Bergbau

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Entschlossene Demonstration: „Ihr habt die Kraft, die RAG in die Knie zu zwingen“

Seit 10.30 Uhr füllte sich heute der Barbarossaplatz in Essen. Bergleute in ihrer Kluft, Umweltschützer, Gesundheitspersonal, Jugendliche und Ältere, couragierte Frauen versammeln sich. Auch Gewerkschafter, Tierschützer und Marxisten-Leninisten mit ihren Fahnen.

Von MLPD-Landesleitung NRW / ms
Entschlossene Demonstration: „Ihr habt die Kraft, die RAG in die Knie zu zwingen“
Aufstellung zur Videobotschaft am Ende der Abschlusskundgebung (Foto: RF)

Eine optimistische und solidarische Stimmung herrschte bei strahlendem Sonnenschein. Aus vielen Kehlen schallte pünktlich um 11 Uhr zur Eröffnung das „Glück Auf“-Bergmannslied über den Platz. Klaudia Scholz und Christian Link begrüßten im Namen der überparteilichen Bergarbeiterbewegung "Kumpel für AUF“ die Kundgebungsteilnehmer.

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Die Vielfalt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer repräsentierte den großen Rückhalt der Bergarbeiter im Ruhrgebiet und darüberhinaus. Dabei waren betriebsbedingt gekündigte Bergleute; solidarische Kumpel mit APG-Berechtigung und Familienangehörige; Bergbaurentner, die um ihr Deputat und gegen Rentenkürzungen kämpfen; Mieter aus Zechensiedlungen, die von den Folgen der Privatisierung durch die RAG - wie Mieterhöhungen - betroffen sind; Gegner der von der RAG geplanten Zechenflutung, die wegen des eingelagerten Giftmülls katastrophale Folgen hätte; Angehörige von Bergleuten, die durch die Giftbelastung erkrankt oder gestorben sind; Delegationen aus anderen Industriekonzernen, die nicht wollen, dass die „Blaupause“ der betriebsbedingten Kündigungen Schule macht; Delegationen von Bergbauvereinen und Kumpel aus dem Saarland sowie Thüringen und viele mehr.

 

Die Moderatoren der Demonstration sind selbst jangjährige Aktivisten in dieser Bewegung. Christian Link, Bergmann seit 35 Jahren, wurde seit 2014 mit einem Anfahrverbot durch die RAG belegt, weil er die Lagerung von Giftmüll unter Tage aufdeckte. Klaudia Scholz, die langjährig in der Telefonzentrale der RAG arbeitete, ist seit fünf Jahren Stadträtin in Herne. Beide blickten auf zahlreiche, bunter Schilder und Transparente auf dem Barbarossaplatz und waren spürbar begeistert von der Fülle an Redebeiträgen.

 

Günter Belka, Sprecher von Kumpel für AUF und selbst jahrzehntelang unter Tage, stimmte auf das heutige Programm ein: „Das ist heute eine Kampfdemonstration. Wir Kumpel haben einen dicken Hals und werden uns nicht alles gefallen lassen.“

Wir müssen eine Entscheidung treffen

Die Kollegenzeitung Vortrieb unterstützt seit 1992 die kämpferische Bergarbeiterbewegung. Ihr öffentlicher Sprecher Stefan Engel erinnerte an den Streik von 1997, als die Kumpel verhinderten, dass 69.000 Bergarbeiter entlassen werden. Er verurteilte das Vorgehen der RAG, die heute alle Versprechen bricht und aus allen Verpflichtungen rauswill.

 

Er betonte, Resignation ist nicht die Lösung: „Wir müssen weitergehen im Kampf und streiken. Der Streik war es, der die RAG und die Regierung 1997 in die Knie zwang. So geht man nicht mit Bergleuten um. Hier im Ruhrgebiet ist jede zweite Familie mit dem Bergbau verbunden. Wer hier kämpft, hat die Solidarität der ganzen Bevölkerung. Der Vortrieb ruft auf: geht einen Schritt weiter und kämpft wie 1997. Ihr habt die Kraft, die Ruhrkohle in die Knie zu zwingen! Wir müssen eine Entscheidung treffen! Glück Auf!“

Geht einen Schritt weiter und kämpft wie 1997

Vortrieb

Bei der Auftaktkundgebung sprachen zahlreiche Verbündete und Fachleute im Kampf gegen die Politik der verbrannten Erde. Willi Mast und Günther Bittel sprachen im Namen von 130 Ärzten und Psychologen, die den Kampf gegen die Gesundheitsgefahren durch die Grundwasserverseuchung mit dem unter Tage verbrachten Giftmüll voll zu ihrer Sache machen. „Diese Katastrophe muss unbedingt verhindert werden!“. Die gesundheitliche Belastung der Kumpel, die das Gift unter Tage brachten, wird bisher totgeschwiegen, und keine Krankenkasse übernimmt die nötigen Maßnahmen und Medikamente.

