Parteitag
Grüne im Höhenflug? Wie die Parteiführung die Widersprüche retuschiert ...
Zumindest in den Ergebnissen der letzten beiden Landtagswahlen und aktueller Wählerumfragen befinden sich die Grünen tatsächlich auf dem "Höhenflug".
Subjektiv werden die Grünen von vielen Menschen als die Partei wahrgenommen, die sich noch am ehesten für Umweltschutz einsetzt und der Rechtsentwicklung der Bundesregierung entgegentritt. Verbunden ist das mit der Hoffnung, durch ihre Unterstützung selbst etwas dafür tun zu können. Aber auch mit Illusionen in den grundlegenden Charakter der Grünen, die sich längst - genauso wie CDU, CSU, FDP und SPD - zu einer Monopolpartei entwickelt haben.
Am 10./11. November fand der Parteitag der Grünen zur Verabschiedung des Wahlprogramms und zur Wahl der 40 Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl im Mai 2019 statt. Die EU-Parlamentarier Ska Keller und Sven Giegold wurden von den fast 800 Delegierten als Spitzenkandidaten für die Europawahl gekürt.
Die Parteitagsregie unter dem neuen Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck war davon geprägt, den Schein einer fortschrittlichen Flüchtlings- und Sozialpolitik sowie einer oppositionellen Haltung zur Rechtsentwicklung der Regierung möglichst zu wahren.
In Kürze:
- Fast 800 Delegierte wählten die Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen für die Europawahl
- Parteitagsregie versuchte Schein einer fortschrittlichen Flüchtlings- und Sozialpolitik zu wahren
- Die Realpolitik der Grünen in acht Landesregierungen sieht anders aus
Die Realpolitik der Grünen sieht allerdings anders aus. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht für aggressive Abschiebepolitik und verhindert penetrant wirksame Maßnahmen gegen den Abgasbetrug der Automonopole. Habeck genehmigte als Energie- und Landwirtschaftsminister Schleswig-Hosteins die Verklappung von giftigem Hafen- und Elbeschlick aus Hamburg in der Nordsee. Tarek Al-Wazir trägt als alter und neuer Wirtschaftsminister Hessens den steigenden Fluglärm in der Region Frankfurt voll mit.
Von hunderten Änderungsanträgen drei übrig
Mit kritischen Initiativen der Grünen-Basis wurde dagegen rigoros umgegangen. Von hunderten eingereichten Änderungsanträgen zum Europawahlprogramm - allein 120 zum Thema Migration - blieben gerade mal drei übrig. Viele der Anträge störten sich an der flüchtlingspolitischen Formulierung im Wahlprogramm: "Nicht alle, die kommen, können bleiben."
Sie ist die schwammige Umschreibung für rigorose Abschiebungen und das Kontrastprogramm zum Eintreten für ein Asylrecht für alle Unterdrückten auf antifaschistischer Grundlage. Letztlich blieb die Passage unverändert, wenn auch auf einem hinteren Platz im Wahlprogramm, und ergänzt durch einen vorangestellten Satz, der das Recht auf "faire Asylverfahren" betont.
Verstärkte Anbiederung an die CDU
Auffallend war auch die verstärkte Anbiederung an die CDU. Sowohl die beiden Parteichefs als auch der hessische Grünen-Vorsitzende al-Wazir ließen keinen Zweifel daran, dass die mittlerweile staatstragende Rolle der Grünen den Eintritt in schwarz-grüne Koalitionen zum Normalfall werden lässt.
Dabei tragen sie schon jetzt in der Praxis aller Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind – gegenwärtig in Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen - deren Rechtsentwicklung voll mit.
Lobhymnen auf die EU
Dazu gehört auch die Verklärung des imperialistischen Staatenbündnisses EU und seine pragmatische Mitgestaltung. Dafür stehen die beiden EU-Fahnen schwenkenden Spitzenkandidaten zur Europawahl, die seit Jahren im EU-Parlament "angekommen" sind. Der ehemalige Attac-Führer Giegold lobt dieses in den höchsten Tönen: "Das Europäische Parlament ist ein großartiger Ort. Viel machtvoller und stärker, als es immer erzählt wird."
