Europäische Union
Gipfeltreffen im Zeichen von Zerrissenheit und wachsender Widersprüche
Nichts ist zu spüren von Aufbruch und Neustart der Europäischen Union, wie sie von bürgerlichen Politikerinnen und Politikern vor den Europawahlen angekündigt worden waren. Tatsächlich taten sich in mehreren Mitgliedsländern unmittelbar nach den Wahlen offene Regierungs- und politische Krisen auf, u. a. auch in Deutschland. Hier wackelte mit dem Abgang von SPD-Chefin Andrea Nahles die Regierungskoalition zeitweise offen. Auf dem EU-Gipfel diese Woche präsentierte sich das imperialistische Staatenbündnis heillos zerrissen und in seiner Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
"Klimaneutralität" auf die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts verschoben
Als Paukenschlag angekündigt war, dass die EU-Staaten sich auf diesem Gipfel verpflichten, bis 2050 ein "klimaneutrales" Europa anzustreben. Gemeint war damit, dass die Mitgliedsländer sich verpflichten, dass ab 2050 nicht mehr Kohlendioxid ausgestoßen werde als "durch die Natur oder technische Lösungen für die CO2-Speicherung absorbiert werden kann". Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss sich zuletzt der von Frankreich ausgehenden Initiative ebenfalls an. Angesichts einer länderübergreifenden Jugendbewegung gegen die ruinöse Umweltpolitik von Monopolen und Regierungen ist einigen Staats- und Regierungschefs ein gehöriger Schreck in die Knochen gefahren.
Tatsächlich war dieses Lippenbekenntnis ein weiteres Manöver des imperialistischen Ökologismus. Denn für die CO2-Speicherung brachte Merkel neuerlich die CO2-Verpressung ins Spiel, gegen die es vor einigen Jahren Massenproteste gab; mehrere Bundesländer haben die Verpressung auf ihrem Territorium verboten. Mittels "Carbon Capture and Storage" (CCS) soll CO2 aus den Abgasen von Kohlekraftwerken abgetrennt, verflüssigt, über LKW und Pipelines über hunderte Kilometer zu den Lagern gebracht und dort unterirdisch gelagert werden. Dabei an den Pipelines auftretende Leckagen sind lebensgefährlich. Und die Verpressung in die Untiefen der Erde bedeutet für künftige Generationen unabsehbae Gefahren.
Selbst auf das völlig unzureichende und fragwürdige Ziel "klimaneutrales Europa bis 2050" konnte sich der EU-Gipfel nicht einigen. Man verschob es auf die zweite Hälfte des Jahrhunderts, wie es im Pariser Klimaabkommen steht.
Postenpoker um Juncker-Nachfolge widerspiegelt tiefere Widersprüche
Der französische Präsident Emmanuel Macron verbindet mit dem Posten des EU-Kommissionspräsidenten seinen eigenen Einfluss und den der französischen Monopole in der EU. Er ging dabei in Konfrontation zu Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel, die aus parteipolitischen Gründen zunächst den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) unterstützte. Macron setzt auf eine starke EU-Spitze, um das imperialistische Staatenbündnis im Konkurrenzkampf zum US-Imperialismus und Russland, China und weiteren neuimperialistischen Ländern voranzubringen. Insbesondere will er unbedingt weitere Anstrengungen zum Aufbau einer gesamteuropäischen Armee. Dafür würde er sogar Angela Merkel als Kommissionspräsidentin in Kauf nehmen, die von Sigmar Gabriel (SPD) ins Spiel gebracht wurde.
Die EU müsse "selbstbewusster und mächtiger werden", heißt es im Entwurf der Strategischen Agenda der EU für die Zeit bis 2024. Die reaktionäre Flüchtlingspolitik wird fortgeschrieben, die "wirksame Kontrolle der Außengrenzen" - sprich: der weitere Ausbau der Festung Europa gegen Flüchtlinge - in den Fokus gerückt. Die EU hat es auch nicht hingekriegt, einen Haushalt zu verabschieden. Der BRD-Imperialismus als stärkste Macht in der EU will diesen strikt auf die weltmarktbeherrschende Stellung seiner Übermonopole ausrichten. Da ziehen andere EU-Länder nicht mit, weil die gnadenlose Abwälzung der Krisenlasten ihre Massenbasis beschädigt.
Auch in den seit fünf Jahren andauernden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über ein Rahmenabkommen, das das bisherige Flickwerk aus mehr als 100 Verträgen über den Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt ersetzen soll, ist keine Einigung in Sicht. Die Schweizer Regierung will u. a. die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie nicht in dem Abkommen haben. Demnach könnten EU-Bürger, die in der Schweiz arbeitslos werden, auf Sozialhilfe pochen. Kommt das Abkommen nicht zustande, könnte die Schweizer Börse SIX schon Ende Juni den Marktzugang zur Europäischen Union verlieren.
"Alte" und neue Imperialisten buhlen um Einfluss in Europa
Auf dem Hintergrund sich verschärfender zwischenimperialistischer Widersprüche streben verschiedene imperialistische Kräfte nach verstärktem Einfluss in Europa. Der faschistoide US-Präsident Donald Trump rät Großbritannien zum "No-Deal-Brexit" und dazu, seine Schulden an die EU nicht zu zahlen. Stattdessen soll Großbritannien auf die USA setzen. Damit befeuert der US-Imperialismus direkt die politische Krise der EU.
Mit seiner "Neuen Seidenstraße" strebt das neuimperialistische China nach wirtschaftlicher und politischer Durchdringung Europas. Italien hat sich als erster G7-Staat Ende März 2019 diesem Projekt angeschlossen. Deutschland, Großbritannien und Frankreich haben bisher keine solche Erklärung unterzeichnet. Das hindert China jedoch keineswegs in seinem Expansionsstreben. In Montenegro bauen chinesische Firmen z. B. eine Autobahn, die über das Meer ins benachbarte Serbien führen soll – für 20 Mio. Dollar pro Kilometer. Finanziert wird das durch chinesische Kredite, die Montenegro vermutlich niemals zurückzahlen kann.
Die mitteleuropäische Region ist ein wichtiger Teil der chinesischen Expansionsstrategie: Sie wird als „Seiteneingang“ zu den reicheren westeuropäischen Märkten angesehen. Mit dem sogenannten 16+1-Rahmen wurde eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen China und den mittelosteuropäischen Staaten geschaffen. Die Gruppe umfasst 16 osteuropäische Länder, darunter alle vier Visegrad-Staaten (Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei) und insgesamt 11 EU-Mitgliedstaaten.
MLPD und ICOR Europa fördern Arbeitereinheit und linke Kritik an der EU
Mit ihrem Europa-Wahlkampf lagen MLPD und ICOR Europa goldrichtig. Keine andere Kraft hat bei dieser Wahl die berechtigte Rebellion gegen die EU ohne Wenn und Aber gefördert und dies mit einer linken, revolutionären, internationalistischen Perspektive verbunden. Der weitere Aufbau revolutionärer Parteien und Organisationen in Europa, die Stärkung der ICOR und die Schaffung einer antiimperialistischen Einheitsfront sind die richtigen Antworten auf die krisenhafte Entwicklung der EU.