Solidarität aus dem ganzen Ruhrgebiet

Zahlreiche Delegationen aus Industriebetrieben zeigten ihre Solidarität und Unterstützung: unter anderem von Siemens Essen/Mülheim und Krefeld, Continental/Dortmund und Caterpillar/Lünen, Ford aus Köln und Daimler aus Düsseldorf sowie Stuttgart-Untertürkheim.

 

Die Vertrauenskörperleitung von Thyssenkrupp aus Dortmund überbrachte Grüße: „Durch die Stärke unserer gewerkschaftlichen Organisiertheit und der großen Kampfmoral von euch Bergleuten genauso wie von uns Stahlarbeitern und auch den Opelanern, haben sich die Vorstände solche Angriffe auf uns bisher nicht erlaubt. Mit einer neuen Weltwirtschaftskrise im Rücken wollen sie jetzt wohl eine neue Gangart einschlagen und versuchen, an euch ein Exempel zu statuieren.

 

Gerade wir Stahlarbeiter sind - wie ihr - mit dem Ruf behaftet, einer aussterbenden, schmutzigen Industrie anzugehören. Wir sind nicht damit einverstanden, wenn das berechtigte Anliegen für einen besseren und konsequenten Umweltschutz gegen die Interessen der Arbeiter und auf Kosten unserer Arbeitsplätze gestellt wird. Wir müssen uns als Belegschaften dafür einsetzen, dass die Produktion der lebensnotwendigen Erzeugnisse im Einklang mit der Natur organisiert wird.“

 

Eine Kollegin von Evonik aus Essen griff das auf und betonte die Notwendigkeit für alle Arbeiterinnen und Arbeiter, sich in ihren Gewerkschaften zu organisieren. Sie ist Vertrauensfrau in der IGBCE und kritisierte hart die Führung ihrer Gewerkschaft, die keinen Kampf gegen die RAG organisiert. Aber sie unterstrich, dass in den kommenden Kämpfen die Gewerkschaften und ihre Strukturen notwendig sind. Sie berichtete, dass es für die große Zahl der Entlassenen keine Ersatzarbeitsplätze bei Evonik gibt, wie seitens der RAG behauptet wird.

 

Zwei Rechtsanwälte der Bergleute, Daniel Kuhlmann und Peter Weispfenning waren heute solidarisch vor Ort. Sie vertreten entlassene oder um ihr Deputat betrogene Kumpel als Mandanten. Peter Weispfenning überbrachte die Grüße eines gekündigten Prosper-Kumpels, der nach einem Autounfall im Krankenhaus liegt. Er sandte eine Sprachnachricht an die Demo und forderte Entschlossenheit: “Wir dürfen uns von der RAG nicht wie eine Nummer behandeln lassen.“

Große Unterstützung und Aufgeschlossenheit

Ein Musiker der in der Türkei sehr bekanntem Band Grup Yorum überbrachte die Solidarität mit mehreren Liedern. Bei schönstem Wetter setzte sich die kämpferische, vielfältige, disziplinierte und internationalistische Demonstration in Bewegung und zog mitten durch das Arbeiterwohngebiet Stoppenberg zur Zeche Zollverein. Viele Passanten, die keine Zeit hatten, füllten die Spendendosen mit ihren Euros, weil sie “die Sache in jedem Fall unterstützen“ wollten.

 

Eine Aktivistin, die am Rande der Demo Flugblätter verteilte, berichtete von größter Aufgeschlossenheit: “Ausnahmslos alle unterstützen die Anliegen der Demonstration. Kein einziger wollte die RAG in Schutz nehmen. Einige hatten aber Zweifel, ob man gegen 'die da oben' was machen kann. Kann man, sagten andere und trugen sich als Unterstützer ein.“ Insgesamt 86 Menschen unterschrieben dabei für die Bottroper Erklärung.

