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Voller Erfolg beim Berufungsprozess von Lisa Gärtner (ausführliche Version)

Rund 45 Menschen versammelten sich heute kurz vor 10 Uhr zu einer kämpferischen Kundgebung vor dem Landgericht in Gera.

Korrespondenz aus Gera
Voller Erfolg beim Berufungsprozess von Lisa Gärtner (ausführliche Version)
Rund 45 Menschen beteiligten sich an der Auftaktkundgebung vor dem Prozess (Foto: RF)

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen aus dem Ruhrgebiet, aus Heilbronn, Berlin und verschiedenen Städten Thüringens sowie von der Herbstudienfreizeit des Jugendverbands REBELL. Sie wollten ihre Solidarität mit Lisa Gärtner ausdrücken, die gegen das erstinstanzliche Urteil zu ihrer Kriminalisierung bei einer Kundgebung am 17. Mai 2018 in Saalfeld vorging.


Auch Frank Oettler aus Halle war mit einer kleine Delegation extra angereist – obwohl heute in Naumburg auch sein Berufungsprozess gegen das Urteil des Landgerichts stattfand (mehr dazu). Die Kundgebung wünschte auch ihm vollen Erfolg.


Der Tag begann brisant: Wieder wurde die Kundgebung von der Landesbereitschaftspolizei mit drei Mannschaftswagen und Ausrüstung beobachtet. Nachdem Lisa Gärtner am Mikrofon das Verhalten von Herrn Löther als damaliger Leiter der Polizeiinspektion Saalfeld mit Fug und Recht als faschistoid bezeichnete, kam anschließend der Einsatzleiter und teilte ihr mit, gegen sie Ermittlungen wegen Beleidigung des Herrn Löther einzuleiten!

Nur Freispruch kommt in Frage

Der Prozess begann dann in einem riesigen Gerichtssaal. Lisa Gärtners Rechtsanwalt Peter Weispfenning stellte von Beginn an klar, dass hier nur ein Freispruch in Frage kommt. Das Gerichts in Saalfeld hatte in erster Instanz Lisa Gärtner wegen Beleidigung zu 15 Tagessätzen à 35 Euro verurteilt. Lisa hatte vor, dem Hintergrund einer völlig unrechtmäßigen und unverhältnismäßigen Kriminalisierung des Rebellischen Musikfestivals 2018 und der MLPD (mehr dazu), die Frage aufgeworfen, ob dieses Vorgehen von ganz oben ausging oder ob Herr Löther, damaliger Leiter der Polizeiinspektion Saalfeld, durchgeknallt wäre.


Die Vorsitzende Richterin eröffnete den Prozess mit einer sachlichen Darlegung der damaligen Ereignisse und sagte sofort, dass nach ihrer Vorberatung ein Freispruch richtig sei. Anwalt Peter Weispfenning und Lisa Gärtner selbst legten ausführlich die Sachlage dar, denn auch ein Freispruch will fundiert sein.

Geschützte Meinungsäußerung mit "Tatsachenkern"

Peter Weispfenning stellte klar, dass der Begriff „durchgeknallt“ in diesem Zusammenhang eine durch Art. 5 GG geschützte Meinungsäußerung mit Tatsachenkern darstellt, weil er sich auf rechtswidrige und insbesondere völlig überzogene und unverhältnismäßige Maßnahmen in Zusammenhang mit dem friedlichen Rebellischen Musikfestival bezog. Er legte die unglaublichen Vorgänge im Vorfeld anschaulich dar - das Gefährderanschreiben an Stefan Engel, die Kriminalisierung der Kundgebung in Saalfeld, angedrohtes Verbot des Rebellischen Musikfestivals und vieles mehr.


Auch der im Raum stehende Vorwurf, es gehe hier um eine Privatfehde, konnte überzeugend widerlegt werden, weil Lisa Gärtner und Herr Löther zuvor noch nie aufeinander getroffen sind, weshalb die Richterin für dieses Zitat aus dem erstinstanzlichen Urteil nur ein Kopfschütteln übrig hatte.

Kein Millimeter Spielraum für Kriminalisierung

Lisa Gärtner selbst führte im Gerichtssaal aus, dass das Rebellische Musikfestival damals zum dritten Mal stattfand. Es wurde bundesweit vorbereitet und zeichnete sich stets durch eine fortschrittliche Jugendkultur aus. Mit Grup Yorum wurde eine Band kriminalisiert, die in der Türkei vom faschistischen Erdogan-Regime verfolgt wird, einige Mitglieder wurden dort gefoltert. Auch deshalb kam es nicht in Frage, der Kriminalisierung auch nur einen Millimeter Spielraum zu geben. Der Verein Rebellisches Musikfestival, MLPD, REBELL und anderen gingen bundesweit dagegen in die Offensive.

