Großbritannien / EU
Imperialistisches Hauen und Stechen um den Brexit
Das hektische Hin und Her in der Brexit-Frage verschärft sich mit jeder Woche, um die der geplante Austrittstermin Großbritanniens aus der EU am 29. März näherrückt.
Am Dienstag, 12. März, lehnte das britische Unterhaus mit Mehrheit den zwischen der May-Regierung und der EU ausgehandelten Deal zum Austrittsverfahren Großbritanniens aus der EU zum zweiten Mal ab.
Allerdings will die Mehrheit der Abgeordneten auch nicht ohne Vertrag aus der EU ausscheiden und einen "harten Brexit" riskieren, wie sich bei der Abstimmung am darauffolgenden Mittwoch zeigte. Der britischen Regierung blieb nur die Möglichkeit, eine weitere Abstimmung für Donnerstagabend anzusetzen.
Neue Erpressungsversuche zur Durchsetzung des EU-Diktats
Gestern stimmten nun 412 gegen 202 Parlamentarier dafür, eine Verschiebung des Austritts bei der EU zu beantragen. Mit großer Mehrheit hatten sie sich zuvor gegen eine zweite Volksabstimmung über den EU-Austritt ausgesprochen. Die Verlängerung der Austrittsfrist kann allerdings nur umgesetzt werden, wenn alle 27 übrigen Mitgliedsstaaten dem zustimmen.
Premierministerin May will die Abgeordneten nun erpressen, dass es nur dann eine kurze Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni geben soll, wenn sie im Gegenzug doch noch ihrem Deal zustimmen.
Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, dass ein Aufschub nur gewährt würde, wenn dieser einen "bestimmten Zweck" erfülle. Dieser besteht in erster Linie darin, das ausgehandelte EU-Diktat gegenüber Großbritannien ohne Abstriche durchzusetzen. Das 585-seitige Vertragswerk sieht den Verbleib Großbritanniens im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion sowie die Beibehaltung der zollfreien Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland für eine Übergangszeit - die verlängert werden kann - vor.
Es ist bezeichnend für den imperialistischen Charakter der EU, dass sie den Willen der britischen Wählermehrheit beim Austrittsreferendum einfach ignoriert und eiskalt ihre Bedingungen durchdrückt.
Tiefe Widersprüche unter den Herrschenden
Der Abstimmungsmarathon zeigt die tiefe politische Krise der bürgerlichen Institutionen und die heillose Zerstrittenheit der herrschenden Kreise Großbritanniens. Teile des britischen Finanzkapitals, die vorwiegend für den britischen Markt produzieren oder im Konkurrenzkampf innerhalb der EU ins Hintertreffen geraten sind, versprechen sich vom Brexit zollpolitische Vorteile oder lehnen selbst die völlig unzureichenden EU-Umweltauflagen als zu weitgehend ab - wie der Haupteigner des britischen Chemiekonzerns Ineos, Sir Jim Ratcliffe.
Sie suchen auch nach einer Neuorientierung im zwischenimperialistischen Konkurrenzkampf und wollen dem britischen Imperialismus wieder zu einer eigenständigen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Vormachtstellung verhelfen. Bei einer Rede am 11. Februar formulierte es der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson so:
"Großbritannien ist eine Weltmacht mit durch und durch globalem Anspruch. ... Der Brexit hat uns an einen großen Moment in unserer Geschichte gebracht. ... Wir können neue Allianzen aufbauen, alte wiedererwecken und vor allem klarmachen, dass wir das Land sind, das bei Bedarf handeln wird."
Wachstum der britischen Wirtschaft verlangsamt
Der Versuch, mit dem Brexit-Abkommen bessere Handelsbedingungen mit der EU zu vereinbaren, ist allerdings bereits gescheitert. Und die Ankündigung Großbritanniens, im Fall eines ungeregelten Brexit den Anteil der zollbefreiten Importe von 80 auf 87 Prozent zu erhöhen, beantwortete die EU mit der Drohung, dann auf Importe aus Großbritannien die gleichen Zölle wie bei anderen Nicht-EU-Ländern zu erheben.
Gleichzeitig sind führende internationale Monopole in höchster Sorge, dass sich der Brexit negativ auf ihre internationalisierte Produktion auswirkt. Ein unkontrollierter Brexit könnte unberechenbare Folgen haben und zu starken Einbrüchen an den Börsen führen. Das Wachstum der britischen Wirtschaft hat sich zuletzt bereits stark verlangsamt. Autoabsatz und Einzelhandelsumsätze brachen zum Teil ein. Konzerne wie Airbus, Siemens, BMW und Jaguar Land Rover - mit großen Werken auf der Insel vertreten - haben sich gegen einen EU-Austritt ausgesprochen und zum Teil Produktionsverlagerungen angekündigt.
Scheinalternative verzerrt Polarisierung
Um die Bedürfnisse und Wünsche der Masse der Menschen geht es bei diesem Streit in Regierung und Parlament zuallerletzt. Im Vorfeld des Brexit wurde in Großbritannien, aber auch in den anderen EU-Ländern, mit einer monatelangen Medienkampagne eine verzerrte Polarisierung unter den Massen erzeugt.
So wurde eine Scheinalternative aufgebaut, wonach sich die Bevölkerung zwischen der vermeintlich reaktionären und nationalistischen Position des EU-Austritts und dem vermeintlich fortschrittlichen, internationalistischen Standpunkt des Verbleibs in der EU zu entscheiden hätten.
Wachsender Vertrauensverlust in die EU
In Wahrheit sind Brexit-Gegner wie Brexit-Befürworter gespalten. Weder sind die Brexit-Gegner in ihrer Mehrheit Anhänger des EU-Imperialismus, noch kann man die Brexit-Befürworter auf die Massenbasis ultrareaktionärer Strömungen wie der britischen Anti-EU-Partei UKIP reduzieren. Vielmehr gibt es auch eine starke Bewegung unter den Linken und den Gewerkschaften, die aus Protest gegen Niedriglöhne, Beschneidung von Gewerkschaftsrechten und die reaktionäre EU-Flüchtlingspolitik den Brexit befürwortet.
Den werktätigen Massen und den vielen Menschen ohne Arbeit geht es zunehmend schlechter. So ist das britische Gesundheitssystem in einem katastrophalen Zustand. Die Erfahrungen mit der EU-Bürokratie tragen maßgeblich dazu bei, dass die EU von einem wachsenden Vertrauensverlust erfasst wird.
Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt
Umso wichtiger ist es, dass sich die Arbeiterklasse weder auf die Scheinalternative "Austritt oder Verteidigung der EU" noch auf die offen nationalistische Richtung einlässt, sondern einen unabhängigen Standpunkt einnimmt. Die MLPD kritisiert die EU prinzipiell als imperialistisches Machtbündnis, verankert die wirkliche, sozialistische Alternative und fördert die Kandidatur der Internationalistischen Liste/MLPD Bündnisses zu den Europawahlen - unter der Losung: "Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt! Hoch die internationale Solidarität!"
Sie nützt dies für eine Aufklärungsarbeit über das Wesen und die Entwicklung des imperialistischen Weltsystems - insbesondere über den imperialistischen Charakter der EU. Eine gute Gelegenheit, die länderübergreifende Zusammenarbeit in der ICOR Europa zu intensivieren und die ICOR insgesamt wie auch ihre Mitgliedsorganisationen zu stärken.