SPD-Krise
Streit um Hartz IV - an den Montagsdemos führt kein Weg vorbei
In den letzten Tagen überschlagen sich SPD und Grüne mit Vorschlägen zur Abschaffung von Hartz IV. Ausgerechnet die beiden Parteien, die während in ihrer gemeinsamen Regierungskoalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die volksfeindlichen und bis heute zutiefst verhassten Hartz-Reformen eingeführt haben.
Seit der im Herbst 2004 gegen das Hartz-IV-Gesetz aufbrandenden Massenbewegung mit zeitweilig bis zu 250.000 Teilnehmern reißen die Proteste gegen diese Verelendungsgesetze nicht mehr ab. Woche für Woche gehen die Montagsdemonstranten in Dutzenden Städten Deutschlands beharrlich dagegen auf die Straße. Längst verbindet sich der Widerstand gegen Hartz IV auch mit dem Protest gegen andere Bestandteile der Regierungspolitik und zuletzt ihre gesamte Rechtsentwicklung.
Die Montagsdemos sind ein Forum des massenhaften Kampfs um die Denkweise und des fortschreitenden fortschrittlichen Stimmungsumschwungs unter den Massen. Sie sind zugleich ein Anlauf- und Sammelpunkt für kämpfende Arbeiter, für Umweltproteste und demonstrierende Milchbauern, für die internationale Solidarität gegen die Unterdrückung der Kurden und Palästinenser und vieles mehr. Zu solchen Anlässen wachsen auch jeweils die Teilnehmerzahlen deutlich an.
Massenkritik zeigt Wirkung
Wenn SPD-Chefin Andrea Nahles nun ein "Bürgergeld" als "neue Grundsicherung" ins Spiel bringt und der Grünen-Kovorsitzende Robert Habeck eine "Grundsicherung ohne Arbeitszwang und Sanktionen" fordert, so tragen sie der Massenkritik an Hartz IV und der Montagsdemo-Bewegung Rechnung.
Noch im April lehnte Nahles die Forderung nach einem Abschied von der Agenda 2010 einschließlich Hartz IV als rückwärtsgewandt ab: „Lasst uns die Debatte mit Blick auf das Jahr 2020 führen und nicht auf das Jahr 2010.“ Die Wahlergebnisse im Jahr 2018 und der tiefe Absturz der SPD in Umfragen auf mittlerweile nur noch 14 Prozent haben sie offenbar eines Besseren belehrt.
Die Grünen-Führung versucht, vom tiefen Vertrauensverlust in die SPD zu profitieren und einen Teil ihrer bisherigen Anhänger an sich zu binden, indem sie verstärkt sozialpolitische Themen aufgreift. Dass ihre Vorstöße Realität werden, müssen weder SPD noch Grüne angesichts der kategorischen Ablehnung durch die Unionsparteien befürchten. Sie dienen vor allem dazu, den Anschein sozialer Sorge zu erwecken.
Der Betrug mit Hartz IV
Eine Antwort der Bundesregierung März 2018 auf eine Anfrage der Linkspartei-Fraktion im Bundestag legte offen, dass in den vergangenen zehn Jahren 18,2 Millionen Menschen in Deutschland kurz oder länger Hartz IV-Leistungen bezogen haben, mehr als ein Fünftel der Bevölkerung. Davon waren 5,47 Millionen Menschen unter 15 Jahre alt.
Demagogisch hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein "Arbeitsmarktexperte", der Ex-VW-Manager Peter Hartz, davon gesprochen, mit einem System des "Forderns und Förderns" die Arbeitslosenzahlen zu reduzieren und vor allem Langzeitarbeitslose wieder in dauerhafte Beschäftigung zu bringen.
Wachsender Niedriglohnbereich durch Druck auf Arbeitslose
Die Hartz-Gesetze führten jedoch zu einer drastischen Reduzierung der Hilfsleistungen, die nur noch für das Notdürftigste reichen. Vor allem sorgten sie für einen wachsenden Niedriglohnbereich, verbunden mit der Explosion von Leiharbeit und Zeitverträgen. Neue Arbeitsplätze sind dadurch nicht entstanden, vielmehr wurde der Druck auf die Arbeitslosen erhöht.