Wie jedes bürgerliche Parlament verschleiert auch das Europaparlament die wirkliche Macht des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals. Gigolds Lobrede lenkt davon ab, dass die Grünen auch auf europäischer Ebene genau dessen Interessen umsetzen – unter anderem durch eine verstärkt aggressive Außenpolitik.
Auf der Website ihrer Bundestagsfraktion positionieren sie sich entsprechend für eine "außenpolitische Strategie der EU, die den Menschenrechtsschutz ... stärkt und eine gerechte Handelspolitik unterstützt, militärische Fähigkeiten für Friedensmissionen im Rahmen eines UNO-Mandates gezielter ausrichtet sowie gemeinsam Waffenexporte besser kontrolliert“.
Genau auf dieser Linie lag die Rechtfertigung des ersten grünen Bundesministers Joschka Fischer für den Kriegseinsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien.
Kretschmann schwänzt
Angeblich wegen langfristig geplanter Termine sagte Winfried Kretschmann seine Teilnahme am Parteitag ab. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass er der breiten Empörung an der Parteibasis und unter den Delegierten über seine provokativen Äußerungen zu Flüchtlingen aus dem Weg gehen wollte.
Kretschmann hatte die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau in Freiburg zum Vorwand genommen, Vorbehalte gegen alle jungen, männlichen Flüchtlinge zu schüren. Solche "jungen Männerhorden" müsse man "trennen und an verschiedenen Orten unterbringen", einige von ihnen "in die Pampa" schicken - also abschieben.
Rassistische Stimmungsmache
So richtig es ist, konsequent gegen Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt vorzugehen, hat das doch allgemein mit Flüchtlingen nichts zu tun. Wie positioniert sich Kretschmann denn zu den massenhaften Fällen sexueller Gewalt in der katholischen Kirche? Niemand - auch er nicht - käme auf die Idee, deshalb alle Priester und Ordensbrüder als "Männerhorden" zu bezeichnen.
Kretschmann bedient damit rassistische Stimmungsmache - nicht zuletzt, um die Abschiebepolitik seiner Landesregierung zu rechtfertigen, die der Nachrichtensender ntv schon im Februar 2017 als eine der „effizientesten“ aller Bundesländer eingestuft hat. Ihre Speerspitze richtet sich gegen die organisierte Flüchtlingssolidarität und alle Ansätze eines gemeinsamen Kampfs von Flüchtlingen mit fortschrittlichen Kräften und Bewegungen in Deutschland.
Wie im Fall des Flüchtlingsaktivisten Alassa Mfouapon, der in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Erstaufnahmestelle Ellwangen nach Italien abgeschoben wurde, oder seines ebenfalls von Abschiebung bedrohten Mitkämpfers Austine Solution Josiah (mehr dazu).
Wirklicher Gegenpol: kämpferische, internationalistische Opposition
Den wirklichen Gegenpol zur Rechtsentwicklung der Regierung bilden nicht die Grünen. Dafür stehen Zigtausende Demonstranten gegen die Rechtsentwicklung der Regierung, gegen rassistische und faschistische Aufmärsche von AfD und Pegida, gegen die neuen Polizeigesetze, gegen verschärfte Ausbeutung und politische Unterdrückung in den Betrieben, gegen Mietwucher und die Wohnraumpolitik der Regierung, gegen die Zerstörung von Wäldern und Grünland usw.
Vor allem stehen dafür das Internationalistische Bündnis und die MLPD mit ihrer klaren Positionierung für ein Recht auf Flucht, für die Bekämpfung der Fluchtursachen im Imperialismus, für die berechtigte Rebellion gegen die EU und für eine revolutionäre Lösung der allseitigen Krisenhaftigkeit dieses Systems.