Flixbus-Unfall

Flixbus-Unfall

Nicht den Busfahrer vorverurteilen!

"Rote Fahne News" hat am 21. Mai 2019 über den schweren Unfall mit einem Flixbus auf der A9 berichtet, der ein Menschenleben forderte und bei dem viele Menschen verletzt wurden.

Von gis

In der kurzen Meldung zitierten wir eine Kollegin der Bundesfachgruppe Busse und Bahnen bei der Gewerkschaft ver.di, die die Arbeitsbedingungen der Busfahrer anprangerte, die vielfach am Limit sind. Dadurch, so die Gewerkschafterin, sei die "Verstoßquote in der Branche relativ hoch“. Gemeint war damit z. B. Fahren über die vorgeschriebene Zeit hinaus unter dem Leistungsdruck, dem die Fahrer ausgesetzt sind.

Kritik an dieser Berichterstattung

Rote Fahne News bekam am nächsten Tag einen kritischen Brief von Johannes Hübner, dem Sicherheitsbeauftragten des Int. Bustouristikverbandes RDA e.V. Nach Prüfung der Kritik kam die Redaktion zum Schluss, dass hier tatsächlich ein Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht vorlag. Deshalb dokumentieren wir im Folgenden den aufschlussreichen Briefwechsel.

 

Johannes Hübner schrieb: "Guten Morgen, bei Eurer Berichterstattung über den Busunfall habt Ihr die ver.di-Vorsitzende zitiert, die meinte, bei den schwierigen Arbeitsbedingungen sei die Risikoquote hoch. Ich hätte von ver.di und auch Euch erwartet, dass Ihr Euch mehr auf der Seite der Werktätigen haltet, also solche Kommentare weglasst, bevor man den Unfallverlauf kennt. Der Fahrer, selbst schwer verletzt, hat jetzt ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung am Hals, das sein gesamtes Leben ruinieren wird. Und er war nicht eingeschlafen.

 

Unsere Analyse vor Ort zeigt, dass am Einlauf zum Parkplatz jegliche Leitplanken fehlen, dass die aber genau dort, wo 50 Meter weiter der Bus dann umfiel, unvermittelt beginnen und den Bus regelrecht aufgespießt haben, genau wo Fahrer und die getötete Person saßen. Wir haben auch festgestellt, dass vielleicht die hintere Nachlenkachse defekt wurde und den Bus aus der Bahn gedrückt haben könnte ... Ist Euch klar, in welcher Situation sich der Fahrer dann befand, hilflos, den Unfall noch zu verhindern? Vielleicht wird man ganz schnell von diesen, die Unfallfolgen verschärfenden, Gegebenheiten ablenken, denn es ist ja so leicht, dem Fahrer die Schuld zu geben. Der liegt im Krankenhaus und kann sich nicht dagegen wehren, was die Medien draußen über ihm ausgießen und seine Familie kann sich kaum mehr auf die Straße trauen. Das ist der Grund, warum wir die Unfallanalyse des Bustouristikverbandes neutral auch im Sinne unserer Fahrer machen, denn die brauchen eine kompetente Vertretung. Es wäre schön, wenn Ihr in solchen Dingen stärker die Rolle des handelnden Arbeitenden bedenken würdet, bevor ihr in den Tenor der allgemeinen Medien einstimmt."

Unsere Antwort

"Sehr geehrter Herr Hübner, vielen Dank für Ihren kritischen Hinweis zu unserer Kurzmeldung zum Unfall mit dem Flixbus auf der A9 letzte Woche. Als Autorin dieser Meldung bin ich sehr erschrocken darüber, dass sie den Eindruck erweckte, wir wollten in eine Vorverurteilung des Busfahrers einstimmen. Mit dem Zitat der ver.di-Kollegin über die Arbeitsbedingungen wollte ich das Gegenteil, nämlich darauf aufmerksam machen, unter welchen Umständen die Beschäftigten arbeiten - also genau das, was Sie völlig zu Recht sagen, dass unsere Solidarität - neben den Angehörigen der getöteten Frau und den Verletzten - den Werktätigen gilt. Aber Sie haben Recht: mit dem Begriff "Verstoßquote" und insbesondere damit, dass ich aus der bürgerlichen Presse übernommen habe, der Busfahrer sei möglichwerweise in einen Sekundenschlaf gefallen, wird der Blick in eine bestimmte Richtung gelenkt und die Untersuchung gar nicht abgewartet. Ich bedaure diesen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht sehr. Dem Busfahrer wünsche ich von Herzen alles Gute."

Expertenbericht für das Rote Fahne Magazin

Der Kritiker war freudig überrascht, dass er eine selbstkritische Antwort bekam - er sei dies von anderen Medien nicht so gewohnt. Es liegt ihm sehr am Herzen, dass es in diesem und ähnlichen tragischen Fällen eine korrekte und die Beteiligten achtende Berichterstattung gibt. Er hat der Rote Fahne-Redaktion deshalb einen ausführlichen Expertenbericht zur Verfügung gestellt. Er wird in einer der künftigen Ausgaben des Rote Fahne Magazins erscheinen.