Lehrbeispiel Thüringen
2019: Aufbauarbeit ist Trumpf!
Am letzten Samstag vor Weihnachten machten sich Genossinnen und Genossen aus Gelsenkirchen mit zwei Autos auf den Weg in den Wartburgkreis in Thüringen. Ihr Ziel: alle Unterschriften für die Wahlzulassung des Direktkandidaten Stefan Engel zu sammeln, die MLPD sowie das Internationalistische Bündnis bekanntzumachen und zu stärken, neue Verbindungen zu knüpfen und weiter zu festigen. Sie berichten Rote Fahne News von ihren Erfahrungen.
205 Unterschriften waren bereits gesammelt – 300 wurden gebraucht, um Stefan Engel als Direktkandidat im Wahlkreis für die Thüringer Landtagswahl aufstellen zu können. Unser Trupp, zur Hälfte aus Mitgliedern der MLPD und des REBELL zusammengesetzt, sammelte schließlich 58 Unterschriften.
Außerdem festigten wir den Kontakt mit einigen Kumpels, die sich bei den letzten Einsätzen eingetragen haben. Auf der Rückfahrt erfuhren wir die Ergebnisse der anderen: Insgesamt hatten wir nun 294 Unterschriften! Hätten wir zwischendrin gezählt, hätten wir die sechs Unterschriften auch noch sammeln können ...
In Kürze
- Die Aufbauarbeit für die MLPD in Thüringen wird als Schule für den Aufbau in ganz Deutschland organisiert
- Einige Wahlkreise sind stark vom Kalibergbau geprägt
- In Zeiten der Polarisierung sind höhere Anforderungen an den Kampf um die Denkweise gestellt
Die Aufbauarbeit in Thüringen wollen wir zur Schule machen, wie wir die Kräfte in ganz Deutschland stärken. An diesem Samstag konnten wir viel lernen. Einer der Rebellen war bis vor einer Woche partout dagegen, nach Thüringen zu fahren: „Was soll ich da?!“
Nun kam er mit und berichtete: „Letzte Woche hat mir ein Mitglied der Verbandsleitung das erste Mal so richtig erklärt, warum wir die Arbeit in Thüringen überhaupt machen. Ich dachte wir sammeln dort einfach nur Unterschriften, das fand ich langweilig. Jetzt habe ich es verstanden.“
Neue Politiker braucht das Land!
Ein Zweiertrupp von uns hatte zunächst schlechte Ergebnisse, weil die Ansprache zu abstrakt war und nicht zum Punkt kam. Schließlich bewährte sich die Ansprache: „Guten Tag! Wir sammeln Unterschriften für die Wahlzulassung von Stefan Engel! Er ist Schlosser, Anführer von Arbeiterkämpfen und Marxist-Leninist – solche neuen Politiker braucht das Land.“
Jeder wusste gleich, wo er dran war und man kam gut in die Diskussion. Außerdem brachten wir so von Beginn an unsere positive Antwort ins Spiel.
Klassenbewusste Arbeiter
Unser Wahlkreis besteht aus einer Reihe von Dörfern, die vom Kalibergbau geprägt sind. Entsprechend fühlten wir uns schnell heimisch, als wir überall Hammer und Schlegel, Loren und sogar noch einen Taubenschlag sahen. Überall kamen wir mit vielen Kalikumpels ins Gespräch. Mehrere längere Gespräche mit sehr klassenbewussten Kollegen waren für uns besonders beeindruckend.
Nachdenklich und tiefgründig wurden die vielen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und Jahre verarbeitet: Wie das Monopol K&S AG1 die Arbeiter aufgrund ihrer „wirtschaftlichen Notlage“ von der 38- in die 40-Stunden-Woche drängte – bis wenige Wochen später ein Bericht über die überschäumenden Profite von K&S an die Öffentlichkeit kam. Die Arbeitszeit blieb jedoch.
Nachdenklich über die Linkspartei
Dass viele IGBCE-Funktionäre und Betriebsräte mit K&S kungeln und „nicht auf der Seite stehen, auf der sie stehen müssten“, so ein Jungbergmann. Dass aus all den Wahlversprechen der bürgerlichen Parteien nichts geworden ist. „Ich will weder SPD, CDU noch Grüne – und die Nazis, die will ich auch nicht!“, so ein Rentner, der 41 Jahre unter Tage war. Ein anderer war allerdings auch nachdenklich über die Linkspartei, die „doch sehr systemkonform“ geworden sei.
Ein Bergmann hatte vor Kurzem schon für unsere Wahlzulassung unterschrieben, überzeugte nun noch seine Frau und trug sich selbst als Mitglied für die MLPD, als Spender und – trotz leichter Altersüberschreitung – auch gleich für den REBELL ein. „Man braucht eine richtige Revolution, aber nicht nur in Berlin, die Finanzzentralen in Frankfurt muss es dann auch treffen.“
Nur ein ziemlich kleiner Teil hatte Vorbehalte, als der Marxismus-Leninismus ins Spiel kam. Für uns Jüngere waren diese Gespräche sehr lehrreich. Von wegen die Arbeiter und zumal die ostdeutschen sind alle rückständig ... Ein Rebell beeindruckt: „Die haben mehr Klassenbewusstsein als der 'Kommunistische Aufbau' ...“
Kampf um die Denkweise in Zeiten der Polarisierung – gar nicht so einfach
10 bis 20 Prozent der Angesprochenen brachten flüchtlingsfeindliche Sprüche bis hin zu offen reaktionären und menschenverachtenden Positionen. Manchmal wunderten wir uns: Lauter fortschrittliche, auch klassenbewusste Positionen, und dann plötzlich: „Aber die Flüchtlinge ...“ Es gibt nicht einfach „hier die Linken, da die Rechten“, die Polarisierung findet oft auch in ein und derselben Person statt.
