Venezuela

Venezuela

"Viele Leute leiden unter dem Mangel"

José Contreras-Quintero aus Halle an der Saale kommt aus Venezuela. Er besuchte von Mitte Dezember bis Mitte Januar Familie und Freunde in der Hauptstadt Caracas, in Mérida (Los Andes) und im Bundesland Aragua. Er berichtet gegenüber "Rote Fahne News" in einem Interview über die Situation und Stimmung in Venezuela.

Interview mit José Contreras-Quintero zur Situation in Venezuela
"Viele Leute leiden unter dem Mangel"
Venezuelas Hauptstadt Caracas von Osten her gesehen (foto: gemeinfrei)

Du warst vor kurzem für eine längere Zeit in Venezuela. Was kannst Du uns über die gegenwärtige Lebenssituation der venezolanischen Bevölkerung berichten?

 
Die Situation ist im Vergleich zu vor zwei Jahren schlimmer und schwieriger geworden: Es gibt eine starke Inflationsrate, die es der Mehrheit der Bevölkerung unmöglich macht, wesentliche Lebensmittel zu kaufen. Du kannst alles finden, aber die Preise sind so hoch, dass diese Krise nur von denjenigen besser bewältigt werden kann, die ein Familienmitglied im Ausland oder ein entsprechend mit der Inflation wachsendes, hohes Einkommen haben. Viele Leute leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Nahrungsmitteln.

 

Was sind die Hauptgründe, dass laut Medienberichten bereits über 3 Millionen Menschen, vor allem junge Menschen, aus dem Land geflohen sind?

 

Der Grund dafür, das Land zu verlassen ist, dass sich die wirtschaftliche Krise direkt auf die Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten auswirkt – egal ob sie Hilfs- oder Fachkraft sind, egal mit welcher Qualifizierung. 

 

Es gibt eine deutliche Polarisierung unter der venezolanischen Bevölkerung. Die bürgerliche Berichterstattung vermittelt das Bild, dass die breite Masse der Bevölkerung den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó unterstützt. Ist das so zutreffend?


Nein, es ist nicht zutreffend. Tatsächlich findet die Mehrheit die Regierungsführung von Maduro selbst widersprüchlich und äußerst schlecht. Nichtsdestotrotz unterstützen sie die Fortdauer der Partei von Chavez im Amt, um die Wiederkehr der rassistischen, faschistoiden Rechten zu verhindern. Sie wissen, dass diese Situation eine Frage von Leben und Tod ist: In der Geschichte des 20. Jahrhunderts unseres Amerikas waren wir bereits Zeuge von Verschleppungen und Massakern von und an Kommunisten und anderen linken Dissidenten. Und heute gibt es eine starke Propaganda zur Verteufelung der chavecistischen oder revolutionären Organisationen und ihrer Mitglieder.
Guaidó wird, wie zu erwarten, von der traditionellen, oppositionellen Basis unterstützt. Dieser Basis kommt es nicht auf den bestimmten Politiker, sondern auf dessen extrem anti-chavecistischen Positionen an.
 
Welche Auseinandersetzungen und Fragen über die Perspektive des Landes und Lösung der derzeit teils katastrophalen Lebenssituation stehen unter der Bevölkerung im Mittelpunkt und werden diskutiert?

 

Es gibt verschiedene Gruppen innerhalb der Bevölkerung, die je nach ihren eigenen Interessen handeln. Für die Mehrheit der Bevölkerung steht die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, Medikamenten und es stehen alle Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben an erster Stelle. Genauso wichtig ist der Frieden – also keine ausländische Einmischung oder militärische Intervention, welche ihr Leben und ihre Wohnorte bedrohen. Venezuela hat mehr als ein Jahrhundert bestanden, ohne einen Krieg im Inland zu erleben, und es ist ihnen bekannt, was ein von Imperialisten geführter Krieg, wie in Syrien, Libyen, Afghanistan, Irak, Jugoslawien …, für sie bedeuten würde. Die Situation ist für die Mehrheit einfach unerträglich.


Wie siehst Du, aus Deinen Erfahrungen und Kontakten nach Venezuela, die Potentiale für eine revolutionäre Arbeit?

 

Chavez hat der Linken, den Sozialisten, den Kommunisten und den Ureinwohnern einen Raum auf der politischen Bühne des Landes gegeben, obwohl er selbst Militär und Christdemokrat war. Leider sind in der Ära Maduro bereits einige kommunale Vertreter und kommunistische Militante verfolgt worden. Wir wissen nicht, ob die Unterstützung, die Chavez diesen Organisationen gegeben hatte, noch von Vertretern des Militärs hinter Maduro aufrecht erhalten wird.

 
Vielen Dank für das Interview!