Haushaltsentwurf
Imperialistischer Machtpoker zwischen Rom und Brüssel
Der Streit zwischen der ultrareaktionären italienischen Regierung und der EU-Kommission um den von Italien vorgelegten Haushaltsentwurf für 2019 verschärft sich weiter.
In einem Brief an den italienischen Finanzminister von Ende letzter Woche warf die EU-Kommission Italien eine "beispiellose" Abweichung von den europäischen Haushaltsregeln vor.
Der Haushaltsentwurf sieht eine Neuverschuldung um 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts vor, was allerdings noch unter der in den EU-Regeln festgelegten Obergrenze von 3,0 Prozent liegt.
In Kürze
- EU-Kommission weist den Haushaltsentwurf der italienischen Regierung zurück und verlangt Neuvorlage
- Hintergrund: Verschärfung der zwischenimperialistischen Widersprüche innerhalb der EU
- Wirksame Rebellion gegen die EU verlangt Wahrung der politischen Selbständigkeit der Arbeiter und breiten Massen
Die EU-Kommission stört sich aber daran, dass die geplante Neuverschuldung dreimal so hoch ist wie bisher von Italien zugesagt. Sie verlangt von der italienischen Regierung, die Staatsverschuldung zu senken, die bei 132 Prozent des Wirtschaftsleistung liegt und damit deutlich über dem 60-Prozent-Limit der EU. Das überschritt allerdings auch die deutsche Regierung von 2002 bis 2017, ohne dass die Kommission so reagiert hätte, wie jetzt bei Italien.
Italiens Regierung antwortete nicht minder provokativ. „Brüssel kann uns bis Weihnachten Briefe schreiben, doch wir werden den Haushalt nicht verändern“, so Innenminister Matteo Salvini, der auch Chef der faschistoiden Lega ist, die zusammen mit der Fünf-Sterne-Bewegung die Regierung bildet.
EU droht frech mit Haushaltsdiktat
Die Antwort aus Brüssel kam prompt. Am 23. Oktober wies die EU-Kommission den Haushaltsentwurf zurück. Sie gibt der italienischen Regierung drei Wochen Zeit, einen neuen Entwurf einzureichen. Kommt es dabei zu keiner Einigung, kann die Kommission ein Defizitverfahren einleiten, das mit Bußgeldern von bis zu 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (derzeit etwa 3,4 Milliarden Euro) und der möglichen Kürzung von Strukturbeihilfen verbunden ist.
Der Hintergrund des sich zuspitzenden Streits ist die Verschärfung der zwischenimperialistischen Widersprüche innerhalb der EU. Rom will mit der steigenden Neuverschuldung finanziellen Spielraum für die Subventionierung des Konkurrenzkampfs der italienischen Monopole gewinnen. Aber auch für soziale Zugeständnisse an die Massen, die bei den Wahlen versprochen wurden und dazu dienen sollen, die Leute für den ultrareaktionären Regierungskurs zu ködern.
Soziale Zugeständnisse und Kürzungen
Über die geplanten Mehrausgaben von 36,7 Milliarden Euro sollen unter anderem Steuersenkungen für Unternehmen, eine Steueramnestie für Reiche, aber auch ein sogenanntes "Bürgereinkommen" - eine Mindestleistung für Arbeitslose - sowie ein früherer Renteneinstieg für 400.000 Menschen finanziert werden.
Dafür sind neben zusätzlichen Schulden und Einnahmen aber auch Kürzungen in Höhe von fast 7 Milliarden Euro geplant, insbesondere bei den Ausgaben für Flüchtlinge, aber auch bei einem Teil der Renten.
Bresche für "Italy First"-Kurs
Die demonstrative Erhöhung der Neuverschuldung verfolgt nicht nur unmittelbare ökonomische Zwecke, sondern soll auch eine Bresche für die Durchsetzung des "Italy First"-Kurses der ultrareaktionären Regierung auf Kosten der europäischen Konkurrenten schlagen. Dazu will die faschistoide Lega unter Innenminister Salvini sich auch zur Führungskraft ultrareaktionärer und faschistoider Parteien in ganz Europa aufschwingen.
Italien hat sich als viertgrößte Wirtschaftsmacht der EU immer noch nicht von der Weltwirtschafts- und -finanzkrise 2008-2014 erholt. Die Regierung fürchtet Massenproteste, wenn sie die Folgen auf die Massen abwälzt. Daran waren schon frühere Regierungen wie zuletzt die von der sozialdemokratischen Partei geführte gescheitert.
EU-Kommission fürchtet weitere Vertiefung der Krise der EU
Die EU-Kommission fürchtet ihrerseits angesichts der weltweiten Schwankenden Stagnation mit rückläufigen Tendenzen, dass eine weitere Erhöhung der Staatsverschuldung Italiens die Krisenhaftigkeit der gesamten EU verschärft und zum Auslöser einer neuen Weltwirtschafts- und -finanzkrise werden könnte.
Die Ratingagentur Moody's stufte Italien bereits auf eine Stufe über Ramschniveau herab, was an den Börsen zu einer Verkaufswelle italienischer Staatsanleihen führte. Italien muss an den Finanzmärkte bereits mehr als 3,5 Prozent Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen zahlen. Vor wenigen Wochen waren es noch unter 2 Prozent. Die Europäische Zentralbank hat schon jetzt italienische Staatsanleihen im Volumen von 360 Milliarden Euro aufgekauft, das entspricht 15 Prozent aller Schulden des Landes.
Italien: Geheimer "Plan B"
Nicht nur gegenüber Italien verschärft sich der zwischenimperialistische Konkurrenzkampf innerhalb der EU. Quer durch die verschiedenen Lager spitzen sich Widersprüche zu - an der Frage des EU-Austritts Großbritanniens, der Flüchtlingspolitik, der Rüstungspolitik usw. - und vertiefen die Labilität der EU. Ein Auseinanderbrechen des imperialistischen Staatenbündnisses wollen gerade die Führungsmächte Deutschland und Frankreich unbedingt vermeiden.
Auch innerhalb der herrschenden Kreise Italiens ist der Haushaltsentwurf der Regierung umstritten. Für den Fall, dass die Zinsen für italienische Staatsanleihen unerwartet stark steigen, hat die Regierung laut Bericht der Zeitung Il Messagero einen geheimen "Plan B" vorbereitet. Der sieht unter anderem Abstriche beim geplanten "Bürgereinkommen" vor.
ICOR-Europa fördert revolutionären Parteiaufbau
So berechtigt die Wut vieler Italienerinnen und Italiener auf das imperialistische Krisendiktat der EU ist - von den ultrareaktionären Vertretern des Finanzkapitals geht alles andere als wirklicher Protest im Interesse der Arbeiter und breiten Massen Italiens aus. Diese müssen ihre politische Selbständigkeit sowohl gegenüber der EU als auch gegenüber der italienischen Regierung bewahren, denen es nur um konkurrierende imperialistische Interessen geht.
Für eine wirkliche Alternative stehen die revolutionären Kräfte Europas und Italiens. Für ihre Stärkung wird die ICOR-Europa als Teil der revolutionären Weltorganisation ICOR auch die Europawahlen im Mai 2019 nützen. Davon werden neue Impulse für den marxistisch-leninistischen Parteiaufbau in Italien ausgehen.