Internationalismus live
Rojava-Revolution – wir verfolgen gemeinsame Ziele der Befreiung
Mit Nilüfer Koc, Co-Vorsitzende des Kurdischen Nationalkongresses, hatte die MLPD eine kompetente Referentin zu diesem Thema eingeladen. Sie ist vor kurzem aus Rojava zurückgekehrt und stellte sich in Gelsenkirchen einer spannenden und kompetenten Diskussion.
Nilüfer Koc wurde herzlich begrüßt von Monika Gärtner-Engel, Internationalismusverantwortliche der MLPD und Hauptkoordinatorin der ICOR, die die Veranstaltung moderierte. Das Interesse war riesengroß, sicher auch aufgrund der aktuellen Situation (siehe Rote Fahne News vom 30. Oktober). Mit über 200 Besuchern platzte der Saal im Arbeiterbildungszentrum aus allen Nähten.
In Kürze
- 1372 Euro allein an diesem Abend für die Fotovoltaik auf dem Gesundheitszentrum in Kobanê.
- Der Erlös insgesamt dient auch der internationalen Arbeit der MLPD
- Morgige Montagsdemo in Gelsenkirchen gegen Erdogans Angriffe auf Rojava - 17.30 Uhr Preuteplatz
- Fruchtbare Diskussion über Probleme und Perspektiven der Revolution
Nilüfer Koc berichtete zunächst authentisch über die Geschichte, die Entwicklung und die aktuellen Herausforderungen der Rojava-Revolution. Trotz aller Probleme betonte sie voller ansteckendem Optimismus: „Eine Revolution, die noch Tausende Kilometer entfernt, wie hier in Gelsenkirchen, so viele Freunde hat, wird siegen.“
Eine kleine Region, aber große Hoffnung
Überall auf der Welt suchen die Menschen nach Alternativen. Das ist die Stunde der Revolutionäre. Rojava ist ein kleines Gebiet, „das aber große Hoffnung macht.“
Nilüfer Koc erläuterte wesentliche Prinzipien der Rojava-Revolution: kein Nationalismus, kein Sexismus, keine Bevorzugung irgendeiner Religion. Den kurdischen Freiheitskräften gelang es 2014 in den Wirren des Syrienkriegs ein autonomes demokratisches Gebiet zu schaffen. Erfolgreich arbeiten sie seither daran, ihre arabischen, assyrischen, turkmenischen, ezidischen, armenischen ... Nachbarn zu überzeugen, dass die Spaltung nur den Unterdrückern und Imperialisten nützt. Inzwischen schufen sie mit ihren Nachbarn die wachsende Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien. Gemeinsam einigten sie sich auf einen Gesellschaftsvertrag mit 32 Prinzipien.
Revolution heißt auch Selbstveränderung
So werden Stück für Stück demokratische Strukturen der Selbstverwaltung aufgebaut. Es gibt große Fortschritte, es ist aber auch ein Kampf gegen jahrhundertealte Prägungen. „Der Kampf findet auch in den Köpfen statt. Jeder soll Verantwortung übernehmen, selbst Entscheidungen treffen. Die Menschen dafür zu gewinnen ist mit das Schwerste in der Revolution.“
70 Prozent der Öl- und Gasvorkommen in Syrien und der Zugang zum Wasser von Euphrat und Tigris sind unter Kontrolle der demokratischen Kräfte. Das ist wichtig, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. In allen Gebieten werden Reserven angelegt, um die Bevölkerung auch bei einer Blockade versorgen zu können.
Ein anderes wichtiges Thema war die Rolle der Frauen in der Revolution. In einer Region, wo den Frauen über Jahrhunderte nichts anderes beigebracht wurde, als sich dem Mann unterzuordnen und selbst nichts zählen, kann das nicht hoch genug geschätzt werden. Heute arbeiten Frauen in den befreiten Gebieten gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Fragen mit. In allen Ämtern gibt es das Prinzip der Co-Vorsitzenden. Das heißt, dass immer ein Mann und eine Frau gleichberechtigt die Führung ausüben.
Wie kann die Revolution gesichert werden?
Rund 20 Diskussionsbeiträge entwickelten in 90 Minuten Fragen, Vorschläge, kritische Hinweise und viel gegenseitige Solidarität. Gabi Fechtner, Vorsitzende der MLPD, war selbst Brigadeleiterin beim Aufbau des Gesundheitszentrums in Kobanê (Rojava). Sie griff den Gedanken von Nilüfer Koc auf, aus der Geschichte der revolutionären Bewegungen zu lernen.
„Aber nicht nur aus ihren Fehlern oder Niederlagen“, so Gabi Fechtner, „sondern auch aus den vielen Errungenschaften. Eine zentrale Frage aller Revolutionen war, wie geht man mit dem alten Staat um. Die Erfahrungen der Oktoberrevolution zeigen, dass der alte Staatsapparat zerschlagen werden muss, man muss auch die alten Unterdrücker unterdrücken, wenn man die Freiheit wirklich durchsetzen will. Das haben wir in der Paxis in Rojava auch erlebt, dass es sehr starke bewaffnete Kräfte dort gibt, um die Revolution zu verteidigen.“ Ohne eigene Machtstrukturen kann der Sieg nicht gesichert werden.
Auch andere Beiträge kritisierten eine Blauäugigkeit, zu meinen, man könne das Assad-Regime einfach verdrängen durch den Aufbau basisdemokratischer kommunaler Strukturen; oder gar den versammelten Imperialisten der Welt die Verfügungsgewalt über die Rohstoffe entreißen.
Nilüfer betonte, dass die Gespräche und vereinzelte Kooperationen mit dem US-Imperialismus oder dem russischen Imperialismus taktischer Natur seien. „Ihre und unsere Interessen sind vollständig konträr.“ Und ans Publikum gewandt: „Unsere strategischen Bündnispartner seid ihr, sind die Völker der Welt.“
Merkel und Erdogan können befreundet sein, aber wir haben viel, viel mehr Freunde
Nilüfer Koc
Ein Genosse der kurdischen PYD (Partei der Demokratische Union) bedankte sich bei der MLPD und der ICOR für ihren Einsatz beim Aufbau des Gesundheitszentrums: „Ihr habt viel mehr gemacht als nur Solidarität. Ihr seid Teil des Kampfes in Rojava, ihr seid Bürger von Rojava. Das Volk von Rojava wird euch das nie vergessen.“ Die tiefe Verbundenheit drückte sich auch im Spendenergebnis der Veranstaltung aus.
Diskussion geht weiter
Der Abend war zu kurz um alle aufgeworfenen Themen und Fragen wie die aktuelle Bedrohung durch Bombardements des Erdogan-Regimes, die Rolle der Jugend, der Arbeiterklasse, der Zusammenhang zur Krise der Regierung in Deutschland, den weitreichenden Veränderungen durch die Herausbildung neuer imperialistischer Staaten usw. erschöpfend zu diskutieren. Dabei gibt es sicher Meinungsverschiedenheiten, die nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Die Revolutionäre stehen überall auf der Welt vor großen Herausforderungen, betonte Monika Gärtner-Engel am Ende. „Solidarität ist keine Einbahnstraße. Nicht wir machen etwas für euch oder ihr macht etwas für uns. Sondern wir verfolgen unsere gemeinsamen Ziele der Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung.“
Die Veranstaltung versteht die MLPD als Beitrag zur notwendigen Strategiedebatte der Revolutionäre. Nachdem Nilüfer Koc für die Literatur des inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan warb, brachte Monika Gärtner-Engel das Buch von Stefan Engel, „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“ ein. Es ist der Beitrag der MLPD für diese Strategiedebatte.