Ellwangen
Polizeiexempel gegen Flüchtlinge war illegal
Hohe Wellen schlug letztes Jahr der Protest von Flüchtlingen in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen. Schützend und friedlich stellten sie sich am 30. April 2018 vor einen togolesischen Kameraden, der abgeschoben werden sollte.
Ein bundesweites Signal, das nach dem Willen der Scharfmacher der Rechtsentwicklung in Bundes- und baden-württembergischer Landesregierung auf keinen Fall Schule machen sollte. Am 3. Mai 2018 führten deshalb rund 500 Polizisten in Kampfmontur und mit Hunden eine Razzia in der LEA durch. Unverschlossene Türen wurden eingetreten, Flüchtlinge aus den Betten gezogen, mit Kabelbindern gefesselt und zu Boden gebracht. Mehrere erlitten Verletzungen und Traumata.
Amtsgericht hat massive Zweifel an Rechtmäßigkeit
Gestern wurde bekannt, dass das Amtsgericht in Ellwangen einen Prozesstermin dazu abgesagt hat und massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Polizeieinsatzes äußerte. Was war geschehen?
Die brutale Razzia selbst war begleitet von einer tagelangen Medienkampagne. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) geißelte in übelster rassistischer Manier Flüchtlings-Aktivisten als "Rädelsführer" und triumphierte: „Das Signal ist sehr deutlich: Rechtsstaat und Polizei setzen sich durch, nicht der Mob!“1 Die BILD-Zeitung schürte Pogromstimmung gegen die Ellwanger Flüchtlinge als Gewalttäter und Randalierer.
Strafaktion gegen Aktivisten
Doch diese wollten das nicht hinnehmen und organisierten gemeinsam mit Unterstützern den Protest dagegen. Am 9. Mai 2018 führten sie eine Pressekonferenz und eine Demonstration in Ellwangen durch, an der sich MLPD und REBELL beteiligten. Gegen einen Aktivisten dieses Protestes, Alassa Mfoaupon, versuchen führende Verantwortliche der Rechtsentwicklung und BILD seitdem ein Exempel zu statuieren.
Als "Leader", Freund und Vertrauter der Flüchtlinge in der LEA Ellwangen hatte er den Protest zusammen mit ihnen organisiert. Am 20. Juni 2018 schob die Polizei ihn in einer ebenfalls brutalen Nacht- und Nebelaktion nach Italien ab.
Breite Solidarität
Seine Rückkehr, sein begeisterter Empfang durch Freunde und Unterstützer, seine Ermutigung für Geflüchtete, eine Bewegung von zehntausenden Unterstützern wurden mit einer erneuten koordinierten Verleumdungskampagne beantwortet. Dagegen organisiert der Freundeskreis Alassa & Friends - tatkräftig unterstützt von MLPD, REBELL und ROTFÜCHSEN - die breite Solidarität, unter anderem mit einer Internet-Petition.
Bis zuletzt zerrten die Behörden immer wieder Flüchtlinge aus Ellwangen im Zusammenhang mit der Solidaritätsaktion gegen die Abschiebung eines Togoers und dem folgenden Polizeieinsatz vor Gericht.
Lügengebäude gerät ins Wanken
Doch der breite Protest und die Solidaritätsarbeit machen sich bezahlt - das ganze Lügengebäude zur Rechtfertigung der Ellwanger Razzia gerät nun auch in der breiten Öffentlichkeit ins Wanken. Verschiedenste regionale und überregionale Medien berichteten gestern darüber.
So schreibt Die Welt: "Es war ein Großeinsatz, der Stärke demonstrieren sollte. ... Die Botschaft: Widerstand gegen Abschiebungen ist zwecklos. ... Doch inzwischen, zehn Monate nach dem Einsatz, sind die Behörden in Erklärungsnot geraten. ... Das jedenfalls legt die Entscheidung eines Jugendrichters am Amtsgericht Ellwangen nahe.
Auf seinen Einspruch hin setzte das Gericht ein Verfahren gegen die Flüchtlinge aus, denen die Staatsanwaltschaft Widerstand gegen Vollzugsbeamte bei der Razzia am 3. Mai vorwirft. Es bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens einiger Polizisten. Sie brachen Türen auf und durchsuchten Wohnräume von Flüchtlingen – ohne dass es dafür einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gab."
Und das Ellwanger Tagblatt überschreibt einen Artikel mit "Razzia in Ellwangen: Gericht hegt Zweifel an Rechtmäßigkeit".
