Sudan
Der Kampf für Freiheit und Demokratie breitet sich in Afrika aus
Breite Massenproteste haben im Sudan den verhassten Diktator Omar al-Bashir hinweggefegt und binnen 24 Stunden auch den eilends vom Militär eingesetzten bisherigen Verteidigungsminister Awad Ibn Auf.
Auch die Zugeständnisse von dessen Nachfolger Abdel Fattah al-Burhan bringen die protestierenden Massen nicht zum Schweigen. Die Aufstandsbewegung hat Erfahrungen aus dem "arabischen Frühling" 2011 verarbeitet und ihren Widerstand höherentwickelt. Es sind neue Kräfte, Organisationen und Zusammenschlüsse auf den Plan getreten.
Auslöser war die vom Bashir-Regime beschlossene Abschaffung der Subventionen für Brot und Benzin. Der Kampf gegen die Brotpreiserhöhungen um rund 300 Prozent begann in den industriell entwickelteren nördlichen Provinzen, in denen auch die Gewerkschaften am stärksten sind.
Gewerkschaftsbündnis als Hauptkraft
Maßgebliche Kraft ist das Gewerkschaftsbündnis SPA (Sudanese Professionals Association). Die unter al-Bashir verbotenen Gewerkschaften überwanden Mitte Dezember vergangenen Jahres ihre bisherige Zersplitterung und schlossen sich zu diesem breiten Bündnis zusammen.
Tausende Arbeiter und Studenten, Beamte, Ärzte und Rechtsanwälte, Journalisten, Universitätsprofessoren und Ingenieure, aber auch die sudanesische Arbeitslosenvereinigung, demonstrierten in allen großen Städten des Landes gemeinsam.
Die Menschen wollen den Fall des Regimes
Fußballfans in Omdurman
Sie forderten ein Ende des gegenwärtigen Regimes und die Aufhebung aller politischen Unterdrückungsmaßnahmen. Fußballfans, aus einem Fußballstadion in Omdurman kommend, riefen: "Die Menschen wollen den Fall des Regimes." Die Slogans sind im Wesentlichen politisch: „Revolution ist die Wahl des Volkes!“ Auch Kräfte mit revolutionärem Anspruch sind in der Bewegung aktiv.
Mutig und todesverachtend
Obwohl Tausende Demonstranten festgenommen und mindestens 60 Menschen bei den Protesten von Regierungskräften in den vergangenen vier Monaten getötet wurden, halten die Demonstranten todesverachtend an ihren Forderungen und ihrem Protest fest. Demonstrationen mit einer Sitzblockade Zehntausender Menschen vor der Militärzentrale und Residenz al-Baschirs in Khartum waren die Antwort.
Gezielt haben sich Demonstrantinnen und Demonstranten mit Teilen des Militärs verbrüdert, die sich daraufhin in den Städten Atbara, Gadarif und Port Sudan weigerten, gegen die Massen vorzugehen. Das hat mit dazu beigetragen, dass sich die Armeeführung entschied, Omar al-Baschir abzusetzen.
Auf die Ankündigung einer militärischen Übergangsregierung und die Verzögerung freier Wahlen um weitere zwei Jahre reagiert die SPA sofort. Sie kündigte die Fortsetzung der Massenproteste bis zur Einsetzung einer zivilen Übergangsregierung an.
70 Prozent der Bewegung weiblich
Die Bewegung besteht zu 70 Prozent aus Frauen. Sie lehnen sich gegen ihre islamistisch verbrämte besonders brutale Unterdrückung auf. Rund 15.000 von Gerichten verhängte Prügelstrafen für Frauen gab es im Jahr 2016.
Zu einer Führerin der meist jungen Frauen entwickelte sich die 22-jährige Alaa Salah. Sie studiert Ingenieurwesen und Architektur an der Universität in Khartum und verbindet sich mit der sudanesichen Arbeiterinnenbewegung, indem sie deren traditionelle Kleidung trägt. Die südafrikanische Nachrichten-Website IOL schreibt, dass Salah trotz mehrerer Todesdrohungen kämpferisch ist: „Ich werde mich nicht verbiegen, meine Stimme kann nicht unterdrückt werden.“
Auch Jugendliche stehen vorne dran in der Bewegung. Sie haben sich in verschiedenen Basisgruppen organisiert und helfen den Massen auch bei den täglichen Problemen des Lebens.
Länderübergreifende Impulse
Die neue Bewegung für Demokratie und Freiheit im Sudan ist ein Teil eines länderübergreifenden Prozesses mit Massenprotesten unter anderem in Tunesien, Algerien und Marokko. Darüber berichtet Hatem Laouini von der ICOR-Partei PPDS1 Tunesien in einem Interview mit dem Rote Fahne Magazin:
"Die Kämpfe in Algerien richten sich dort gegen eine korrupte Regierung und dagegen, dass Präsident Abd al-Aziz Bouteflika sich illegitim eine weitere, fünfte Amtszeit verschafft. Aber es geht den Menschen Algeriens um viel mehr. Deshalb haben sie bereits mehrere Zugeständnisse der Regierung in Sachen Präsidentschaftswahlen abgelehnt und gehen weiter auf die Straße. Sie kämpfen gegen die gesamte Korruption, Armut, Inflation, Preissteigerung und Arbeitslosigkeit. Sie wollen soziale Gerechtigkeit, Entwicklung von Bildung und Gesundheitswesen, Freiheit und demokratische Rechte.
Diese Bewegung breitet sich in ganz Afrika aus und verläuft ähnlich in Togo, im Sudan, im Kongo. Eine neue revolutionäre Situation entwickelt sich. Die imperialistischen Mächte versuchen zu lavieren, lokale Regierungen auszutauschen. Sie wollen weiter uneingeschränkt auf die afrikanischen Ressourcen zugreifen. Aber die Massen haben ihre Erfahrungen damit gemacht.
Wir haben bei einem ICOR-Treffen beraten, die Solidarität mit diesen Kämpfen und ihre Unterstützung zu verstärken."
(Das gesamte Interview erscheint in der nächsten Ausgabe des Rote Fahne Magazins - sie kann hier bestellt werden)