Wir mussten uns trainieren, wie wir am Klassenstandpunkt ansetzend geduldig argumentieren, dass die Klassenfrage und nicht die nationale Herkunft das Entscheidende ist, wie wir uns differenziert mit der Flüchtlingsfrage auseinandersetzen – und wo wir klare Kante zeigen und das Gegenüber sachlich, aber mit scharfer und klarer Kritik konfrontierten. Wer ist ein Nazi, und wer ist von der nationalistischen Hetze beeinflusst? Was ist die Haupt-, was die Nebenseite? Mit der dialektischen Methode die Widersprüche richtig beurteilen können, ist heute Alltagsanforderung!
Rebellische Arbeiterjugendliche
Abends besuchten wir ein linkes Jugendhaus, in dem für diesen Abend ein Konzert angesetzt war. Wir stellten uns bei der Leitung vor, kamen gleich ins Gespräch und konnten uns an den Eingang stellen, um die Gäste für das Pfingstjugendtreffen einzuladen und auf die Wahlzulassungsunterschrift anzusprechen.
Besonders freute uns, dass das Jugendhaus stark von jungen und alten Bergleuten geprägt war. Hier verband sich antifaschistisches Bewusstsein und Engagement gegen die Rechtsentwicklung mit den Erfahrungen der Ausbeutung und Unterdrückung durch K&S. Hier war spürbar, warum die Arbeiterjugend das Rückgrat der Rebellion der Jugend sein muss.
Neben unseren Flyern ging der „Vortrieb“, eine Bergarbeiterzeitung, hier genauso gut weg. Anders als manche autonome Zentren wirkte das Jugendhaus gut organisiert, ordentlich und wird von einer recht großen Gruppe aktiver Unterstützer gestemmt.
Nachmittags hatten wir Bergleute besucht, die Interesse an einer Zusammenarbeit hatten. Einen Jungbergmann hatten wir nicht angetroffen – nun trafen wir ihn hier! Er war bestens informiert, da er seit seiner Eintragung von jedem Einsatztrupp aus Gelsenkirchen die neusten Infos in den Briefkasten bekam.
Mit einigen Aktivisten der Linkspartei ergaben sich solidarische und streitbare lange Gespräche. Obwohl sie Linkspartei wählen werden, unterstützten sie auch mit ihrer Unterschrift die Kandidatur für Stefan Engel. Wir tauschten Adressen mit den Organisatoren aus und wollen in Kontakt bleiben, um gegebenenfalls gemeinsame Veranstaltungen zu machen und zum Pfingstjugendtreffen oder ihrem Sommerfestival zusammenzuarbeiten.
Systematisch Einflussgebiete erobern
Obwohl die MLPD hier erst kurze Zeit arbeitet, waren wir in dem überschaubaren Gebiet schon ziemlich bekannt. Es ist gerade für den REBELL sehr wichtig, davon zu lernen: Statt überall ein bisschen rumzurennen, kann und muss man sich mit systematischer Kleinarbeit in einem festen Gebiet fest verankern. Dafür muss man sich auf die Leute einlassen.
Wir trainierten auch, genau zuzuhören (anstatt nur selbst zu reden oder Phrasen zu dreschen), den Leuten in die Augen zu schauen und die Sorgen und Erfahrungen der Massen genau kennenlernen zu wollen.
Zeit optimal nutzen
Wichtig war beim Einsatz, die Zeit optimal zu nutzen. Zwischen unseren Haupteinsatzorten beim Supermarkt, Kontaktbesuchen in den Dörfern und dem Jugendclub nutzten wir Zwischenzeiten und stellten uns noch 45 Minuten vor das Kino und eine Stunde vor den Baumarkt, wo man viele Arbeiter mit ihren Söhnen trifft.
Als wir uns einmal ein wenig verliefen, gewannen wir noch einige Passanten für eine Unterschrift. Schließlich unterschrieben auch zwei Kellner in dem Schnellimbiss, in dem wir abends aßen.
Für jeden das Richtige ...
Statt nur auf Unterschriften abzuzielen, überlegten wir immer, wie wir Menschen politisieren und wie sie sich einbringen können. So trugen sich zehn für die Wählerinitiative, einer für Kumpel für AUF und zwei für den REBELL ein. Rund fünf kauften das Rote Fahne Magazin und elf spendeten für ein Parteiprogramm (mehr hatten wir nicht!).
Ein besonderer Clou: Ein Angehöriger der Bundeswehr unterschrieb, wollte aber kein Parteiprogramm mitnehmen, da er etwas vorsichtig sein müsse. Wir schlugen ihm vor, er könne doch spenden – woraufhin er uns 20 Euro in die Dose warf.
Zum Schluss wünschten wir jedem erholsame Feiertage und einen guten Rutsch.