 

Die ganze Demostrecke entlang bildeten sich diskutierende Trauben mit Anwohnern, die sich informierten und Unterstützung bekundeten. Vater und Sohn unterbrachen ihre Gartenarbeit, um ein Flugblatt zu nehmen. Ganze Familien winkten aus dem Fenster und Autofahrerinnen und Autofahrer grüßen mit erhobenem Daumen. Einige Passanten schlossen sich auch an, so dass die Demonstration zeitweise immer wieder anschwoll - über die 300 Menschen hinaus, die von Anfang bis Ende dabei waren.

 

Zwischen den Redebeiträgen stimmte der Ruhrchor immer wieder Lieder an wie „Keiner schiebt uns weg“. Dazwischen trugen Trommeleinlagen zur kämpferischen Stimmung bei. Die Delegation der Umweltgewerkschaft betonte den notwendigen Zusammenschluss von Arbeiter- und Umweltbewegung,  denn „genau davor hat die RAG Angst: wenn wir zusammenhalten“.

 

Zu sehen waren Fahnen der verschiedensten Gewerkschaften wie IGBCE, IG Metall, ver.di und GEW sowie von überparteilichen Kommunalwahlbündnissen wie AUF Gelsenkirchen, Essen steht AUF, BergAUF Bergkamen, AUF geht's Neukirchen-Vluyn. Aber auch Fahnen und Transparente der kämpferischen Bergarbeiterbewegung Kumpel für AUF, von MLPD und REBELL, den ROTFÜCHSEN, dem Internationalistischen Bündnisses, der Umweltgewerkschaft, des Frauenverbands Courage sowie der Bergarbeiterfrauen-AG in Courage.

Beeindruckende Kulisse

Die Abschlusskundgebung fand vor der beeindruckenden Kulisse der zum Weltkulturerbe erklärten Zeche Zollverein statt. Dort waren einladende Essens-, Literatur- und Informationsstände aufgebaut. Sie trugen nicht nur zur gesunden Ernährung, sondern auch zur Selbstfinanzierung und zur nötigen Klarheit für den weiteren Kampf bei.

 

Christian Link und Klaudia Scholz begrüßten solidarische Bergleute aus anderen Regionen wie dem Thüringer Kali- und Salzrevier sowie aus dem Saarland. Reiner Aulenbacher, früher Betriebselektriker und Steiger im Saarland, berichtete vom erfolgreichen Kampf gegen die bereits begonnene Flutung der saarländischen Gruben. Ein breites Bündnis von CDU bis MLPD setzte durch, dass die RAG die Pumpen für die Wasserhaltung wieder anstellen musste.

 

Der Delegierte von K+S (ehemals Kali und Salz) aus dem hessischen Phillipsthal zur bevorstehenden Europakonferenz der internationalen Bergarbeiterkoordierung wünschte dem "gerechten Kampf ... Erfolg auf der ganzen Linie". Kumpel aus dem Drusetaler Bergbau, die selbst nach der Wiedervereinigung gegen die Schließung ihrer Zeche gekämpft hatten, konnten genau nachempfinden, in welcher Situation die gekündigten Bergleute im Kohlenpott jetzt stehen.

 

Ein noch aktiver und APG-berechtigter Bergmann sprach den von Kündigung betroffenen Kumpels ausdrücklich die Solidarität aus: "Es geht doch nicht, dass wir uns spalten lassen. Wenn nur ein Kumpel angegriffen wird, müssen wir zusammenstehen!" Er berichtete aber auch von den vielen Diskussionen, die er mit seinen Kollegen darüber noch führen muss, weil teilweise Spaltungsmanöver und gegen die gekündigten Bergleute gestreute Vorbehalte Wirkung zeigen.

 

Gabi Fechtner, Vorsitzende der MLPD, ging als erstes auf die immer wieder aufkommende Frage ein, ob es denn sein muss, dass die MLPD als einzige Partei und dann noch mit ihren Fahnen deutlich erkennbar bei den Demonstrationen gegen die RAG dabei sein muss. "Keiner der Veranstalter hier hätte es verboten, wenn die Grünen oder die SPD heute mit ihren Fahnen gekommen wären. Aber SPD und Grüne sind nicht da - und das hat auch seinen Grund.

 

Was sind das denn für Parteien, die hier angeblich immer die Leute vertreten? Schaut euch doch die SPD an, die mal als angebliche Arbeiterpartei tätig war. Diese Partei hat die Interessen der Kumpel verraten. Sie hat in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass Zehntausende entlassen wurden. Sie hat die Kumpel im Landtag am allerschlimmsten beschimpft. Das ist keine Arbeiterpartei, sondern eine Partei, die auf der anderen Seite steht.