Das trifft nicht in erster Linie, wie behauptet, "arbeitsunwillige" Menschen, sondern einen erheblichen Teil der arbeitsfähigen und arbeitenden Bevölkerung. Von den 5,95 Millionen Hartz-IV-Beziehern im Februar 2018 - das ist etwa jeder zehnte Haushalt - arbeiten rund 1,1 Millionen. Viele weitere sind in Maßnahmen des Arbeitsamtes, schulischer Ausbildung usw. beschäftigt.
Der Hartz-IV-Betrug hat maßgeblich zur tiefen Krise der SPD beigetragen - viele ihrer ehemaligen Anhänger verzeihen ihr nicht, wie sie sich damit zum Vorreiter einer bis dahin nicht gekannten sozialen Demontage machte. Ein wirklicher Kurswechsel ist von der Monopolpartei SPD unter Nahles genausowenig wie unter ihrem Vorgänger Martin Schulz zu erwarten, der seine versprochenen Korrekturen an der "Agenda-Politik" nach Intervention der Unternehmerverbände schnell wieder zurückzog.
Vage Formulierungen
Entsprechend haben es weder Nahles noch Habeck eilig mit der Umsetzung ihrer Vorschläge. Andrea Nahles will ihre "große Sozialstaatsreform" bis 2025 und Robert Habeck will seine Vorschläge 2020 erst mal in einem neuen Grundsatzprogramm der Grünen verankern. Wirklich Neues haben beide nicht zu bieten. Weder Nahles noch Habeck nennen konkrete Zahlen etwa für eine Anhebung der Grundsicherung.
Andrea Nahles befürwortet ein besseres Wohngeld, eine eigenständige Kindergrundsicherung, eine Überführung vieler sozialpolitischer Leistungen in ein sogenanntes "Bürgergeld". Dabei will sie aber Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Grundsicherungsempfängern beibehalten. Das ist keine Abschaffung von Hartz IV, sondern bestenfalls eine Nachbesserung in einzelnen Teilen.
Monopole aus der Schusslinie
Robert Habeck will ähnliches, zugleich aber die Sanktionen abschaffen. Mit materiellen Anreizen will er Versuche honorieren, aus der Grundsicherung herauszukommen. So will er die Zuverdienstmöglichkeiten zur Grundsicherung verbessern und die Grenzen der Anrechnung von Ersparnissen hochsetzen.
Während sich SPD und Grüne damit ein "linkes" Image verpassen, tragen sie in der Bundesregierung oder den Landesregierungen die eingeschlagene Rechtsentwicklung mit.
Wohlweislich verschonen sie in allen Konzepten die für die unsozialen Hartz-Gesetze hauptverantwortlichen Monopole. Klare Forderungen auf Kosten der Monopolprofite sucht man darin vergeblich. Die findet man zum Beispiel im Parteiprogramm der MLPD: "Weg mit den Hartz-Gesetzen! Für die Erhöhung des Arbeitslosengeldes und die unbegrenzte Fortzahlung für die Dauer der Arbeitslosigkeit! ... Volle Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch eine umsatzbezogene Unternehmenssteuer!" (S. 124)
Es enthält auch die offensive Forderung nach "6-Stunden-Tag/30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich", die auf den Erhalt der bestehenden und die Schaffung zahlreicher neuer Arbeitsplätze abzielt (S. 116).
Widerstand muss weitergehen
Rainer Seidelmann, einer der Sprecher der Düsseldorfer Montagsdemo, sieht in dieser Diskussion durchaus eine Wirkung des jahrelangen Kampfs gegen die Hartz-Gesetze, bleibt aber skeptisch: "Das ist doch eine Mogelpackung! Aber die Diskussion müssen wir aufgreifen: Jetzt erst recht den Widerstand gegen die Hartz-Gesetze verstärken!"
Von Anfang an hat die MLPD den Kampf gegen die Hartz-Gesetze unterstützt und gefördert, aktiv die Entwicklung der Montagsdemonstrationen unterstützt. Für das Internationalistische Bündnis gehört der Kampf gegen die Hartz-Gesetze seit Gründung 2016 mit zum Programm. Diese Kräfte des aktiven Widerstandes gilt es zu stärken.