische Kirche und ihr Unterwerfungsanspruch müssen ins Zentrum der Debatte (foto: Arnoldius (CC BY-SA 4.0))

Das listet eine von der katholischen Kirche selbst in Auftrag gegebene Studie akribisch auf. Damit ist nachgewiesen, was die meisten Menschen bereits ahnten, nachdem immer mehr Skandale und Enthüllungen, auch aus den USA oder Australien, bekannt wurden. Die Anwendung sexueller Gewalt gegen die jungen „Schutzbefohlenen“ hat besonders in der katholischen Kirche eine ungeheure und streckenweise systematische Dimension.

Papst Franziskus (foto: Mariordo (Mario Roberto Durán Ortiz) (CC BY-SA 4.0))
Papst Franziskus (foto: Mariordo (Mario Roberto Durán Ortiz) (CC BY-SA 4.0))

In Kürze

  • Zwischen 1946 bis 2014 wurden in Deutschland mindestens 3.677 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Gewalt durch Kleriker
  • Die Dunkelziffer von Fällen, in denen sich die Opfer nie gemeldet haben, liegt deutlich höher
  • Debatte über die Rolle der Kirche ist nötig

So wenn 4,4 Prozent und nach Schätzungen tatsächlich bis zu 8 Prozent aller Kleriker sexuelle Gewalt gegen Minderjährige angewendet haben und offensichtlich bis heute anwenden. Und in jedem sechsten Fall ging es dabei laut der Studie um Formen der Vergewaltigung. Bei 1.670 aktenkundigen Beschuldigten wurde nur gegen 566 ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet. Wenn überhaupt, dann wählt die Kirche am liebsten weiche Strafen wie Frühpensionierung, Beurlaubung, Exerzitien oder "brüderliche Ermahnung".¹

Betroffene haben den Stein ins Rollen gebracht

Selbst die Autorinnen und Autoren der Studie weisen darauf hin, dass sie nur die Fälle erfassen konnten, in denen sich die Opfer gemeldet haben oder finanzielle Wiedergutmachung forderten. Ohne ihre mutigen Anklagen wäre vermutlich bis heute wenig geschehen. Die breite gesellschaftliche Debatte darüber ist wesentlich der wachsenden und mehr und mehr organisierten Bewegung der Betroffenen sexueller Gewalt zu verdanken.

 

Die Kirchen-Oberen mauern dagegen bis zum heutigen Tage. So wurde auch den Studien-Autoren der Zugriff auf Originalakten der Kirche strikt verweigert. Daran war die Studie bereits im ersten Anlauf gescheitert, mit dem der Kriminologe Christian Pfeiffer beauftragt war.

 

Er wehrte sich dagegen, "dass die Kirche den gültigen Vertrag nachträglich mit dem Ziel ändern wollte, die Forschungstexte zu kontrollieren und ihre Veröffentlichung 'aus wichtigem Grund' sogar völlig verbieten zu dürfen". Außerdem kritisierte er die Vernichtung von Akten und den Widerstand der Kirche gegen eine unabhängige Aktenanalyse durch ehemalige Richter und Staatsanwälte.²

Jahrhundertelange repressive Tradition

Das steht ganz in der Tradition der jahrhundertelangen reaktionären und repressiven Rolle der katholischen Kirche als Herrschaftsinstrument der jeweils an der Macht befindlichen Klassen. Kirche und Religion waren für die Herrschenden seit jeher auch Hauptstützen für die Aufrechterhaltung der patriarchalen Familienordnung und der besonderen Unterdrückung der Frauen.

 

Dazu heißt es im Buch "Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau" von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel: "Die Sexualität - und ganz besonders die weibliche - wurde von der Kirche als schmutzige 'Fleischeslust' verteufelt. ... Sexualität ohne den Zweck der Kindererzeugung und schon gar Homosexualität wurde als schwerste Sünde verfolgt." (S. 74/75)

Kirchlicher Unterwerfungsanspruch

Seien es die Hexenprozesse des Mittelalters, die in Deutschland sogar bis ins 18. Jahrhundert andauerten, und bei denen viele fortschrittliche Frauen den Flammen übergeben wurden; sei es die Inquisition, die alles, was nicht ins beschränkte, metaphysische Weltbild der Kirchenfürsten passte, auf die verschiedensten Arten zum Schweigen brachte.

 

All dies steht für den kirchlichen Unterwerfungsanspruch, den die katholische Kirche - auch unter einem in vieler Hinsicht fortschrittlichen Papst - bis zum heutigen Tag aufrecht erhält. Gleichzeitig steht die Institution Kirche für eine widerliche Doppelmoral, ohne die die systematische Anwendung sexueller Gewalt durch Kirchenvertreter undenkbar wäre.

Auch Papst in der Kritik

In der Kritik steht allerdings auch Papst Franziskus. Mit einem Brief vom 20. August, der sich an alle Gläubigen richtet, räumt er inzwischen das Versagen der katholischen Kirche ein. Allerdings hat er selbst jahrelang Beschuldigungen wegen Sexualdelikten - unter anderem des chilenischen Bischofs Juan Barros - als "Verleumdung" abgetan.

 

Auch ist damit für viele Menschen die Debatte um die Ursachen der massenhaften Anwendung sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen (mehr als jedes zweite Opfer war jünger als 13 Jahre) sowie der systematischen Vertuschung und Verharmlosung nicht beendet. Das gilt auch für die Masse der Kirchenanhänger und ehrlichen Christen, von denen viele ebenfalls empört sind und Rechenschaft von den Kirchen-Oberen einfordern.

 

Freilich ist Religion Privatsache - die Rolle der Kirche als Herrschaftsinstrument und die massenhaften Sexualdelikte sind es aber nicht. Sie gehören öffentlich angeprangert und lückenlos aufgeklärt, verbunden mit der konsequenten Bestrafung der Täter.

Debatte über Rolle der Kirche nötig

Nötig ist auch eine Debatte über die Rolle der Kirche überhaupt. Viele Menschen kritisieren, dass sie über Jahrhunderte stets auf der Seite der jeweils herrschenden Ausbeuterklasse stand und zu Unterdrückung, Völkermord und Krieg ihren Segen gab. Zu wenig wird aber noch ihre Rolle im gesellschaftlichen Kampf um die Denkweise und besonders im heute vorherrschenden Betrugssystem der kleinbürgerlichen Denkweise gesehen.

 

Die von AfD, CSU und Co. unter dem Stichwort "christliches Abendland" angeheizte reaktionäre Debatte, welche Religion zu Deutschland gehöre und welche nicht, muss ebenfalls in diesem Licht gesehen werden. Dass es keine Menschen erster und zweiter Klasse geben darf, das gilt auch für Religionszugehörigkeit und weltanschauliche Überzeugung.

 

Umso notwendiger ist der Kampf für die strikte Trennung von Kirche und Staat - das richtet sich gegen die enge Verquickung von katholischer und protestantischer Kirche mit dem deutschen Staat genauso wie gegen die Instrumentalisierung von Moschee-Gemeinden durch faschistische Regimes wie in der Türkei, Saudi-Arabien usw.