 

Lisa steht weiter zu der von ihr aufgeworfen Frage, ob dieses Vorgehen von ganz oben kam oder ob Herr Löther, als damaliger Leiter der Landespolizeidirektion Saalfeld, durchgeknallt sei. Damals wurden Flugblätter gedruckt und verteilt und Kundgebungen, wie die jetzt in Saalfeld, organisiert und durchgeführt.

"Es geht hier nicht um Begrifflichkeit"

Lisa Gärtner betonte ausdrücklich, dass die antikommunistische Motivation des Gefährderanschreibens gegen Stefan Engel den Weg ebnet für faschistischen Antikommunismus. So nahmen spätere faschistische Morddrohungen gegen Stefan Engel ausdrücklich positiv Bezug auf das Gefährderanschreiben des Herrn Löther. "Es geht hier nicht um eine Begrifflichkeit, sondern darum, ob der deutsche Staat wieder zu einer Politik kommt, dass man mit Kommunisten alles machen darf."

 

Nach den Ausführung von Lisa Gärtner und ihrem Anwalt stellte auch die Staatsanwältin klar, dass sie dafür plädiert, das Urteil des Gerichts aus Saalfeld aufzuheben und Lisa freizusprechen! "Wo kämen wir hin, wenn man im Rahmen der Meinungsäußerung so etwas nicht mehr sagen dürfte?", meinte sie sinngemäß. Sie verzichtete im Anschluss auch auf die Möglichkeit Revision einzulegen, womit das Urteil rechtskräftig ist.


Die Zeugen brauchten deshalb nicht vernommen werden. Die Herren Zeugen Löther und Steinbiss waren gar nicht erschienen – Herr Löther ist im Urlaub und Herr Steinbiss hat sich krankgemeldet. Die Frage, ob sie kniffen, stand im Raum …

Klarer Freispruch

Das Gericht entschied nach Beratung: Freispruch! "Frau Gärtner hat diese Äußerung nicht mit Gänseblümchen im Mund auf der grünen Wiese getroffen, sondern diese Äußerung war in eine bestimmte Situation eingebettet. Sie ist durch die Meinungsäußerung gedeckt." Applaus im Publikum!

 

Die Rechtsentwicklung der Regierung und der bürgerlichen Parteien wurde heute überzeugend attackiert und gezeigt, dass es möglich und notwendig ist, Siege im Kampf dagegen zu organisieren. Somit war dieser Prozess ein wichtiger Beitrag im Kampf um demokratische Rechte und Freiheiten. Bei einer spontanen Kundgebung nach der Verhandlung wurde der Sieg gebührend gefeiert.

Erneute Eskalation durch die Polizei

Doch es zeigte sich schnell, dass die zur Faschisierung des Staatsapparats drängenden Kräfte sich auch von einem solchen Urteil nicht bremsen lassen. Wütend angesichts dieser Niederlage, brach die Polizei erneut eine Eskalation vom Zaun und verhielt sich so wie einst in Saalfeld. Einem Demonstranten, einem Arbeiter in Rente, wurde völlig wahrheitswidrig unterstellt, er habe gegen die Polizisten einen Mittelfinger gezeigt. Er wurde von zehn anstürmenden Bereitschaftspolizisten umstellt. Als Anwalt Peter Weispfenning zu ihm wollte, riss ein Polizist ihn an Arm und Rücken und zog ihn mit Gewalt weg. Auf seinen Protest hin wurde auch der Anwalt mit einer Polizeikette für ca. 20 Minuten abgeschirmt und teils lautstark angeschrieen.


Dies ließ sich niemand von uns bieten und wir kritisierten vehement den Polizeiübergriff. Darauf wurde das Filmen mit dem Handy verboten und mit Beschlagnahmung von Handys gedroht. Die Vorsitzende Richterin, die zufällig vorbei kam, versuchte beruhigend auf die Situation einzuwirken.
Gegen die aggressiven Polizisten wird Klage erhoben, was ihnen jeweils schon genauer erläutert wurde, und umgehend wurde und wird öffentlich protestiert.

 

Wichtig noch zu wissen: Herr Löther war damals nach dem Rebellischen Musikfestival befördert worden - unter der Regierung von Herrn Ramelow (Linkspartei)! Jetzt ist er in der Polizeidirektion für die Polizei in ganz Thüringen mitverantwortlich.

Kampf gegen Rechtsentwicklung der Regierung geht weiter

Der Eklat nach dem Prozess zeigt, wie wichtig juristische Erfolge gegen die Rechtsentwicklung der Regierung sind - aber dass sie allein die Faschisierung des Staatsapparats nicht aufhalten können. Hierzu ist breiter Protest vonnöten! Der Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierung und die Faschisierung des Staatsapparates geht weiter!


Dabei gilt: Nur wer kämpft, kann gewinnen! Und: Wer einen von uns angreift, greift uns alle an. Diese Richtung konnte heute einen wichtigen Erfolg erzielen, worüber alle Teilnehmer berechtigt stolz und froh waren.