Türkei
Gedenken an das Massaker von Sivas (1993)
Ein Korrespondent erinnert an das Massaker von Sivas in der Türkei aus dem Jahr 1993, das 37 Todesopfer forderte:
Im Sommer des Jahres 1993 fand in Sivas, einer Provinz im Osten der Türkei, das traditionelle "Pir-Sultan-Abdal-Kulturfestival" statt, eine alevitische Veranstaltung zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal, der sich im 15. und 16. Jahrhundert für die Freiheit der Menschen einsetzte und in seinen Werken die Liebe zu Gott und den Menschen thematisierte. Noch heute wird er von vielen Aleviten als Freiheitssymbol angesehen. Typisch für das Kulturfestival war, berühmte Künstler aus Literatur und Musik einzuladen, die größtenteils dem alevitischen Glauben angehörten.
Protest von Islamisten und Ultrareaktionären schaukelte sich hoch
So war der türkische Schriftsteller Aziz Nesin einer von vielen Gästen, die die Veranstaltung 1993 besuchten. Aufgrund seiner Übersetzung von Salman Rushdies Roman "Die satanischen Verse', war Aziz Nesin unter streng gläubigen Kreisen nicht gerne gesehen. Unter streng gläubigen Sunniten und Nationalisten („Graue Wölfe“/MHP) wird das Buch (und seine Übersetzung) als Ketzerei angesehen, weil der Roman den Propheten Mohammed und den Islam angeblich kritisiere. Nesins Anwesenheit am Pir-Sultan-Abdal-Kulturfestival löste unter den Sunniten und Faschisten in Sivas große Empörung aus, was sich im Laufe des Tages zu einem der schlimmsten Vorfälle der türkischen Geschichte entwickeln sollte.
Schnell versammelten sich reaktionäre Islamisten und Nationalisten, um zunächst gegen Aziz Nesin zu demonstrieren. Als diesen Protesten immer mehr Menschen beiwohnten, folgten Ausrufe wie "Sivas wird der Ort sein, an dem Aziz Nesin sterben wird!". Dann begab sich der wütende Mob auf den Platz vor dem "Madimak-Hotel", dem Ort, an dem die geladenen Gäste des Kulturfestivals übernachten sollten. Schnell wurde aus dem Protest ein Protest gegen die türkische Republik - und anschließend ein Protest gegen Andersdenkende.
Wütender Mob zündete Hotel an
Der wütende Mob riss zunächst die Statue von Pir Sultan Abdal nieder und zündete dann unter der Phrase "Im Namen von Allah!" das Madımak-Hotel an, wodurch insgesamt 37 Menschen ums Leben kamen (33 Gäste des Festivals, zwei Hotelangestellte und zwei Protestierende). Noch heute ist unklar, warum Feuerwehr und Polizei tatenlos zusahen und erst nach mehreren Stunden eingegriffen haben.
Als Zeichen ihrer Trauer versammeln sich jedes Jahr am 2. Juli, Menschen in Sivas, um gegen die reaktionäre Gesinnung zu protestieren, für die Kunst- und Meinungsfreiheit zu werben und die Anerkennung des Alevitentums zu fordern. Die Forderung der Aleviten, aus dem ehemaligen Hotel ein Friedensmuseum zu machen, ist bis heute nicht erfüllt worden.