Flüchtlinge
Für das Recht auf Flucht – Solidarität mit Carola Rackete
Ein italienisches Gericht hat am 2. Juli den Hausarrest gegen die mutige Kapitänin des Seenotrettungsschiffes „Sea Watch 3“, Carola Rackete, aufgehoben.
Carola Rackete war verhaftet worden, weil sie gegen den Willen der italienischen Regierung am 29. Juni im Hafen von Lampedusa angelegt und dadurch das Leben von 40 Flüchtlingen gerettet hat. Für ihre mutige Haltung ist sie jetzt mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte durch die Staatsanwaltschaft konfrontiert. Sie muss sich am 9. Juli erneut wegen angeblicher „Begünstigung illegaler Einwanderung“ vor Gericht verantworten.
Seenotrettung ist kein Verbrechen
Die Richterin erklärte, dass Seenotrettung kein Verbrechen sei und dass der Widerstand gegen Beamte in Erfüllung der Pflicht, Leben auf See zu retten, gerechtfertigt gewesen sei. Das nahm der faschistoide italienische Innenminister Matteo Salvini zum Anlass, eine weitere Faschisierung der italienischen Justiz anzukündigen: „Der Platz dieses Fräuleins wäre an diesem Abend das Gefängnis gewesen. Ein Richter hat entschieden, dass es nicht so ist ... Wie dem auch sei, wir werden diese Justiz verändern."
Das Seenotrettungsschiff „Sea Watch 3“ hatte am 12. Juni 47 Kilometer vor der libyschen Küsten 53 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet. Nachdem die italienischen Behörden einige Flüchtlinge aus medizinischen Gründen an Land geholt hatten, verweigerte Salvini „Sea Watch 3“ das Anlegen an einem italienischen Hafen. „Die können warten bis Weihnachten“. Dem hat sich Carola Rackete aus Verantwortung für das Leben der Flüchtlinge erfolgreich widersetzt.
Europaweite Solidarität mit Carola Rackete
Gegen die Verhaftung von Carola Rackete entwickelte sich eine europaweite Welle der Solidarität. Bis Anfang der Woche kamen allein in Italien bei einer Spendensammlung für „Sea Watch“ über 400.000 Euro zusammen. Eine Spendenaktion des Moderators Jan Böhmermann erbrachte bereits über 700.000 Euro. Eine Internet-Petition für die Freilassung von Carola Rackete und die Fortführung der Seenotrettung hat bereits über 190.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.
Die größte Metallgewerkschaft Italiens, FIOM, verurteilte die Festnahme der Kapitänin als einen Akt der Gewalt, der gegen die Verfassung verstößt. Der Gewerkschaftsbund CGIL bedankte sich bei Kapitänin und Besatzung für ihren Einsatz und versicherte ihnen, dass sie nicht alleine stünden, sondern die Zahl der Menschen, die die menschenfeindliche Politik der Regierung kritisieren und gegen sie Widerstand leisten, „sehr groß“ sei.
In Deutschland fanden in den letzten Tagen in vielen Städten Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen statt wie in Düsseldorf, Frankfurt am Main, Berlin oder Kiel. Obwohl Städte wie Rottenburg, Kiel und Berlin sich bereit erklärt hatten, die 40 Flüchtlinge der „Sea Watch 3“ aufzunehmen, verweigerte Innenminister Horst Seehofer (CSU) seine Zustimmung.
Die frauenpolitische Sprecherin der MLPD, Martina Stalleicken, gegenüber Rote Fahne News: "Carola Rackete wird kriminalisiert, weil sie Menschen aus höchster Not und Lebensgefahr gerettet hat und weil sie ebenfalls den Mut hatte, sich nicht zu beugen, sondern sich für Menschenrechte einzusetzen. Die MLPD erklärt ihre uneingeschränkte Solidarität mit Carola Rackete und fordert die Einstellung jeglicher Strafverfolgung."
Bundesregierung heuchelt
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Heiko Maas (beide SPD) kritisierten die italienische Regierung wegen der Verhaftung von Rackete und wegen der Ermittlungen gegen sie. Seenotrettung sei eine humanitäre Verpflichtung und dürfe nicht kriminalisiert werden, so Maas. Kein Wort dazu, dass vor allem die letzte und die jetzige große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) maßgeblich für die drastische Einschränkung der Seenotrettung verantwortlich sind.
Vom Oktober 2013 bis Oktober 2014 hatte die italienische Regierung mit der Operation „Mare Nostrum“ von Marine und Küstenwache 150.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) forderte Ende September 2014, "Mare Nostrum" durch eine Mission zu ersetzen, die vornehmlich der "Rückführung" der geretteten Flüchtlinge in die Länder dient, von denen sie aufgebrochen sind - also unter anderem in Länder wie Libyen, in denen sie in KZ-ähnlichen Gefängnissen eingesperrt, gequält und vergewaltigt werden.
Am 1. November 2014 wurde "Mare Nostrum" durch die Operation "Triton" unter Führung der EU-Grenzagentur Frontex ersetzt. Deren Aufgabe war nicht mehr die Seenotrettung, sondern die Sicherung der EU-Außengrenze gegen die Einwanderung von geflüchteten Menschen. Ihr Einsatzgebiet war im Wesentlichen auf den küstennahen Bereich der EU beschränkt.