 

Die Grünen machen ein riesiges Palaver, dass sie das Weltklima retten wollten. Jetzt droht hier im Ruhrgebiet die größte Trinkwasserkatastrophe, die man sich vorstellen kann. Die Grünen haben dazu bisher kein einziges Wort verloren. Deshalb sind auch die Grünen heute nicht hier. Die MLPD hat im Unterschied dazu keine Angst, sich mit der RAG, mit der RWE und diesen ganzen Leuten anzulegen.  Die MLPD hat in vielen Großbetrieben Betriebsgruppen, die die Solidarität organisieren usw."

 

Bewegend war die Rede einer Bergarbeiterfrau, deren Mann - mit gerade 50 - an Krebs gestorben ist. Lange habe sie sich die Frage nach dem Warum gestellt: "Heute wissen wir, dass er, wie viele andere, das hochgiftige PCB aufgenommen hat." Da PCB in mehrere anderen Ländern schon lange verboten ist, sei klar, dass die RAG von der extremen Giftigkeit des Stoffes gewusst habe. "Die RAG darf damit nicht durchkommen. Wir sind doch so viele und können uns zu einer starken Kraft zusammenschließen."

Kulturvoll wie die Bergarbeiter

Die Reden wechselten sich mit Highlights der Bergarbeiterkultur ab, wie dem Lied "Santa Barbara", der Bergarbeiterhymne und Liedern von Grup Yorum, die unter die Haut gingen. Der Musiker von Grup Yorum sang unter anderem von der Grubenkatastrophe in Soma 2014 und versprach, dass die Band mit größerer Besetzung ein eigenes Konzert zur Solidarität mit dem Kampf gegen die RAG organisieren werde.

 

Weitere Beiträge kamen von einem Vertreter der Mieterinitiative Gelsenkirchen-Hassel, von Fridays for Future aus Gelsenkirchen, von Werner Engelhardt von BergAUF Bergkamen, von Seyran Cenan von der Bergarbeiterfrauen-AG in Courage. Ein Höhepunkt der gesamten Demonstration war zweifellos der internationalistische Schulterschluss mit den 45.000 streikenden Bergarbeitern in Peru.

 

Andreas Tadysiak, Hauptkoordinator der Internationalen Bergarbeiterkoordinierung, war direkt von einem Aufenthalt in Peru zurückgekommen und berichtete frisch seine Eindrücke vom Streik. In Lima war es zum Zusammenstoß der Bergleute mit brutal vorgehenden Polizeieinheiten gekommen, weil die Bergleute sich den Zugang zu einem vorher zugesagten Treffen im Arbeitsministerium erkämpften. Die anschließend festgenommenen 17 Bergleute, darunter der Vorsitzende der Gewerkschaft, sind inzwischen wieder frei.

Internationale Kumpel-Solidarität

In einem Tonmitschnitt wandte sich der Vorsitzende der peruanischen Bergarbeitergewerkschaft an die Teilnehmer in Essen: "Die Unternehmer schrecken nicht davor zurück, die Arbeiter anzugreifen. Wir führen hier einen harten Kampf. Wir verfolgen aber auch euren Kampf aufmerksam und berichten darüber in Peru. Wir wünschen euch viel Erfolg!"

 

Bei diesem Gruß aus Peru sollte es nicht bleiben. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, vorneweg die Bergleute, nahmen Aufstellung vor der Kulisse der Zeche Zollverein, um eine beeindruckende Videobotschaft aufzunehmen. Christian Link trug vor: "Wir haben heute live von Andreas Tadysiak erfahren, in welcher Situation ihr seid und welche Kämpfe ihr austragen müsst, um eure Rechte zu erkämpfen. Wir sind in einer ähnlichen Situation ... In diesem Sinne wünschen wir euch ein herzliches Glück Auf. Wir werden euren Kampf hier in Deutschland bekannt machen und die Solidarität organisieren."

 

 

Ein Mut machender, erlebnisreicher und unvergesslicher Tag endete mit den Rufen "Hoch die internationale Solidarität!" und  dem Lied "Glück Auf".

 

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Inzwischen berichtet auch die Süddeutsche Zeitung, Westdeutsche Zeitung und die Westfälischen Nachrichten über die Demonstration. Rote Fahne TV hat ein erstes Amateur-Video der Demo-Ankunft auf der Zeche Nordstern veröffentlicht.