Einzige Blamage für Strobl und BILD
Das Regierungspräsidium und das baden-württembergische Innenministerium versuchen nun, sich herauszureden. Die örtlichen Behörden hätten sie "falsch informiert". Eine einzige Blamage für Innenminister Strobl und alle anderen Scharfmacher, die sich derart aus dem Fenster gelehnt haben!
Zu weiteren Prozessterminen in Ellwangen schreibt die Plattform von und für Geflüchtete e.V. (Refugees4Refugees) aus Stuttgart in einer Pressemitteilung:
Alle Prozesse sofort einstellen
"Nach weiteren Verfahren vor dem Amtsgericht Ellwangen und Zustellungen von Strafbefehlen klagen zahlreiche weitere Bewohner dagegen. In einem Fall wurde mittlerweile das Verfahren eingestellt. Die drei angesetzten Prozesstermine für den 14. März 2019 wurden aufgehoben. Hintergrund ist, dass das Gericht der Staatsanwaltschaft aufgegeben hat, weitere Ermittlungen vorzunehmen. Die Verfahren laufen weiter, allerdings finden die Termine aufgrund dieser gerichtlichen Verfügung erst einmal nicht statt. ...
Es zeigt sich offensichtlich, dass die Polizeirazzia keine rechtliche Grundlage hatte. Und wenn eine Durchsuchung nicht rechtmäßig gewesen ist, dann können sich Angeklagte nicht strafbar machen. In diesem Zusammenhang fordern wir die sofortige Einstellung aller Prozesse und die Aufhebung aller Urteile, die bereits gegen Bewohner verhängt wurden. Weiterhin fordern wir die Freilassung der Inhaftierten!"
Kriminalisierung fällt Polizei und Justiz auf die Füße
Und der Freundeskreis "Alassa & Friends" resümiert eine wichtigen „Erfolg der demokratischen Flüchtlingsbewegung“: "‚Wir sind Flüchtlinge und keine Kriminellen‘, skandierten mit Fug und Recht mehrere Hundert Geflüchtete am 9. Mai 2018 bei ihrer selbst organisierten Pressekonferenz und Demonstration nach der Polizeirazzia.
Einer ihrer Anmelder war Alassa M. Er reichte im September 2018 Klage gegen das Land Baden-Württemberg gegen diesen brutalen Polizeiüberfall ein. Nun erhielt Alassa M. letzte Woche einen Strafbefehl vom Amtsgericht Ellwangen über 140 Tagessätze wegen angeblicher ‚unerlaubter Einreise bzw. Aufenthalt ohne Pass und Visum in zwei Fällen‘ sowie angeblichem Widerstand gegen die Polizei bei seiner Abschiebung nach Italien am 20. Juni 2018. ...
Dieser Strafbefehl muss sofort aufgehoben werden. Erstens wurde die Abschiebung auf rechtswidriger Grundlage durchgeführt. Zweitens: Wie soll ein Asylantrag gestellt werden, ohne nach Deutschland einzureisen? Die Strafbefehle gegen etliche Geflüchtete wegen angeblichem Widerstand gegen die Polizei am 3. Mai 2018 sind offensichtlich ein Teil des Versuchs, den Polizeiüberfall im Nachhinein zu legitimieren, indem Geflüchtete kriminalisiert werden. Das fällt Polizei und Justiz nun aber berechtigterweise auf die Füße!"
MLPD von Anfang an aktiv in der Solidarität
Die MLPD hat den Protest der Ellwanger Flüchtlinge von Anfang an aktiv unterstützt und dabei vor allem den engen Schulterschluss mit der Bevölkerung gefördert. Der jetzt erreichte Teilerfolg zeigt, was man erreicht, wenn man sich nicht einschüchtern lässt und gegen staatliche Unterdrückung in die Offensive geht.
Sofortige Einstellung aller Verfahren! Anerkennung des Asyls für Alassa Mfouapon und Niederschlagung der gegen ihn laufenden Verfahren! Abschaffung des reaktionären Dublin-Abkommens! Für das Recht auf Flucht und ein ungeschränktes Asylrecht auf antifaschistischer Grundlage! Rücktritt von Minister Strobl! Proletarier und Unterdrückte aller Länder, vereinigt euch!
Komplette Pressemitteilung des Freundeskreises
Klage und Eilantrag in der Asylsache Alassa Mfouapon
Petition für Alassa Mfouapon auf www.change-org