2015 rückte die EU an Stelle von "Triton" schließlich die Operation „Sophia“. Bei ihr ging es vor allem darum, die libyschen Küstenwachen darin auszubilden, Flüchtlinge von der Überfahrt übers Mittelmeer abzuhalten. All das hat dazu geführt, dass die Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kamen, drastisch zurückging. Auch die Mission „Sophia“ wurde im März 2019 eingestellt, unter anderem deshalb, weil die Bundesregierung sich weigerte, weiter ein Schiff zur Verfügung zu stellen.
Seitdem wurde jede offizielle Seenotrettung von Flüchtlingen durch die EU eingestellt. Die privaten Seenotretter werden von der ultrareaktionären italienischen Regierung mit Billigung der EU durch Kriminalisierung, Festsetzen der Schiffe, Verweigerung der Einfahrt in die Häfen massiv behindert. Inzwischen ertrinkt nach Schätzungen jeder 45. Flüchtling im Mittelmeer, während es 2015 noch jeder 269. Flüchtling war. Die SPD-Politiker, die jetzt Salvini kritisieren, haben alle Verschärfungen seit 2014, die dem vorausgingen, in führender Verantwortung mitgetragen.
Kontrastprogramm proletarische Flüchtlingspolitik
Die MLPD steht für ein positives Kontrastprogramm zur reaktionären Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der EU. Sie fordert den Schutz aller Flüchtlinge und die Anerkennung ihrer Rechte in einer internationalen Konvention. Sie tritt für das Recht auf Flucht und den sofortigen Stopp von Abschiebungen auf antifaschistischer Grundlage ein.
Sie fördert den gemeinsamen Kampf von Flüchtlingen und Einheimischen gegen Wohnungsnot, Arbeitsplatzvernichtung und gegen die drastischen Einschränkungen des Asylrechts. Sie verbindet das mit der Orientierung auf die Bekämpfung der Fluchtursachen im imperialistischen System mit der Perspektive der vereinigten sozialistischen Staaten der Welt. Dazu gehört den revolutionären Befreiungskämpfen auf der Welt die volle Solidarität.
Eines der erfolgreichsten Projekte der proletarischen Flüchtlingspolitik der MLPD ist die aktive Teilnahme an der Errichtung eines heute als Geburtsklinik genutzten Gesundheitszentrums in Kobane. Die revolutionäre Weltorganisation ICOR hatte 2015 internationale Solidaritätsbrigaden ins Leben gerufen, die es gemeinsam mit Bauarbeitern aus der Region in Rekordzeit aufgebaut haben.
Dokumentation des Flüchtlingstribunals ist erschienen
Die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der EU war auch Gegenstand eines Tribunals auf dem diesjährigen 19. Internationalen Pfingstjugendtreffen unter dem Motto: „Angeklagt! Gegen die Fluchtursachen und die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Regierung! Für das Recht auf Flucht und für das Recht, die Welt zu verändern!“ Jetzt ist im Verlag Neuer Weg eine Dokumentation des Tribunals mit dem Titel "Jetzt reden wir" erschienen.
Sie enthält authentische Zeugenaussagen zur Flüchtlingskrise und ihren Ursachen, zum demokratischen Widerstand von Flüchtlingen gemeinsam mit solidarischen Unterstützern, zum Recht, gemeinsam die Fluchtursachen zu bekämpfen sowie zur Perspektive des Kampfs für eine Welt ohne Fluchtgründe. So unter anderem ein Grußwort von Friedhold Ulonska, Kapitän bei Sea-Eye, Sea-Watch und Mission, an das Pfingstjugendtreffen 2019, in dem er anprangert: "Europa schottet sich ab. Um den Preis, dass Menschen ertrinken. Um den Preis, dass man Milizen und Banden wie die sogenannte libysche Küstenwache finanziert, um verzweifelte Flüchtende von unserem Kontinent fernzuhalten."
Stefan Schmidt, Kapitän aus Lübeck, Mitglied des Vereins „borderline-europe“, beendet seine Zeugenaussage mit den Worten: "Wir werden solange protestieren und auf die Straße gehen, bis Menschen nicht mehr wegen mitmenschlichem Verhalten angeklagt werden in Europa, indem Schiffe nicht mehr unter fadenscheinigen Vorwänden daran gehindert werden, aus Häfen auszulaufen, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Wir sind mehr, und wir werden nicht aufgeben, wir werden uns empören, und wir werden friedlich protestieren, bis wir gewonnen haben."
Das Buch kostet 14 Euro und kann beim Verlag Neuer Weg bestellt werden (mehr dazu hier). Der gsamte Erlös kommt dem Solidaritätskreis Alassa & Friends zugute (mehr dazu hier).
Demonstrationen am 6. Juli
Die MLPD unterstützt die Aufforderung des Bündnisses „Seebrücke“ zu Demonstrationen am 6. Juli 2019 zur Flüchtlingssolidarität und für die sofortige Freilassung von Carola Rackete. Diese Demonstrationen finden in vielen Städten statt, Informationen unter seebrücke.org